Gemüseanbau: Selbstversorgung auf dem Prüfstand

Datum: 25. April 2024

Der Verzehr von Gemüse legt die Basis für eine gesunde Ernährung. Darauf weist nicht nur die Medizin mit groß angelegten Studien und Abhandlungen hin. Auch die Politik ermuntert mit verbrauchernahen Publikationen, Veranstaltungen oder Kommunikationskampagnen die Bevölkerung, diese Erkenntnis ernst zu nehmen und in der täglichen Praxis umzusetzen. (Manchmal kommt sie sogar mit erhobenem Zeigefinger daher). Alle Welt redet jedenfalls über die gesundheitlichen Aspekte von Gemüse. In Zeiten, in denen der Kauf regionaler Produkte aufwändig propagiert und die Stärkung der regionalen Wertschöpfungsketten plakativ gefördert wird, stellt sich also die Frage, wie es um die heimischen Gemüseerzeugung bestellt ist. Wir sind der Frage für Brandenburg nachgegangen.

Ende Februar 2024 lagen die Zahlen des Vorjahres frisch auf dem Tisch: Nach einer Mitteilung des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg war die Anbaufläche für Freilandgemüse von 2022 auf 2023 um 360 Hektar auf 6.100 Hektar zurückgegangen. Trotzdem fiel die gesamte Erntemenge mit 98.000 Tonnen um 8 Prozent höher als 2022 aus. Umgekehrt sah die Entwicklung indessen beim Gemüseanbau in Gewächshäusern aus: Die geschützten Flächen legten im gleichen Zeitraum zwar um fünf auf 58 Hektar zu, aber die Erntemenge – im Wesentlichen Tomaten und Gurken – stürzte um 4.400 Tonnen auf nur 10.800 Tonnen ab. Bio machte mit knapp 580 Hektar rund neun Prozent der Gemüsefreilandfläche aus. Die Gesamterntemenge ging hier um 30 Prozent auf 5.700 Tonnen zurück.

Ein Blick auf die Haupt-Gemüsearten, die in unserer Region angebaut und vermarktet werden, zeigt dieses Bild: Die dominierende Kultur ist der Spargel (3.500 Hektar – im Ertrag stehend, 22.200 Tonnen), gefolgt von Einlegegurken (470 Hektar, 34.800 Tonnen) und Möhren (360 Hektar, 21.700 Tonnen). Unabhängig vom Ranking stellten Speisekürbisse 2023 mit 7.400 Tonnen einen Ernterekord auf: Das waren über 70 Prozent mehr als im Vorjahr, obwohl die Anbaufläche um 30 Hektar zurückgegangen war. Soweit die blanken Zahlen, was die Hauptkulturen betrifft.

Foto: Volkmar Heinz

„Generell haben wir in Brandenburg einen sehr breit gefächerten Anbau“, erläutert Dr. Klaus Henschel (Foto), Präsident des Gartenbauverbands Berlin-Brandenburg, und spricht damit die Flächenstruktur bzw. -verteilung des Gemüses an: Die Flächen werden dominiert von einigen wenigen Kulturen, die von insgesamt 4.430 Hektar (Spargel) bis zu 16 Hektar (Hülsenfrüchte bzw. Bohnen) runtergehen. „Das ist fast gar nichts“, sagt er zu den Bohnen.

Die große Spannweite spiegelt sich in den Betriebsgrößen wider: Von den 175 Brandenburger Gemüseanbauern, so der Verbandspräsident, verfügen 37 über weniger als einen Hektar Fläche; mehr als die Hälfte aller Betriebe hat ein bis zwei Hektar, während 20 Betriebe mit jeweils über 50 Hektar insgesamt 5.300 Hektar bewirtschaften.

Das sind mehr als 80 Prozent der gesamten Anbaufläche. „Wir haben also nicht nur eine sehr breite Streuung der Betriebsgrößen“, analysiert er. „Auffällig ist außerdem, dass wir in Brandenburg entweder kleine oder große Betriebe haben, es fehlt die Mitte“.

Diese außergewöhnliche Branchenstruktur hat in der wirtschaftlichen Praxis einen folgenschweren Effekt: Die Großen können ihre Listungsgespräche mit dem Lebensmittelhandel auf Augenhöhe führen, das heißt sie können ein großes Rad in Sachen Liefermengen, Logistik und Preisgestaltung drehen; da die Kleinen hier nicht mithalten können, sprich: nicht konkurrenzfähig sind, fühlen sie sich der „Marktmacht“ des Handels ausgeliefert. Als Absatzalternative bleibt ihnen nur die aufwändige (arbeitsintensive) Direktvermarktung über Hofläden, Wochenmärkte und andere (Nischen-) Kanäle. Steigende Kosten (Personal, Energie, Bürokratie und vieles mehr) tun ein Übriges, dass immer mehr kleinere Betriebe aufgeben.

„Heute gibt es in Brandenburg nur noch drei Betriebe, die Salatgurken anbauen“, betont der Verbandspräsident. Generell werde sich die Brandenburger Bevölkerung zunehmend mit Produkten aus dem Ausland versorgen müssen. Das seien alarmierende Entwicklungen, zumal sich die Politik des Landes das Thema „Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten“ auf die Fahnen geschrieben habe. Überdies erwartet er, dass im Gemüseanbau verstärkt Maschinen eingesetzt werden, um die Arbeitskosten einigermaßen aufzufangen. „Ein Bio-Betrieb mit Freilandgemüse setzt in diesem Jahr erstmals einen Roboter ein, der sieben Tage in der Woche rund um die Uhr Unkraut bekämpft, um die Arbeitskosten in Schach zu halten “, erzählt er.

Heute schon sei auch der Einsatz von Spargel-Erntemaschinen vorstellbar, die über‘s Feld rollen, den Spargel erkennen und ernten und ihn fein säuberlich in Kisten stapeln. „Das ist technisch durchaus möglich, aber für Kleinbetriebe nicht bezahlbar. Selbst Großbetriebe schütteln solche Investitionen nicht aus dem Ärmel. Doch bei weiter steigenden Lohnkosten ist diese Form der Automatisierung durchaus denkbar, dann aber eher für Betriebe ab 20 Hektar Fläche und nicht für kleine Einheiten“, sagt er.

Soweit der vom Branchenexperten Dr. Klaus Henschel kommentierte Überblick. Zusätzlich habe wir Statements von zwei Gemüsebauern eingeholt, die uns einen Einblick in die Arbeit und Probleme vor Ort geben:

Rixmanns Hof, Linum

Sabine Schwalm und Georg Rixmann bauen in ihrem Familienbetrieb auf gut 15 Hektar Obst und Gemüse an. Aus eigenem Anbau gibt es 2024 über 120 Kürbissorten, 28 Sorten Tomaten, 17 Sorten Möhren, 9 Sorten Bete. Statement von Georg Rixmann:

„Als kleiner Betrieb muss man seine Nische finden, unsere ist Sortenvielfalt – Sorten, die man im Angebot des Lebensmitteleinzelhandels nicht finden kann. Wir vermarkten direkt, das heißt wir verkaufen die Produkte auf unserem Hof und liefern sie zusätzlich an ausgewählte Restaurants und Kantinen in Berlin und Brandenburg. In Brandenburg haben wir keinen richtigen Erzeugerverband, der Vermarktung und Vertrieb für uns kleinere Betriebe bündelt. Es fehlt uns zudem massiv an Nachwuchs und Bildung für und über unsere Branche. Das Wichtigste ist jedoch, dass die Überregulierung und die bisweilen absurde Bürokratie entschärft wird. Alles in allem sitze ich mit dem Gesamtpaket an Bürokratie zwei Tage in der Woche nur im Büro.“

Gurkenhof Frehn, Steinreich

Der familiengeführte Betrieb baut auf rund 820 Hektar Fläche eine große Gemüseauswahl an. Zu den wichtigsten Produkten zählen Schäl- und Einlegegurken sowie Weiß- und Rotkohl. Statement von Heinz-Peter Frehn: „Gemüse-Anbau ist sehr personalintensiv. Pro Hektar und Jahr investieren wir rund 3.000 Arbeitsstunden. Das liegt zum Beispiel daran, dass wir mindestens 25 Mal an derselben Stelle die nachgewachsenen Gurken ernten müssen. Für unsere Bio-Zwiebeln setzen wir deshalb neuerdings auf sogenannte „Farmdruide“, also Roboter, die KI-gestützt Aussaat und Harken übernehmen. Anders als in den letzten 20 Jahren ist jetzt und perspektivisch wegen der bescheidenen Böden in Brandenburg das Thema Wasserversorgung für den Gemüseanbau wesentlich. Unser bürokratischer Aufwand für einen Antrag auf Brunnenbohrung ist immens. Die statistischen Anforderungen z.B. zur Erhebung von Flächendaten ebenso. Zur Bewältigung dieser unproduktiven Arbeit musste ich eigens jemanden einstellen. Mit Blick auf die Bekanntheit und Wertschätzung unserer Arbeit wünsche ich mir außerdem, dass auf Gemüse-Konserven bzw. Eigenmarken des Handels offen deklariert wird, wer das Produkt wo hergestellt hat. Meist findet man dort nur den Hinweis „Produziert für…“.