Vor dem Hintergrund der globalen Krisen stellt sich die Frage, wie verlässlich die Lieferketten innerhalb der Lebensmittelbranche bzw. wie sicher die Lebensmittelversorgung in Deutschland künftig ist. Doch es geht nicht allein um die politische und ökonomische Großwetterlage, sondern auch um hausgemachte Entwicklungen, die das Wirtschaften nicht eben leichter machen. Wir sprachen mit Björn Fromm (Foto), einem vielgefragten und nicht weniger beschäftigten Mann der Branche, der sich in der Welt des Kaufmanns genauso gut auskennt wie in der Branchenpolitik: als selbstständiger Edekaner mit drei Märkten einerseits und als Mehrfach-Handelspolitiker andererseits, nämlich als Präsident Handelsverband Berlin-Brandenburg und als Präsident Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH).
Herr Fromm, wie beurteilen Sie die Sicherung der Lebensmittelversorgung bzw. der Lieferketten?
Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass globale Krisen – seien es die Pandemie, geopolitische Konflikte oder klimatische Extremereignisse – erhebliche Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit haben können. Der Lebensmittelhandel und damit auch die gesamte Lebensmittelkette in Deutschland haben sich dabei als bemerkenswert resilient erwiesen, indem alle Akteure immer wieder flexibel reagiert haben. Dadurch war und ist die Versorgung jederzeit gewährleistet. Dennoch ist die Stärkung regionaler Lieferketten und der Diversifikation von Bezugsquellen ein wichtiger Baustein zur Erhöhung der Versorgungssicherheit in der Zukunft.
Welche Rolle spielt die Lebensmittel-Lieferkette in Brandenburg?
Brandenburg spielt eine wichtige Rolle in der Versorgungssicherheit – nicht nur für das Land selbst, sondern besonders auch für Berlin. Die räumliche Nähe zwischen Erzeugung, Verarbeitung und Verkauf schafft kürzere Wege, weniger Abhängigkeit von globalen Märkten und damit eine größere Stabilität bei Versorgung und Preisbildung. Wir sehen allerdings mit Sorge, dass einzelne Gewerke innerhalb der Lieferkette immer stärker wegzubrechen drohen.
Wer sind die Hauptglieder der regionalen Lieferkette?
Die regionale Lebensmittel-Lieferkette besteht aus Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und -veredelung, Lebensmitteleinzelhandel sowie den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Landwirte liefern die Rohstoffe, die idealerweise in regionalen Betrieben verarbeitet und anschließend im Einzelhandel angeboten werden. Unterstützt wird das System durch Logistik, Verpackung und IT-Dienstleister.
Wie wichtig ist das Auslandsgeschäft?
Das betrifft insbesondere Fleisch und Milch. Wir sprechen hier von bis zu 50 Prozent der Rohware, die aus Deutschland exportiert wird und somit ebenfalls für die wirtschaftliche Lage der Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist. Und auch im Inland gibt es weitere Vermarktungswege wie Gastronomie und andere Teile der Außerhaus-Verpflegung. Wenn wir unsere Landwirtschaft stärken wollen, müssen wir immer die gesamte Lebensmittelkette und alle Vertriebswege im Blick behalten.

Welche Interdependenzen gibt es zwischen den einzelnen Gliedern der regionalen Lieferkette?
Die unterschiedlichen Akteure einer Lieferkette sind eng miteinander verbunden, idealerweise aber nicht voneinander abhängig. Klar ist, dass Preise, Produktionsmengen, Verfügbarkeiten, gesetzliche Vorgaben und Trends (wie Bio oder Regionalität) einander bedingen und beeinflussen. Störungen in einem Glied – z. B. Lieferverzögerungen oder Energieengpässe – wirken sich auf das Gesamtsystem aus. In den vergangenen Jahren hat der Lebensmittelhandel bewiesen, wie flexibel und gut er sich innerhalb der Lieferkette abstimmen kann. Damit steigert er die so wichtige Resilienz.
Gibt es Partikularinteressen innerhalb der regionalen Lieferkette, die sich störend auf die Entwicklung der Branche auswirken?
Natürlich gibt es unterschiedliche Perspektiven – das ist in einer komplexen Branche normal. Aber entscheidend ist: Die Lebensmittelwirtschaft hat bewiesen, dass sie trotz vielfältiger Interessen lösungsorientiert agieren kann, am Ende geht es immer um die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung. Dort, wo es Zielkonflikte gibt – etwa zwischen Preis und Nachhaltigkeit – setzen wir auf Dialogformate, transparente Kommunikation und verlässliche Standards. Gemeinsame Verantwortung für die Versorgungssicherheit steht dabei immer im Vordergrund.
Wie wird sich die Relation von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft entwickeln?
Wir brauchen beides – konventionell und ökologisch. Der ökologische Landbau leistet einen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz. Gleichzeitig zeigt sich, dass konventionelle Landwirtschaft unverzichtbar bleibt, um Ernährungssicherheit und Bezahlbarkeit zu gewährleisten. Entscheidend ist nicht das Entweder-Oder, sondern ein intelligentes Miteinander, das durch technologische Innovation, verbesserte Produktionsmethoden und faktenbasierte Politik unterstützt wird.
Was ist der Grund für die kritische Einstellung von Verbraucherverbänden gegenüber der Lebensmittelwirtschaft?
Verbraucherschützer begleiten den Lebensmittelmarkt mit kritischer Aufmerksamkeit – das ist ihre Aufgabe. Gleichzeitig erleben wir durch das tägliche Kaufverhalten der Verbraucher, dass unsere Vielfalt und Qualität umfänglich geschätzt werden. Der Lebensmittelhandel bietet heute mehr Bio-, Regional- und Fairtrade-Produkte denn je. Die Branche steht offen für Dialog und Weiterentwicklung. Entscheidend ist, dass wir gemeinsam an Lösungen arbeiten – auf Augenhöhe und mit realistischem Blick für die komplexen Zusammenhänge der Versorgung.
Was erwarten Sie als maßgeblicher Teil der Ernährungswirtschaft von der Politik?
Wir wünschen uns von der Politik verlässliche Rahmenbedingungen, den Glauben an die positiven Kräfte der Marktwirtschaft und eine konkrete Stärkung des Mittelstands. Bürokratieabbau, Planungssicherheit bei Investitionen sowie praxistaugliche Förderprogramme für die Landwirtschaft sind zentrale Anliegen. Gleichzeitig brauchen wir eine bessere Abstimmung zwischen den politischen Ebenen – insbesondere zwischen Umwelt-, Agrar- und Wirtschaftspolitik. Gerade in Brandenburg sehen wir große Chancen, wenn die Akteure gemeinsam an einem Strang ziehen.
Welche Rolle schreiben Sie in diesem Zusammenhang den Medien zu?
Medien sind ein wichtiger Partner in der gesellschaftlichen Debatte rund um Ernährung, Nachhaltigkeit und Verantwortung. Idealtypisch informieren sie faktenbasiert, verständlich und ausgewogen. Unsere Erwartung ist: Differenzierung, mehr Hintergrund und mehr Raum für die Leistung einer Branche, die tagtäglich die Grundversorgung sichert. Der Lebensmittelhandel steht bereit für offenen Dialog – auch und gerade mit den Medien.
Fotos: © Santiago Engelhardt