Gegen die Krise arbeiten!
Das 2011 in Frankreich gegründete und drei Jahre später in Deutschland eingeführte Vermarktungs-Netzwerk „Marktschwärmer“ hat sich hierzulande sehr erfolgreich etabliert. Allein in der Hauptstadtregion arbeitet man gegenwärtig mit 330 landwirtschaftlichen Erzeugern („Partnern“) zusammen, die insgesamt rund 22.800 Kunden („Mitglieder“) beliefern. In Berlin und Brandenburg gibt es derzeit 27 bzw. 13 Abholpunkte („Schwärmereien“), wo die bestellte Ware bereitliegt und sich Kunde wie Erzeuger treffen. Doch auch das beste Direktvermarktungs-Konzept muss in Zeiten wie diesen eine Durststrecke durchstehen. Über die Herausforderungen sprachen wir mit Jacques Wecke, Projektleiter Deutschland.
Herr Wecke, wie ist die momentane Stimmung bei den Marktschwärmern? Es dürfte Sie nicht überraschen, wenn ich sage: durchwachsen. Wie die Lebensmittelbranche insgesamt, durchlaufen wir gerade eine Kosten- und Umsatzkrise, was insbesondere unsere Lieferanten, also die landwirtschaftlichen Erzeuger und das Lebensmittel-Handwerk, sowie die einzelnen Marktschwärmereien trifft.
Und Ihre Kundschaft? Deren Kaufbereitschaft leidet natürlich unter der Inflation, wobei die Preise bei uns mit 2,2 Prozent deutlich weniger stark gestiegen sind als beim Lebensmitteleinzelhandel mit 11,1 Prozent. Das belegen jedenfalls die Zahlen vom Mai 2022.
Warum? Unsere Lieferanten waren nie abhängig von den Preisvorstellungen des Handels und konnten schon immer mit guten Margen arbeiten. Also fassen sie nur behutsame Preiserhöhungen ins Auge – erstens, weil sie keine negativen Kundenreaktionen provozieren wollen und zweitens, weil sie keine Notwendigkeit sehen, das sofort auf ganzer Linie zu tun.
Sind Ihre Kunden preisrobuster als „normale“ Verbraucher? Ja, das sind sie. Unseren Mitgliedern geht es bei ihrer Kaufentscheidung nicht in erster Linie um die Preise; sie verfügen über ein ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein und sind bereit, für regionale Produkte mehr zu bezahlen.
Wie haben sich die Bestellungen entwickelt? Sie sind leider etwas zurückgegangen, weil die Verbraucher vorsichtiger geworden sind. Eine Umfrage bei Martkschwärmereien hat z.B. ergeben, dass sich 30 Prozent unserer Mitglieder wegen der Inflation mit Bestellungen derzeit eher zurückhält. Sobald sich die Lage beruhigt, wollen sie aber wieder an Bord sein.
Was macht das Neugeschäft? Es ist schwieriger geworden, Partner für den Aufbau von Marktschwärmereien zu finden. Das Interesse ist zwar da, aber viele potenzielle „Gastgeber“ – so nennen wir die Betreiber von Marktschwärmereien – scheuen in diesen Zeiten das Risiko, ein neues Projekt anzugehen.
Das heißt also: keine neuen Marktschwärmereien? Doch, doch – das ist nur eine Frage der Zeit. Wir müssen erst mal gut durch den Sommer kommen. Mittel- bis langfristig wird es in jedem Falle mehr Marktschwärmereien in Berlin-Brandenburg geben.
Worauf liegt momentan Ihr Fokus? Derzeit konzentrieren wir uns darauf, die vorhandenen Schwärmereien erfolgreich am Laufen zu halten. Wir unterstützen sie dabei, die Situation zu meistern.
Auf welche Weise? Wir geben den Erzeugern, Gastgebern und Verbrauchern Informationen über die Hintergründe der Inflation an die Hand. Gleichzeitig ermuntern wir unsere Kunden, weiter einzukaufen. Viele von ihnen wissen gar nicht, in welchem Ausmaß die Erzeuger von der Krise betroffen sind.
Mehr können Sie nicht tun? Die Schwierigkeit liegt in der Anhäufung von Krisen: Coronapandemie, Ukrainekrieg und Inflation. Dagegen können wir als Direktvermarktungs-Netzwerk natürlich nichts oder nur wenig tun. Aber wir müssen vermeiden, dass Teile unseres Netzwerks in eine Art Schockstarre verfallen.
Was unternehmen Sie dagegen? Wir leisten jede Menge Aufklärungsarbeit. Und Motivationsarbeit! Wir wollen Unsicherheit abbauen, indem wir relevante Informationen weitergeben. Es wäre kontraproduktiv, jetzt in schieren Aktionismus zu verfallen.
Halten Sie dennoch Ausschau nach weiteren Lieferanten? Ja, in jedem Fall. Die meisten Lieferanten sind im nord- bis südöstlichen Speckgürtel Berlins angesiedelt. Es wäre gut, wenn auch Erzeuger aus westlichen Regionen mitmachen würden. Davon könnten vor allem benachbarte Marktschwärmereien profitieren.
Haben Sie bestimmte Sortimentsvorstellungen? Da gibt es keine dezidierten Vorgaben. Allerdings – einen Wunsch hätten wir schon: Obst aus Brandenburg!
(Anmerkung der Redaktion: Die im Interview angesprochene Umfrage kann unter folgender Mail-Adresse angefordert werden: laura@marktschwaermer.de)
„Direktvermarktung ist das zweitwichtigste Vermarktungsstandbein für Brandenburger Produzenten. Auch wenn aktuelle Krisen, Krieg und Inflation das Handeln und den Handel erschweren, dürfen wir nun erst recht nicht müde werden, für die Direktvermarktung zu werben. Ursprünglicher, direkter und daher wohl auch authentischer als direkt vom Produzenten kann man regionale Lebensmittel nicht bekommen. Wir müssen herausarbeiten, dass „kurze Wege“ nicht nur die Entfernungen, sondern auch die Stationen zwischen Produzenten und Verbrauchern meint. Wir müssen immer wieder aufzeigen, dass Produkt- und Produktionsqualität den Preis rechtfertigen und sich der Vergleich mit vermeintlich billigeren Angeboten außerhalb der Direktvermarktung eigentlich verbietet. Das ist es, was die geforderte „Wertschätzung“ ausmacht.“