Doppel-Interview mit LBV Brandenburg und pro agro

Datum: 25. April 2024

Denny Tumlirsch, Landesbauernverband Brandenburg (links), Kai Rückewold, pro agro (rechts)

Definitorisch sind Land- und Ernährungswirtschaft getrennte Wirtschaftsbereiche: Primärwirtschaft oder Urproduktion auf der einen Seite, verarbeitendes Gewerbe auf der anderen. Doch in der ökonomischen Praxis sind sie eng miteinander verflochten – ohne Landwirtschaft keine Ernährungswirtschaft. Beide Bereiche haben folglich in der aktuellen Situation mit je spezifischen, aber auch gemeinsamen Problemen zu kämpfen. Unter der Fragestellung „Land- und Ernährungswirtschaft in den östlichen Bundesländern – Haben Politik und Gesellschaft noch Realitätsbezug zum ländlichen Raum?“ haben wir Gespräche mit der Erzeuger- und der Verarbeiterebene geführt. Gemäß der Logik der Wertschöpfungskette steht das Interview mit dem Brandenburger Landesbauernverband (LBV) bzw. seinem Geschäftsführer Denny Tumlirsch am Anfang, gefolgt von Fragen an Kai Rückewold, Geschäftsführer des Agrarmarketingverbandes pro agro.

Herr Tumlirsch, was haben die bundesweiten Bauernproteste den Betrieben in Brandenburg substanziell gebracht?

Zunächst müssen wir unterscheiden zwischen der Bundes- und Landesebene. Auf Bundesebene konnten wir erreichen, dass mehr als 50 Prozent der ursprünglich geplanten Steuererhöhungen nicht gekommen sind. Das ist vor allem dem massiven Protest auf der Straße, aber auch den vielen Gesprächen im Hintergrund zu verdanken. Weiterhin arbeitet die Bundes- und sogar EU-Ebene an dem Thema Entbürokratisierung. Hier ist auch die Verbindung zur Landesebene: Wir haben die Ausgleichszulage über 2025 hinaus sichern können, nachdem Ministerpräsident Dietmar Woidke ein Machtwort gesprochen hat. Darüber hinaus werden Ackerrandstreifen nun dauerhaft gefördert. Im Rahmen der Entbürokratisierung haben wir der Landesregierung 55 Punkte vorgelegt, an denen wir sehr konstruktiv arbeiten. Die Proteste waren der Auftakt, jetzt läuft die politische Arbeit.

Mit welchen Hauptschwierigkeiten kämpfen die Landwirte in Brandenburg und den östlichen Bundesländern? Was sind die drei existenziell wichtigsten Kernthemen?

Die Landwirtschaft wird immer komplexer, so dass eine Begrenzung auf drei Kernthemen schwierig ist. An erster Stelle steht sicher die betriebswirtschaftliche Situation der Betriebe: volatile Märkte, steigende Kosten. Das klassische Unternehmerrisiko also. Allerdings haben Landwirtschaftsbetriebe aufgrund der sehr hohen Regulierungsdichte nicht dieselbe Freiheit wie in vielen anderen Branchen. Dazu kommt die zunehmende Unwägbarkeit infolge des Klimawandels. Betriebe haben keine ausreichenden Möglichkeiten, so frei Anpassungen vorzunehmen, wie sie wollen oder können. Hier braucht es vor allem Hilfe zur Selbsthilfe und nicht weitere Einschränkungen und Beschränkungen wichtiger Instrumente. Dabei denke ich z. B. an die dauerhaft schwelende Diskussion um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Die Reduktion der einkommenswirksamen Komponente in der Agrarförderung potenziert das Problem nur weiter. Förderung muss wieder stärker die Stärkung der Betriebe im Blick haben.

Haben Sie den Eindruck, dass Politik die Bedeutung der Land- und Ernährungswirtschaft für den ländlichen Raum wirklich versteht?

In Deutschland ist sehr vieles selbstverständlich geworden: bei der Politik, in der Verwaltung und bei den Verbrauchern. Es ging allen schlicht zu gut. Die Proteste haben gezeigt, dass in Teilen riesige Lücken klaffen. Wir sehen einzelne wirklich bemühte Personen, die sich für einen Interessensausgleich der Zielkonflikte einsetzen. Leider sehen viele Verantwortliche die Landwirtschaft nicht als Partner und sozialen Anker im ländlichen Raum, die Ernährungswirtschaft als wertschöpfenden Veredler im ländlichen Raum. In anderen Ländern ist die eigene Versorgung als Teil der Daseinsvorsorge staatliche Aufgabe, und auch die Wertschätzung für Lebensmittel ist deutlich höher.

Mit dem Neuen Brandenburger Weg vor einigen Jahren und dem aktuellen Weißbuch des LBV hat der LBV immer wieder konkrete Vorschläge gemacht, wie die Zukunftsfähigkeit von Wertschöpfungsketten vom „Hof ins Regal“ angegangen werden kann. Gibt es aus Ihrer Sicht Fortschritte?

Der Neue Brandenburger Weg kam in einer Zeit, als es der Bevölkerung gut ging: geringe Inflation, billige Energie, faktischer Überfluss. Das Papier ist heute wie vor vier Jahren noch richtig, kam aber vielleicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt, weil viele Verantwortliche dachten, dass es schon weitergehen wird. Allerdings sehen wir jetzt, dass die Betriebe immer mehr in Bedrängnis geraten. Daher haben wir in diesem Jahr das Weißbuch entworfen, wo wir ganz konkrete Umsetzungsziele benennen, die wir als wichtig identifiziert haben. Wir gehen davon aus, dass das Land einen großen Teil der 55 Punkte zur Entbürokratisierung schnell umsetzt. Ansonsten werden wir infolge der Wahl im September 2024 den Koalitionsverhandlern im Bereich Landwirtschaft das Weißbuch aktiv zukommen lassen, damit so viele Ansätze wie möglich in den nächsten Koalitionsvertrag Eingang finden.

Wie beurteilen Sie die Bemühungen von Unternehmen der Ernährungswirtschaft und pro agro mit Werbekampagnen den Absatz regionaler Markenprodukte zu fördern?

Es ist wichtig, dass sich die Ernährungswirtschaft Gehör verschafft. Als Folgeglied unserer gemeinsamen Wertschöpfungskette hängt auch das Ergebnis der Landwirtschaft am Erfolg der Ernährungswirtschaft. Darüber hinaus haben regionale Lieferbeziehungen den Vorteil, dass die Partner meist auf Augenhöhe verhandeln und nicht mit der dritten oder vierten Ebene eines hunderte Kilometer entfernten Unternehmens sprechen müssen, die selbst nichts entscheiden können.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Landwirtschaft Brandenburgs in den kommenden fünf Jahren?

Vieles hat die Branche selbst nicht in der Hand. Kriege, Pandemien und Inflation sind Beispiele dafür. Weiterhin wird das Wahlergebnis im September einige Auswirkungen haben. Wichtig sind stabile Verhältnisse, und nach einer Legislatur meine ich, dass Dreier-Koalitionen schwierig sind. Unabhängig von diesen externen Faktoren bin ich guter Dinge, da ich viele Betriebe kenne und noch mehr vermute, die sich stetig weiterentwickeln, um die Herausforderungen von morgen und übermorgen zu meistern. Die Brandenburger Landwirtschaft befindet sich seit 1990 in einer steten Entwicklung. Wichtig wird sein, den hohen Grad der Professionalisierung zu erhalten und nicht zu einer Verwässerung mit der bloßen Landschaftspflege zu kommen. Wir als LBV versuchen unseren Beitrag dazu zu leisten.

Im Vorfeld der BRALA 2024 kommt die gute Fee bei Ihnen vorbei und will Ihnen drei Wünsche erfüllen…Was wünschen Sie sich für die Land- und Ernährungswirtschaft in Brandenburg?

1. Produktion muss sich lohnen. Die wirtschaftliche Stabilität ist in den Betrieben auf Dauer gesichert und die Langfristperspektive macht auch jungen Menschen Mut, Verantwortung zu übernehmen und ins Risiko als Unternehmer zu gehen, Anpassungen an den Klimawandel werden gefördert.

2. Grundlegendes Vertrauen von Politik, Verwaltung und Bevölkerung in die Fähigkeiten der Fachleute, dass neben der Ertragsoptimierung auch die nachhaltige Produktion bzw. Verarbeitung ein wesentliches Ziel ist.

3. Die Umsetzung des Weißbuchs zum Zukunftsplan Landwirtschaft.

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Herr Rückewold, die Stärkung regionaler Lebensmittelproduktion war in einer kurzen Phase der Corona-Pandemie eines der „heißen“ Themen. Viele Beobachter des Marktes sind heute ernüchtert. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe?

In der Corona-Pandemie lag für viele Menschen der Fokus auf dem Thema Ernährung. Restaurantbesuche, Reisen oder andere Freizeitaktivitäten waren eingeschränkt. Das Essen zu Haus war wichtig, und die Regale waren hin und wieder weniger gefüllt. Das führte zu einem stärkeren medialen Push für regionale Lieferketten durch die Medien und zu einer dankbaren Aufnahme durch Konsumenten. Ob im Supermarkt, auf dem Markt oder im Hofladen – da war echtes Interesse und eine Wertschätzung. Billig, billig stand nicht unbedingt an erster Stelle.

Die Bauernproteste können auch Ihren Verband, der sich um die Stärkung der heimischen Ernährungswirtschaft bemüht, nicht kalt gelassen haben. Wie beurteilen Sie die Erfolge der Bauernproteste, was bleibt aus Ihrer Sicht als Zukunftsperspektive übrig?

Es ist dem Berufsstand für einige Wochen erneut gelungen, in das Zentrum der Wahrnehmung zu rücken. Bereits 2019 hatten die Bauernproteste ja unter der Merkel-Regierung bewirkt, dass eine Zukunftskommission und die Borchert-Initiative entstanden sind. Ich hoffe, dass die Landwirtschaft wirkliche Angebote aus der Politik erhält. Meine Befürchtung bleibt jedoch, dass der Land- und Ernährungswirtschaft mittelfristig nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Andere Konzern-Industrien scheinen wichtiger zu sein. Es darf nicht sein, dass nur dann, wenn die Traktoren rollen, eine Sensibilisierung für die systemrelevante Wertschöpfungskette regionaler Lebensmittelerzeugung in den Parlamenten entsteht.

Mit einer Unternehmer-Initiative der Ernährungswirtschaft „Regionale Lebensmittel einkaufen – jetzt erst recht!“ wurde in Brandenburg versucht, dem inflationsbedingten „Run“ auf Billigprodukte entgegenzuwirken. Haben die Bemühungen etwas gebracht? Wie ist die Lage der Ernährungswirtschaft im Mai 2024 zu beurteilen?

Es ist ein bemerkenswerter Einschnitt gewesen, dass Unternehmen gemeinsam auf die Notlage öffentlichkeitswirksam reagiert haben. Das hat auch innerhalb der Branche zu mehr Solidarität geführt. Die Lage 2024 ist nach wie vor bedrohlich, denn Kostensteigerungen bei Personal, Energie, Verpackung oder Logistik werden nicht durch den Handel kompensiert. Die Verbraucher wollen aktuell an Lebensmitteln sparen, um sich Mieten, gestiegene Energiekosten, Reisen oder den Kauf anderer Konsumgüter leisten zu können. Schade ist es, dass der Handel bei Eigenmarken so zugeschlagen hat – billig ist mehr in Mode als je zuvor. Das Land Brandenburg hat sich in einem Landtagsbeschluss dafür ausgesprochen, weiterhin Konsumenten über die Vorteile einer regionalen Lebensmittelproduktion kommunikativ anzusprechen. Wir bereiten aktuell eine breit angelegte Kampagne vor.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Brandenburger Ernährungswirtschaft für die kommenden Jahre?

Ich bin Optimist und glaube an die Kraft mittelständischer Unternehmerinnen und Unternehmer. Allerdings habe ich in den letzten 20 Jahren selten eine so schlechte Stimmung wahrgenommen. Zu befürchten ist eine weiterhin zunehmende Konzentration. Inhabergeführte Unternehmen und die letzten Ost-Marken werden weiter um das Überleben kämpfen müssen.

Im Vorfeld der BRALA 2024 kommt die gute Fee bei Ihnen vorbei und will Ihnen drei Wünsche erfüllen…Was wünschen Sie sich für die Land- und Ernährungswirtschaft in Brandenburg?

Als erstes würde ich mir wünschen, dass sie der Gesellschaft wieder mehr Realitätssinn und Richtung einhaucht. Aus meiner Sicht geht beispielsweise die Diskussion um Ernährungsstrategien, weniger Fleisch und Veganismus an einer Mehrheit der Menschen vorbei. Dennoch bewirkt sie Marktverunsicherungen in starkem Maß. Zudem wünsche ich mir eine fairere Lieferkette, so dass vom Ladenendpreis bei Verarbeitern und Erzeugern mehr übrigbleibt. Und zuletzt wünsche ich für uns alle die Rückbesinnung auf gutes Essen in und aus der Region.

Kontakt LBV

Landesbauernverband Brandenburg e.V.

Denny Tumlirsch, Geschäftsführer

Dorfstraße 1, 14513 Teltow/Ruhlsdorf

Telefon: 03328/319201

E-Mail: tumlirsch@lbv-brandenburg.de

www.lbv-brandenburg.de

Kontakt pro agro

pro agro e.V.

Kai Rückewold, Geschäftsführer

Gartenstraße 1-3, 14621 Schönwalde/Glien

Telefon: 033230/2077-0

E-Mail: rueckewold@proagro.de

www.proagro.de