„Versorgung mit Lebensmitteln ist systemrelevant!“
Datum: 15. Februar 2024
Brandenburgs Land- und Ernährungswirtschaft hat seit Jahren einen schweren Stand: Corona, Kriege in der Ukraine und in Nahost, Lieferengpässe, steigende Kosten und dergleichen mehr beuteln die Branche wie selten in der jüngeren Vergangenheit. Hinzu kommen die permanente Regulierungswut der EU-Bürokraten und die sprunghaften Entscheidungen der Bundespolitik, die alles andere als verlässliche Rahmenbedingungen für das Wirtschaften setzen. Aufgrund dieser wenig ersprießlichen Gemengelage sieht es der Verband pro agro in seiner Funktion als Sprachrohr und Förderer der Branche auch als seine Aufgabe an, den Unternehmen Orientierung zu geben und Perspektiven aufzuzeigen.
Ausgangspunkt für eine solche in die Gegenwart und Zukunft gerichtete Betrachtung sind drei Ereignisse, die alle zu Beginn des Jahre 2024 stattfanden und Aufschluss geben über die Befindlichkeit der Branchenunternehmen: die Bilanz der Grünen Woche bzw. des Geschehens in der Brandenburghalle, die Diskussion während des Stammtisches der Ernährungswirtschaft und die Kernergebnisse des Anfang Januar veröffentlichten Branchenbarometers – alles Ereignisse übrigens, über die im vorliegenden Newsletter berichtet wird.
Wie es nach Corona mit der Grünen Woche weitergeht, konnte man anfangs nicht so richtig einschätzen. Doch jetzt, im Jahr zwei nach dem Neustart, lässt sich mit Fug und Recht von einem positiven Comeback reden. Sowohl die Aussteller- wie auch die Besucherzahlen haben optimistisch gestimmt. Konzept und Angebot in der Brandenburghalle fanden auf ganzer Linie regen Zuspruch. Das ist insoweit eine gute Botschaft. Aber: „Ob die Hallen brechend voll sind, ist nicht der entscheidende Faktor, sondern die Kontaktqualität“, gibt pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold (Foto) zu bedenken und konkretisiert, was er damit meint: „An manchen Tagen ist es besser, mit weniger Besuchern intensivere Gespräche führen zu können.“
Zweifellos sind die Grüne Woche und das tägliche Vermarktungsgeschäft jenseits der Messe ein enormes Heimspiel für die Brandenburger Erzeuger und Verarbeiter von Lebensmitteln, da die regionalen Produkte direkt vor den Toren der Hauptstadt entstehen. Der Weg des Produkts von der Entstehung bis zum Berliner Markt ist also sehr kurz, was die emotionale Käuferbindung in Sachen Transparenz, Authentizität und Verbundenheit zur eigenen Region fördert. Andererseits ist die Branche direkt und unmittelbar den Entscheidungen aller politischen Ebenen ausgesetzt. Das hat sich kurz vor Beginn der Grünen Woche auf dramatische Weise gezeigt.
Nur den massiven Protesten der Landwirtschaft ist es nämlich zu verdanken, dass die Bundespolitik zum Teil wieder zurückgerudert ist. Was aber hat’s gebracht? „Für unsere Wertschöpfungsketten ist damit noch nicht viel getan“, konstatiert Rückewold. Begründung: „Wir müssen aufpassen, dass mit Schnellschüssen nur für die Landwirtschaft nicht die mittelständische Ernährungswirtschaft noch weiter ins Straucheln gerät.“ Dahinter steht die Befürchtung, dass den Herstellern „in der Schraubklemme“ zwischen höheren Kosten und stagnierenden Erlösen die Luft ausgeht. Deshalb seine Mahnung: „Wenn wir regionale Landwirtschaft und weiterverarbeitendes Handwerk bzw. mittelständische Industrie nicht zusammen denken, wird es keine Verbesserungen geben.“
Die Notwendigkeit eines solchen ganzheitlichen Denkens und Handelns findet seinen Ausdruck in der auch vom Brandenburger Landwirtschaftsministerium propagierten und verfolgten Strategie, die regionalen Wertschöpfungsketten zu stärken. In diesen Prozess sind praktisch alle Glieder bzw. Marktplayer der Branche einbezogen – vom landwirtschaftlichen Erzeuger über den Verarbeiter bis zum Vermarkter und Konsumenten von regionalen Lebensmitteln.
Hier sieht sich der Verband als neutrale Instanz, geprägt vom Verständnis für alle Partner der Wertschöpfungskette und in der Praxis geleitet von der Vermittlung von Kontakten; und bei aller Neutralität jedoch immer mit dem offenen Herzen vor allem für die lebensmittelproduzierenden Unternehmer. „Optimistisch stimmt mich, dass einige Lebensmittelhändler viel mehr Solidarität mit der Erzeuger- und Herstellerseite bekunden als offiziell hörbar wird“, sagt Rückewold in diesem Zusammenhang. Hintergrund dieser Erfahrung: pro agro spricht in aller Regel mit den Repräsentanten vor Ort und nicht (nur) mit den Konzernzentralen.
Auch auf Verbraucherebene setzt der Verband an, um die Absatzchancen der Brandenburger Hersteller zu optimieren. Ein erster, guter Schritt ist hier die breit aufgestellte Kampagne „Regionale Lebensmittel einkaufen – jetzt erst recht!“, die vom Agrarministerium maßgeblich unterstützt wird. Einzelne Unternehmen oder Produkte dürfen zwar nicht beworben werden, aber der kontinuierliche, kommunikative Hinweis auf Positiveffekte regionaler Wirtschaftsstrukturen verfehlt seine Wirkung nicht. Diese Kommunikationsarbeit wird fortgesetzt. Klares Ziel ist es dabei, auch den Handel stärker in solche Kampagnen einzubinden. Denn am Ende muss der Verbraucher die Produkte aus Brandenburg auch im Regal an prominenter Stelle finden.
Ein wichtiger „Mitspieler“ bei der Unterstützung und Förderung regionaler Verarbeitungsstrukturen ist die Brandenburger Politik. „Wir werden gefragt und gehört“, betont der Verbandsgeschäftsführer. Dennoch erlebe er immer noch zu viel Abgrenzung statt Wachstums- und Wagemut. In unzähligen Aktivitäten versuche man deshalb, das Wissen um die heimische Ernährungswirtschaft und die aktuellen Herausforderungen zu verdeutlichen. Und an die Adresse der kommenden Regierung – im September wird bekanntlich ein neuer Landtag gewählt – richtet Kai Rückewold die Erwartung anzuerkennen, dass „die Versorgung mit regional hergestellten Lebensmitteln systemrelevant ist. Sie ist klimaschonend, nachhaltig und hält den ländlichen Raum lebendig. Dafür sollte es spürbare Prioritäten in allen Ministerien geben.“