Wahrlich eine runde Sache: Rund um den Globus und rund um die Uhr erkundet. bezieht und vermarktet das Unternehmen „exotische Früchte aus den Gärten der Welt“, wie es heißt. So weitläufig ist die 1951 von Peter Keuthmann gegründete Berliner Obst- und Gemüsegroßhandlung heute aufgestellt. Seit 1994 wird die Firma von der Familie Weihe geführt und kontinuierlich weiterentwickelt. Im Zuge dessen hat man sich vom Lieferservice getrennt; er liegt heute in den Händen der Partnergesellschaft Weihe GmbH (siehe unser Porträt hier). Mit der Konzentration auf das Vor-Ort-Geschäft am Fruchthof Berlin hat sich der Direktverkauf an Lebensmittelhändler und -vermarkter auf dem Großmarkt sowie der Vertrieb im Agentur- und Streckengeschäft deutschlandweit etabliert. Auf diese Weise verbinden sich Tradition und Innovation mittlerweile in der vierten Generation.
Fein gestapelt: Frisches Obst und Gemüse auf der Verkaufsfläche im Berliner Fruchthof.
Rund 65 Mitarbeiter kümmern sich tagein, tagaus um den reibungslosen Fullservice für die Kunden – sei es für den Lebensmitteleinzelhandel oder den Wochenmarkthändler, für Feinkostgeschäfte, Caterer oder Gastronomen; auch Onlinehändler stehen auf der umfangreichen und vielseitigen Kundenliste. „Zitrusfrüchte oder exotische Sorten aus aller Welt haben wir ebenso im Portfolio wie frische Lebensmittel aus der Region“, umschreibt Geschäftsführer Björn Weihe das Sortiment und betont: „Egal woher: Wir beziehen unsere Produkte von zertifizierten Erzeugern und Partnern“. Das sei aber nicht der einzige Nachweis für die „exzellente Qualität“ der Produkte: Auch langjährige Partnerschaften mit den Lieferanten sowie regelmäßige Vor-Ort-Besuche des Einkaufsteams würden dazu beitragen.
Bei aller Internationalität der Lieferbeziehungen kommen regionale Produkte nicht zu kurz: Etliche hundert Erzeuger und Verarbeiter aus Brandenburg und Berlin sorgen für eine Bereicherung des Sortiments mit heimischen Produkten. Dazu Geschäftsführer Weihe: „Wir bauen unser regionales Lieferantennetzwerk ständig aus. Unter der Maxime ‚So regional und saisonal wie möglich‘ treiben wir die Einbeziehung unseres direkten landwirtschaftlichen Umfeldes weiter voran und stellen unsere mittlerweile breite Palette an regionalen Angeboten unseren Kunden zur Verfügung.“
Diese Maxime orientiert sich natürlich an dem wachsenden Verbraucherbedürfnis nach Lebensmitteln aus dem benachbarten Umfeld, das heißt nach Nähe in zweifacher Hinsicht: vertraute Herkunft einerseits und kurze Transportwege andererseits. Das Prinzip des „Direktvertriebs ab Ursprung“ (was übrigens auch für das internationale Geschäft gilt) ist so gesehen ein wichtiger Aspekt für umweltschonendes Wirtschaften – ein zentraler Baustein der Firmenphilosophie. Auch deshalb ist das Keuthmann-Einkaufsteam regelmäßig bei Partnern vor Ort, also nicht nur aus Gründen der Kontaktpflege, sondern auch, um ein Auge darauf zu haben, ob Erzeugung und Verarbeitung der Ware den Ansprüchen des Unternehmens genügen.
Gesprächsbedarf: Kommunikativer Austausch im gekühlten Lager.
Neben den hohen Standards in Sachen Transparenz, Zuverlässigkeit und Produktqualität zeichnet Keuthmann ein weiteres Merkmal unternehmerischen Handelns aus: Neugierde. Und dies nicht als Selbstzweck, sondern als Ausdruck strikter Kundenorientierung. Konkret: Regelmäßig sind Mitarbeiter rund um den Erdball unterwegs, um Ausschau nach interessanten Produkten zu halten, die den deutschen Markt bereichern könnten. Die so genannten Food-Scouts schwärmen in die „Gärten der Welt“ aus und suchen nach speziellen Zitrusfrüchten, exotischen Kräutern oder seltenen Gemüsesorten – immer in der Gewissheit, dass die deutschen Verbraucher zwar knauserig sein mögen, aber experimentierfreudig sind.
Abgesehen von den Ausflügen in die große weite Welt ist Keuthmann weiter daran interessiert, neue Lieferpartnerschaften in der heimischen Region einzugehen. „Regionale Spezialitäten und saisonale Angebote fragen unsere Kunden immer stärker nach“, sagt Björn Weihe. Ganz stark entwickeln sich hier Erzeugnisse wie diverse Salate und Kohlsorten, Kern- und Steinobst, Kartoffeln, Erdbeeren, Spargel und spezielle Gemüse. Dennoch: Den Großteil der Produkte bezieht der Großhändler von internationalen Lieferanten, um eine möglichst große und vielfältige Produktpalette anbieten zu können – ganz im Einklang mit der unternehmerischen Doppelstrategie, die da lautet: „Regional frisch und international direkt!“.
Ein Demeter-Landwirt mit Leib und Seele
Vor ziemlich genau 24 Jahren hat Sascha Philipp (Foto) seinen Traum wahr gemacht: Der gelernte Landwirt aus Witten/Ruhr erstand 1999 im Brandenburger Spreewald einen landwirtschaftlichen Betrieb – also in der Gegend, wo er Jahre zuvor eine Ausbildung zum Landwirt absolviert hatte. Nach weiteren Lehr- und Wanderjahren ist er in die Region zurückgekehrt, wo er sich nicht nur in den Reiz der Landschaft verguckt, sondern das Konzept der arbeitsteiligen Landwirtschaft kennen- und schätzen gelernt hatte. Seine Wiege stand eigentlich, wie es sich im Kohlen-Pott gehört, in einer Bergbau-Familie, die aber eines Tages dem Knochen-Job den Rücken kehrte und als Seiteneinsteiger einen landwirtschaftlichen Betrieb mit biologisch- dynamischer Produktionsweise aufbaute. Damals war Sascha im besten Knabenalter.
Heute, im besten Mannesalter, lebt der gestandene Landwirt mit eigener Familie und seinen Eltern also im Spreewald, genauer: auf dem Landgut Pretschen. Gut 40 Mitarbeiter gehen ihm zur Hand, um 820 Hektar Ackerland, Weideland und Wald zu bewirtschaften. Nicht zu vergessen das mit zwei Hektar größte Bio-Gewächshaus Brandenburgs, das in wechselnder Folge unterschiedlichen Pflanzen sommers wie winters ein Dach über dem Kopf bietet (Tomaten, Gurken, Salate und vieles mehr). Er ist mit ungebrochener Begeisterung am Werk, um mit seinem Team nach den Vorgaben der Demeter-Bewegung die 520 Rinder (davon 240 Milchkühe) zu versorgen und die landwirtschaftlichen Flächen zu bearbeiten – auch jetzt, in den Hoch-Zeiten der Ernte und unter den klimatisch bedingten Verwerfungen wie Hitze und Trockenheit.
Wer landwirtschaftliche Produkte unter dem Demeter-Siegel erzeugt und vermarktet, muss sich besonderen Herausforderungen stellen: Da geht es nicht nur darum, nach den strengen Regeln des Verbandes zu wirtschaften – Regeln, die weit über die Vorgaben der EU-Öko-Verordnung hinausgehen. Darüber hinaus ist es unerlässlich, ein funktionierendes Netzwerk von gleichgesinnten Absatzpartnern aufzubauen, zu pflegen und zu erweitern.
Gurken dicht an dicht im Gewächshaus.
Wenn Sascha Philipp von seinen Produkten spricht, dann fällt das Stichwort „ehrliche „Ware“. Das bedeutet mit Blick auf den Gemüseanbau, dass die Pflanzen ohne Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel aufwachsen. Mit dem Effekt, wie er sagt, „dass unsere Tomaten und Gurken einen natürlichen, kräftigen Geschmack haben und – bildlich gesprochen – einem nicht das Wasser im Munde zusammenläuft“. Die Fleisch- und Wurstprodukte wiederum zeichnen sich qualitativ dadurch aus, dass die Tiere artgerecht gehalten und nur 25 km entfernt geschlachtet werden. „Der Wurst geben wir neben den Gewürzen keine Geschmacksverstärker oder sonstigen Zusatzstoffe bei“, betont er.
Während die Milch komplett ans Ökodorf Brodowin zur Weiterverarbeitung geliefert wird, werden das Gemüse und Spezialitäten wie Leinöl und Leindotteröl über den Großhandel vermarket, und zwar ausschließlich an den Naturkostfachhandel oder an Vertreiber von Bio-Abokisten. Der Löwenanteil des Sortiments wird in Brandenburg/Berlin ausgeliefert; ein paar Touren gehen auch bis hoch an die Ostsee oder runter nach Sachsen. In diesem Sinne versteht Sascha Philipp sich und seinen Betrieb als integriertes Glied einer regionalen Wertschöpfungskette, obwohl es „keine leichte Übung ist, den gesamten Prozess vom Anbau über die Ernte und Verarbeitung bis zur Marktreife in einer Hand zu behalten. Das ist nicht ohne Risiko, aber ich stehe dazu,“ sagt er.
Im Warenkorb: Aus dem Trockensortiment des Hofladens.
Neben dem Naturkost- und Abokisten-Handel hat das Landgut auch ein festes Vermarktungs-Standbein in der regionalen Gastronomie. Viel Freude bereitet dem Unternehmer ferner der Direktvertrieb im eigenen Hofladen. „Hier handelt es sich praktisch um einen Vollsortimenter, dessen Angebot nicht allein aus unseren Produkten gespeist wird. Zum Frische- kommt das Trockensortiment von anderen Anbietern aus der Region“, sagt er. Der Tante-Emmaladen auf Bio-Basis hat sich als Nahversorger auf dem Land also voll bewährt.
Dessen ungeachtet wird derzeit am Aufbau eines Online-Shops samt Lieferdienst gearbeitet, um Land- und Stadtkunden künftig auch digital zu erreichen. Gern würde Sascha Philipp auch im klassischen Lebensmitteleinzelhandel präsent sein – wenn auch nicht flächendeckend in Brandenburg und Berlin, so doch im unmittelbaren Umfeld auf lokaler Ebene. Entscheidend sei hier, dass er die entsprechenden Mengen auch vorhalten und liefern kann. Die ersten Gespräche laufen bereits, sagt er und fügt hinzu: „Das generelle Problem hier auf dem Lande ist, dass die Nachfrage zwar da ist; aber es gibt keine Bioläden. Deshalb versuchen wir, mit dem lokalen bzw. regionalen klassischen LEH ins Geschäft zu kommen.“
Kompakte Plattform für die Lebensmittelbranche
Vierzig regionale Lebensmittelerzeuger und -verarbeiter hatten im Rahmen der 2. Warenbörse am 11. Juli 2023 Gelegenheit, über 150 Vertretern aus Lebensmittelhandel, Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung sowie von Markthallen, Online-Plattformen, Regional- oder Hofläden in Brandenburg/Berlin ihre Produkte im persönlichen Kontakt zu präsentieren. Die zeitlich und räumlich kompakte Veranstaltung, die der Verband pro agro alle zwei Jahre organisiert, fand auch diesmal auf dem Gelände des Spargelhofs Buschmann & Winkelmann in Klaistow statt. Beide Vermarktungspartner nutzten die intensive Gesprächsatmosphäre, um neue Geschäftsbeziehungen zu knüpfen oder bereits vorhandene aufzufrischen und auszubauen – ein für beide Seiten erneut ertragreicher Austausch.
Ordentlich was los: Vierzig regionale Erzeuger und Verarbeiter in der Festscheune des Spargelhofs Klaistow.
Von Fachbesucherseite war beispielweise die EDEKA mit einer großen Delegation von Marktleitern zu Gast, die aktiv das Gespräch mit bereits vorhandenen sowie potentiellen Geschäftspartnern suchten sowie die Gelegenheit wahrnahmen, neue Produkte zu entdecken. Persönliche Vor Ort-Termine wurden ebenso vereinbart wie gemeinsame Aktionen. Gerade mit Blick auf innovative Angebote hoben REWE-Kaufleute die Wichtigkeit hervor, „die Ware einmal live zu sehen“ und gegebenenfalls auch zu verkosten, um einen konkreten Bezug zu den Produkten in der zentralen Artikelübersicht bzw. im Ordersatz zu bekommen.
Mit von der Partie waren unter anderem auch Vertreter von Kaufland (Region Ost), dem Handelsunternehmen also, das gemäß der Devise „Unser Herz schlägt regional“ agiert und demzufolge auch hier in Brandenburg intensiv nach Lebensmittelerzeugern und -verarbeitern Ausschau hält (siehe pro agro-Newsletter 06/2023). Zum Ausbau des gemeinsamen Geschäfts stehen für den Großflächenbetreiber derzeit vor allem Obst- und Gemüselieferanten hoch im Kurs – was im Übrigen für den Berliner Großhändler Peter Keuthmann gleichermaßen gilt (siehe unseren Bericht in der Rubrik PARTNER dieses Newsletters).
Im Gespräch: Uwe Engelmann vom Löwendorfer Geflügelhof (links) mit EDEKA-Kaufleuten.
Auch die Hersteller zeigten sich hochzufrieden und zogen eine überaus positive Bilanz. Nicht jeder von ihnen verfügt über eine exklusive Vertriebsmannschaft, so dass Plattformen wie die Warenbörse „eine sehr gut Gelegenheit“ für den persönlichen Kontakt sind, wie die Gläserne Molkerei urteilt. Und gerade weil es sich bei diesem Format um keine Massenveranstaltung handelt, hatten beide Seiten hinreichend Zeit für intensive Gespräche, so die Glina Whisky Destillerie. Newcomer wie die Agrargenossenschaft Dürrenhofe – sie war zum ersten Mal dabei – konnten viele neue und nützliche Kontakte knüpfen. Mit einem Augenzwinkern hieß es auf deren Stand: „Wollten wir die Nachfrage nach Obst und Gemüse komplett befriedigen, müssten wir noch 5.000 ha Land dazupachten“.
Einen weiteren wichtigen und grundlegenden Aspekt brachte Golßener Lebensmittel auf den Punkt. Neben den Gesprächen mit dem Handel und anderen Vermarktern entstehen bei solchen Veranstaltungen Partnerschaften mit Branchenkollegen aus dem Lieferantenkreis – ein wesentlicher Baustein für regionales Netzwerken. Insgesamt: Die Begegnung von Ausstellern und Fachbesuchern hat sich für beide Seiten auch diesmal gelohnt.
Gut drauf: Vivian Böllersen von der gleichnamigen Walnussmeisterei.
Der Zeitpunkt der Warenbörse hätte übrigens nicht besser gewählt werden können, und zwar zeitlich wie inhaltlich. Denn just am 11. Juli 2023, dem Tag der Warenbörse, wurden parallel die Ergebnisse der Trendumfrage 2023 – das ist die integrierte Halbjahres-Umfrage des jährlichen pro agro-Branchenbarometers – per Pressemitteilung veröffentlicht (siehe den Bericht in der RubrikBranche dieses Newsletters). Hier wurden die regionalen Lebensmittelhersteller unter anderem gefragt, ob sie „die aktuelle (Krisen-) Situation nutzen, um strategische Anpassungen im Unternehmen vorzunehmen“. Ergebnis: Weit über die Hälfte der befragten Unternehmen (59 Prozent) gaben zu Protokoll, sie würden sich auf die Suche nach weiteren Absatzmöglichkeiten bzw. Vermarktungspartnern machen; und fast ein Drittel (32 Prozent) sagten, sie wollten nach „strategischen Kooperationen entlang der Lieferkette“ Ausschau halten. Dazu pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold: „Gewollte Terminüberschneidung oder nicht – das Konzept der Warenbörsen unterstützt, wie andere pro agro-Aktivitäten auch, diesen in der Online-Umfrage zum Ausdruck gebrachten Vernetzungsgedanken in der Praxis. Die Warenbörse war wieder ein Beleg dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Kopf hoch in der Krise!
Nach einem schwachen ersten Halbjahr zeigt sich die Ernährungswirtschaft in Brandenburg auch für das gesamte Jahr 2023 skeptisch, wenn nicht sogar pessimistisch. Dieses negative Stimmungsbild vermittelt die pro agro-Trendumfrage, die vor kurzem veröffentlicht worden ist. Angesichts der weiter bestehenden Absatzkrise sieht sich die Branche mit wachsenden Problemen und Herausforderungen konfrontiert. Inzwischen sucht ein maßgeblicher Anteil von Erzeugern und Verarbeitern nach neuen Absatzwegen und -potentialen. Ferner zeichnet sich ab, dass der Abbau von Personal gedanklich kein Tabu mehr ist, selbst wenn Betriebsschließungen in diesem bedrohlichen Szenario noch nicht im Raum stehen. Lesen Sie nachfolgend die Kernergebnisse der Online-Befragung.
Die harten Basisfakten, mit denen die Lebensmittelhersteller in Brandenburg seit Beginn der Ukrainekrise leben müssen, sehen folgendermaßen aus: Im Rückblick auf die Geschäftsentwicklung im ersten Halbjahr 2023 erwartet eine übergroße Mehrheit der befragten Unternehmen, dass das gesamte Jahr miserabel ausfallen wird. 62 Prozent rechnen mit einer Verschlechterung der Entwicklung, 19 Prozent sogar mit einer „deutlichen Verschlechterung“. Nur 12 Prozent meinen, dass sich die Geschäftsaussichten verbessern werden (siehe Grafik „Deutliche Verschlechterung der Geschäftsaussichten“).
Ein direkter Zusammenhang besteht dabei sicherlich mit den beschränkten Möglichkeiten, gegenüber dem Handel oder Verbraucher Preissteigerungen durchzusetzen. Der überwiegende Teil der Unternehmen (77 Prozent) konnte nur weniger als 30 Prozent der erhöhten Erzeugerpreise kompensieren. Eine vollständige Weitergabe der krisenbedingten Belastungen ist lediglich 4 Prozent der Befragten gelungen.
Konkret rechnen 27 Prozent der befragten Unternehmen damit, dass ihre Umsätze über’s Jahr gesehen sinken, ein Drittel geht von bestenfalls stagnierenden Erlösen aus – wenn auch mit der Einschränkung „auf niedrigem Vorjahres-Niveau“. Rund 40 Prozent sehen das Ende der Talsohle erreicht und glauben, dass sich das Geschäft „langsam mit positiver Tendenz stabilisiert“. Nur eine Handvoll Unternehmen (3 Prozent) erwartet deutlich steigende Umsätze (siehe Grafik „Umsatzstabilisierung mit leichtem Positiv-Trend“).
Wenn auch diese Zahlen in der Gesamtbetrachtung alles andere als berauschend sind, weist Kai Rückewold dennoch auf ein positives Phänomen hin: „Trotz der andauernden Krisen durch Ukrainekrieg, Inflation und Energieteuerung für die regionalen Lebensmittelhersteller stecken die meisten Unternehmen den Kopf nicht in den brandenburgischen Sand, sondern suchen aktiv in ihren Netzwerken und in Kooperation mit unserem Verband nach neuen Absatzkanälen und neuen strategischen Partnerschaften,“ sagt er.
In der Tat stehen auf die Frage, welche strategischen Anpassungen in der Krise vorgenommen werden, die Suche nach neuen Absatzchancen (59 Prozent) und Kooperationspartnern (32 Prozent) oben auf dem Aktionsplan. Im Produktionsbereich wiederum wird teilweise mit der Anpassung der Sortimente (z.B. Fokussierung auf Bestseller) an die betriebswirtschaftlichen Anforderungen reagiert. Ohne Einschnitte bzw. strukturelle Veränderungen im Personalbereich wird es nach Auffassung von 18 Prozent der befragten Unternehmen allerdings nicht mehr gehen (siehe Grafik „Fokus liegt auf weiteren Vermarktungswegen“.
Informationen zur Umfrage Von den rund 650 Branchenunternehmen in Brandenburg haben sich 98 an der Online-Befragung beteiligt. Davon sind mehr als die Hälft als GmbH, GbR, OHG oder KG organisiert; der andere Teil besteht aus kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) sowie Einzelunternehmen. Das Trendbarometer 2023 hat keinen Anspruch auf wissenschaftliche Repräsentativität. Über 60 Prozent der Umfrageergebnisse stammen direkt von pro agro-Mitgliedern. Grafiken zur Umfrage können Sie unter folgender Adresse anfordern: presse@proagro.de.
28. Brandenburger Landpartie
So viel Publikum aus Berlin und Umgebung bekommt das ländliche Brandenburg nicht jeden Tag zu Gesicht. Doch an einem ganz bestimmten Termin im Jahr, nämlich jeweils am zweiten Juni-Wochenende, schwärmen Scharen von interessierten Menschen aus nah und fern aus, um einen Blick hinter Scheunentore und Stalltüren, in Gärten, Vorratskammern und Hofläden zu werfen und sich ein Bild vom Leben auf dem Lande zu machen. Anlässlich der 28. Brandenburger Landpartie am 10. und 11. Juni 2023 war es wieder so weit: Rund 70.000 Besucher schauten bei über 150 Betrieben und Höfen in 140 Orten vorbei und informierten sich über Themen wie Erzeugung und Produktion von Lebensmitteln, Regionalität und Kreislaufwirtschaft oder die Potentiale der Brandenburger Landwirtschaft als Grundversorger.
Unter dem Motto „Entdecken – Erleben – Genießen“ waren in diesem Jahr 25 Betriebe zum ersten Mal dabei. Zu den insgesamt 151 Gastgebern zählten ferner zwei Dutzend Ökohöfe und 15 landwirtschaftliche Ausbildungsbetriebe. Die Landpartie bot außer den klassischen Inhalten auch praktische Hilfe zur Berufswahl. Neben den an der täglichen Praxis orientierten Themen ging es ferner um drängende Zukunftsfragen und -herausforderungen wie Klimawandel, Fachkräftemangel und Digitalisierung.
Während der zentralen Eröffnungsveranstaltung auf dem Hof der PAE Marktfrucht GmbH in Putlitz (Prignitz) charakterisierte Landwirtschaftsminister Axel Vogel das Ereignis als eine Möglichkeit, „wahrzunehmen, was Landwirtschaft bedeutet bzw. wieviel Zeit und Arbeitskraft darin steckt, Nahrungsmittel zu produzieren“. Nur noch jeder fünfzigste Deutsche habe einen Bezug dazu. Das Wissen darüber sei in der Bevölkerung verloren gegangen, so dass es sehr lehrreich sei zu erfahren, „mit wieviel Aufwand und auch persönlichen Einschränkungen gearbeitet werden muss, damit wir unser tägliches Brot bekommen“.
Die Eröffnung: Landwirtschaftsminister Axel Vogel (Mitte) auf dem Hof der PAE Marktfrucht GmbH in Putlitz.
pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold wiederum äußerte die Hoffnung, dass es mit Veranstaltungen wie der Landpartie nicht nur gelingt, Wissen zum Thema Landwirtschaft zu vermitteln, sondern auch „die Menschen dafür zu begeistern, die heimische Region gemeinsam weiterzuentwickeln“. Damit dies gelingt, sei es wichtig, immer wieder die Bedeutung regionaler Wirtschaftskreisläufe zu betonen. Das geschehe hier und jetzt mit der Brandenburger Landpartie oder am Anfang des Jahres in der Brandenburghalle der Grünen Woche und zum Jahresende mit dem Brandenburger Schlachtefest.
Aus Sicht eines Gastgebers beschrieb Gerrit van Schoonhoven, Geschäftsführer von Gut Schmerwitz im Landkreis Potsdam-Mittelmark den Wert der Landpartie wie folgt: „Wir haben dadurch die Gelegenheit, den gesamten Hof zu zeigen. Zudem haben wir immer nach einer Möglichkeit gesucht, einmal im Jahr ein Hoffest mit all unseren Partnern im Dorf und darüber hinaus zu veranstalten; genau das machen wir jetzt. Darüber hinaus findet die Landpartie zur idealen Zeit statt – zwischen dem Einsäen, dem Drillen und der Ernte.“
Hereinspaziert! Patrick Schulz vom gleichnamigen Gartenbaubetrieb in Bergsdorf.
Apropos: Für die bevorstehende Erntezeit warben Gastgeber und Organisatoren der Brandenburger Landpartie um Geduld und Verständnis, wenn auf den nächsten Fahrten durchs Land ein Traktor oder eine Erntemaschine die Fahrtzeit bis zum Ziel ein wenig verlängert. Auch das gehöre nun mal zur Realität in einem landwirtschaftlich geprägten Flächenland, damit die regionalen Lebensmittel jeden Tag frisch auf den Tisch kommen. Alles rund um die diesjährige Landpartie finden Sie hier.
Die Brandenburger Landpartie wurde 1994 als Initiative des Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) des Landes Brandenburg ins Leben gerufen. Die publikumsstärkste Wochenend-Veranstaltung im ländlichen Raum wird vom Agrarmarketingverband pro agro, dem Landesbauernverband und dem Landfrauenverband gemeinschaftlich organisiert.
Gemeinsame Suche nach Lösungen
Nach einem ersten Austausch auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin setzten sich die brandenburgische Ernährungswirtschaft sowie die beiden Ministerien für Wirtschaft und Landwirtschaft erneut zusammen, um konkret über die Auswirkungen der Energiekrise und der negativen Inflationseffekte auf die Unternehmen zu beraten und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Rede ist vom 1. Runden Tisch „Zukunft Ernährungswirtschaft“, der am 26. Mai in den Räumen der Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) in Potsdam stattfand. Dem Kreis gehörten auf Einladung der WFBB und des Verbandes pro agro die Minister Jörg Steinbach und Axel Vogel sowie 17 Unternehmen an.
Fruchtbarer Meinungsaustausch beim 1. Runden Tisch „Zukunft Ernährungswirtschaft“.
Im Wesentlichen wurden zwei aus Sicht der Unternehmen wichtige Themen mit den Ministern erörtert und nach Lösungswegen gesucht.
Thema eins: Aktuelle Krisen und deren Bewältigung
Dr. Sebastian Schornberg (Havelia GmbH) und Sebastian Kühn (Eberswalder Wurst) berichteten über die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen in 2023/2024. Im Vordergrund standen hier die Energiekosten und Energieverträge 2024 einerseits sowie fehlende Renditen und damit verbundene Liquiditäts- und Finanzierungsengpässe andererseits. Hervorgehoben wurden insbesondere die – trotz einer gewissen Entspannung am Energiemarkt – dreifach höheren Energiekosten im Vergleich zum Vorkrisenniveau und die fehlende Bereitschaft von Energieversorgern, neue Verträge für 2024 abzuschließen.
Minister Steinbach empfahl, in energiesparende neue Energieversorgungssysteme zu investieren. In diesem Zusammenhang wies Sebastian Kühn darauf hin, dass die Ertragslage für Zukunftsinvestitionen keinen Spielraum lässt. Zusätzlich machte er die Minister auf eine zunehmende Zurückhaltung von Banken gegenüber der Ernährungswirtschaft aufmerksam. Anders ausgedrückt: Die Risikobewertung der Branche durch die Banken führt infolge der krisenbedingten Rahmenbedingungen zunehmend zu Problemen bei Finanzierungen.
Minister Vogel und Minister Steinbach nahmen diese Sorge auf und sagten zu, zu diesem Thema ein Spitzengespräch mit Finanzinstituten herbeizuführen.
Thema zwei: Förderung einer langfristigen Verbraucherkampagne für regionale Produkte
Hanka Mittelstädt (Ucker-Ei) und Klaus Voigt (Vion Schlachthof Perleberg) wiederum machten sich im Namen der Unternehmer-Initivative für die Fortführung der Verbraucherkampagne „Regionale Lebensmittel kaufen – jetzt erst recht!“ stark. Dabei verdeutlichten sie die Notwendigkeit einer mittelfristig angelegten Kampagne (mindestens drei Jahre) und eines ausreichenden Budgets von rund 1,2 Millionen Euro pro Jahr. Es wurde ferner hervorgehoben, dass hier ein namhafter Teil aus Landesmitteln bestritten werden muss. Auch eine entsprechende Förderung koordinativer Zusatzaufgaben von pro agro im Zuge der Kampagnenumsetzung kam zur Sprache.
Minister Steinbach und Minister Vogel fanden anerkennende Worte für die konkrete Aufbereitung der Vorstellungen der Unternehmer-Initiative, um nach sachdienlichen Lösungsansätzen zu suchen. Es wurde vereinbart, dass pro agro und die WFBB Ende Juni entsprechende Informationen aus den Ministerien erhalten.
Fortsetzung des konstruktiven Austauschs Die Teilnehmer vereinbarten, sich Anfang Oktober zu einem 2. Runden Tisch „Zukunft Ernährungswirtschaft“ in identischem Format erneut zu treffen. pro agro wird zeitnah die Auswertung der 1. Runde mit der Unternehmer-Initiative vornehmen und die Vorarbeit für den 2. Runden Tisch skizzieren. Noch offen ist der gemeinsame Austausch über Themen wie das Zusammenwirken mit dem Handel in Richtung nachhaltiger Marktbeziehungen oder Fachkräftemangel/ Automatisierung.
Edeka: „Wir werden die Zusammenarbeit vertiefen“
Das Branchentreffen, das kürzlich in den Räumen des Sanddorn-Produzenten Christine Berger GmbH & Co. KG in Petzow stattfand, beschäftigte sich diesmal vor allem mit dem Thema „Regionalität“. Dabei ging es u.a. darum, wie der Lebensmittelhandel in der Hauptstadtregion die Marktchancen regionaler Produkte einschätzt. Die zahlreich teilnehmenden Hersteller hatten Gelegenheit, die damit verbundenen Fragen direkt mit der Edeka Berlin/Brandenburg – vertreten durch Geschäftsführer Hans-Ulrich Schlender und den Leiter Regionaleinkauf Marcus Reh – zu erörtern. Intensiv diskutiert wurden außerdem die Potentiale für einen Ausbau der Zusammenarbeit und der Vermarktungschancen.
Gespannte Aufmerksamkeit: pro agro-Unternehmerstammtisch ganz im Zeichen der Zusammenarbeit mit dem Handel.
Zur Einstimmung gab Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin/Brandenburg, einen aktuellen Lagebericht über den gesamten Einzelhandel in der Hauptstadtregion. Demzufolge sind die Verbraucher nach wie vor verunsichert, ob sie angesichts der Inflation mit ihrem Geld auskommen. Das spiegelt sich auch im Konsumklima wider, dessen Werte vom Sommer 2021 bis zum Herbst 2022 regelrecht abgestürzt sind; zwar hat sich die Stimmung inzwischen leicht erholt, aber noch längst nicht das Ausgangsniveau erreicht.
Die Kaufzurückhaltung hat, so der Verbandschef weiter, im Lebenshandel zuerst den Bio-Bereich getroffen, gefolgt von regionalen, fair gehandelten und veganen Produkten. Der Einzelhandel werde sich zwar behaupten können, aber ohne Investitionshilfen für Digitalisierung und Energieeffizienz werde das Überleben schwer. „Wir müssen uns darauf einrichten, dass bei uns die Bäume nicht in den Himmel wachsen“, sagte er, zumal die Kaufkraft in Berlin und Brandenburg „nach wie vor nur schlechtes Mittelmaß“ sei. In Sachen Regionalität merkte Busch-Petersen an, dass das Thema in den Köpfen der Verbraucher offenbar noch nicht richtig angekommen sei. Da es sich hier auch um eine gesellschaftspolitische Frage handele, sei noch jede Menge Informationsarbeit zu leisten.
Mit dem Stichwort Regionalität gab er den rhetorischen Staffelstab weiter an Hans-Ulrich Schlender, der zunächst einige Kennziffern der Edeka Minden-Hannover des Jahres 2022 bekanntgab: knapp 11,3 Milliarden Euro Umsatz, rund 75.800 Mitarbeiter (einschließlich der selbstständigen Einzelhändler), zwei Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche, ca. 1.500 Märkte, 622 selbstständige Einzelhändler; hinzu kommen zwei Fleischwerke, fünf Backwaren-Betriebe und ein Fisch verarbeitender Betrieb. Überdies wurden im Vorjahr 65.000 Quadratmeter Verkaufsfläche neu erschlossen und 230 Millionen Euro in Märkte investiert (Renovierung, Umbau und Neubau); in Brieselang entsteht bis 2026 ein zusätzliches Edeka-Logistikzentrum für rund 1.000 neue Mitarbeiter. Kurzum: Mit diesen Zahlen repräsentiert Minden-Hannover die umsatzstärkste Regionalgesellschaft des Edeka-Verbundes; zum Verbreitungsgebiet gehören Ostwestfalen, Bremen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin.
Edeka-Privatissimum: Hans-Ulrich Schlender (links) und Marcus Reh im Fachgespräch mit Constance Trautmann (Klosterfelder Senfmühle).
Was die Listung regionaler Produkte angeht, machte der Geschäftsführer deutlich, dass Edeka für diese Thematik stets offen ist – nicht nur aus Gründen der Verbrauchernachfrage und der Sortimentsvielfalt, sondern auch aus übergeordneten Überlegungen, denn „wir wollen die Region stärken“, wie er betonte. Grundsätzlich stehe Edeka „beratend zur Verfügung, und zwar vom kleinen bis zum größeren Hersteller in der Region“. Marcus Reh erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass Regionalität allein als Verkaufsargument nicht reicht: „Das Produkt muss auch den Qualitätsansprüchen der Konsumenten gerecht werden“, sagte er und bekräftigte, dass er dies als Gesamtpaket einer Zusammenarbeit des Händlers mit den Herstellern sieht.
Zur Brandenburger Unternehmer-Initiative „Regionale Lebensmittel einkaufen – Jetzt erst recht!“ merkte Hans-Ulrich Schlender an, dass er eine solche Aktion für richtig und gut hält und der Handel gern von Anfang an dabei ist. Gleichzeitig gab er zum Ausdruck, dass er den Ruf nach Unterstützung durch die Politik nur bedingt für zielführend hält. Dahinter steht die Überzeugung, dass es Sache der Lebensmittelwirtschaft selbst ist, für eine erhöhte Nachfrage nach regionalen Produkten zu sorgen. „Denn Regionalität kann nicht jeder“, bekräftigte er, „aber wir als Handelsunternehmen können und wollen das, um eine win-win-Situation für uns und die Produzenten zu schaffen“.
Sebastian Kühn (Eberswalder Wurst) erläuterte in diesem Zusammenhang das Ziel der Kampagne, nämlich Nachfragedruck beim Verbraucher aufzubauen. Da die notwendigen Marketingmaßnahmen viel Geld kosten (was die Initiatoren finanziell teilweise überfordert), hat man sich eben auch um Landesmittel bemüht. „Allein kommen wir nicht von der Stelle“, sagte Kühn und appellierte an die Edeka, „gemeinsam mit uns dafür zu sorgen, dass die Kunden verstärkt regionale Produkte kaufen“.
Entspannte Atmosphäre: Sebastian Kühn (Eberswalder Wurst, links) und Rainer Kempkes (Golßener).
Bei den beiden Edekanern fiel der Appell auf fruchtbaren Boden. „Wir werden die Zusammenarbeit vertiefen“, versprach Marcus Reh, wies aber gleichzeitig darauf hin, „dass wir unsere selbstständigen Einzelhändler für die regionale Sortimentsstrategie ebenfalls gewinnen müssen“. Hintergrund: Listung allein genügt nicht, die Marktleiter müssen die gelisteten Produkte auch ordern. Das ist mit individueller Überzeugungs- und viel Kleinarbeit verbunden.
Einen Tag nach diesem offenen und fruchtbaren Gedankenaustausch erreichte uns folgende Mail des Teilnehmers Frank Gersdorf (Gläserne Molkerei): „Es war für mich eine sehr informative und gelungene Veranstaltung, auch wenn es zu den Themen Regionalität und Zusammenarbeit mit dem Handel noch Luft nach oben gibt. Ansätze sind sichtbar, nur muss noch viel getan werden, um auch wirklich in der Fläche voranzukommen und regionale Produkte deutlich wahrnehmbar für den Kunden zu platzieren und in sein Bewusstsein zu rücken.“
Ein persönliches Fazit, das Inhalte sowie eine gewisse Aufbruchstimmung auf den Punkt gebracht hat!
Ehrliche Produkte und Beharrlichkeit
Die Braumanufaktur Forsthaus Templin zählt selbst in der mit Attraktionen reich gesegneten Stadt Potsdam zu einem begehrten Ausflugsziel für Einheimische wie Touristen. Das liegt nicht allein an dem denkmalgeschützten Gebäude, das Jörg Kirchhoff und Thomas Köhler im Jahre 2002 gekauft, stilgerecht in eine Gasthausbrauerei umgebaut und ein Jahr später eröffnet haben. Das liegt auch daran, dass die Gäste quasi in Tuchfühlung mit den Gerätschaften, die für das Brauen von Bier unerlässlich sind, speisen und trinken. Die historischen Braukessel mit Kupferhauben haben die Inhaber in Selb, der bayerischen Porzellanstadt, ab- und im Gasthaus daheim wieder aufgebaut. Regionaler, frischer und authentischer geht’s also nicht, weil die Wirtsleute ihr Bier praktisch unter den Blicken der Kundschaft brauen und kredenzen.
Tragfähiges Konzept: Jörg Kirchhoff (links) und Thomas Köhler im Sudhaus.
Die beiden in Potsdam ausgebildeten Brauer und Mälzer hatten sich nach ihrer Ausbildung in Potsdam zunächst weiterqualifiziert (Jörg Kirchhoff zum Diplom-Braumeister und Thomas Köhler zum Brauingenieur), ehe sich ihre Wege trennten und sie in unterschiedlichen Regionen ihrem Beruf nachgingen. Aus den Augen verloren hatten sie sich seinerzeit freilich nicht, so dass sie eines Tages beschlossen, ihre Leidenschaft und Profession künftig als Unternehmer weiterzuentwickeln. In den zwanzig Jahren seit Gründung des Ausflugslokals, einem der ältesten in der Region, haben sie Höhen und Tiefen erlebt. Aber sie haben – im Unterschied zu etlichen Wettbewerbern – überlebt, und zwar durch solides Wirtschaften, behutsames Wachstum und natürlich durch Ideenreichtum.
„Die Craft-Bier-Produzenten schießen wie Pilze aus dem Boden“, bekräftigt Thomas Köhler, „aber viele verschwinden wieder vom Markt. Warum? Weil es nicht reicht, ein gutes, handwerkliches Bier mit innovativen Sorten herzustellen. Das muss auch verkauft werden. Um im Bier-Markt zu überleben, muss man eine gewisse Größe erreichen. Das ist uns gelungen, weil wir unser Wachstum finanzieren konnten.“ Heute beträgt der Ausstoß ca. 8.000 Hektoliter pro Jahr (Fass- und Flaschenbier). Rund 30 Mitarbeiter einschließlich Gastronomie und fünf Auszubildende halten den Betrieb am Laufen.
„Craft-Bier ist kein Massenprodukt“, ergänzt Jörg Kirchhoff. „Die Nische versuchen wir auszufüllen. Dadurch wird jeder neue Wettbewerber oder Nachahmer Schwierigkeiten haben, uns zu verdrängen. Um in diesem Geschäft erfolgreich zu sein, braucht man einen langen Atem. Und die Vorstellung, mit hohen Preisen entsprechend hohe Umsätze zu generieren, ist ein Trugschluss, da spielt der Verbraucher nicht mit.“
Wo der Verbraucher allerdings bereits in der Aufbauphase mitgespielt hat, ist das Thema Bio. Also haben die beiden Unternehmer schon 2007 komplett auf Bio umgestellt: Alle Rohstoffe stammen aus kontrolliertem und zertifiziertem ökologischen Anbau (weitere Informationen finden sie hier). Das war ein kluger Schritt, denn es dauerte nicht lange, bis der Naturkosthandel auf sie zukam und das Getränk unbedingt regional und in Flaschen haben wollte. Also sagten die beiden Brauer der bisherigen Handarbeit (Abfüllen, Etikettieren, Laborflaschen-Waschmaschine etc.) weitgehend „ade“ und bauten eine Flaschen-Abfüll-Linie auf, deren Maschinen über die Jahre immer leistungsfähiger wurden.
Idylle pur: Das Forsthaus Templin.
In Sachen Vermarktung war das der Beginn einer Erfolgsgeschichte: Hatte man anfangs mehr oder weniger für den Eigenbedarf (Ausflugslokal) gebraut, war man jetzt geschäftlich insoweit gefestigt, als die großen Absatz-Player mit im Boot waren: Terra Naturkosthandel als Hauptabnehmer, dazu Bio Company, Alnatura und andere, also hauptsächliche regionale Bio-Einzelhändler mit Ausstrahlung nach Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Hinzu kamen konventionelle Einzelhändler wie Getränke-Hoffmann, Edeka, Rewe oder Kaufland.
„Wir vermarkten absolut regional, also im Umkreis von etwa 80 Kilometern um Berlin“, erklärt Thomas Köhler. Man habe überhaupt keine Vertriebsmannschaft, die in die Region ausschwärmt, sondern der Handel komme von sich aus auf die Braumanufaktur zu – als Folge „einer Art Mundpropaganda“. Und man verfügt über ein gewisses Alleinstellungsmerkmal, wie Jörg Kirchhoff hervorhebt: „Wir haben den Dreiklang von historischen Produkten (Potsdamer Stange, die Werdersche, die Weiße), Bio-Produkten und kompletter Regionalität (Produktion, Vermarktung)“, fasst er zusammen.
Neben der Tätigkeit als Brauer und Geschäftsmann ist Jörg Kirchhoff auch vielfältig ehrenamtlich tätig, darunter als Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Klein- und Gasthausbrauereien in Brandenburg. Hier ist auch das Projekt „Brandenburger Bierstraße“ angesiedelt, dem inzwischen 20 Mitgliedsbetriebe angehören. Ziel dieser Initiative ist, dass die heimischen Bierbrauer besser als Gemeinschaft wahrgenommen werden. Und nicht zu vergessen die Museumsbrauerei mit der ältesten Braupfanne Brandenburgs von 1834. Sie befindet sich in Paaren/Glien, direkt unter den pro agro-Büros, und ist dort von den beiden Bierbrauern eingebaut worden. Hier werden Biere nach historischen Verfahren mit alten Getreiden gebraut.
Heimische Produkte sichtbar und erlebbar machen
Der zur Schwarz-Gruppe (Neckarsulm) gehörende Lebensmitteleinzelhändler, quasi die große Schwester von Lidl (was Verkaufsfläche und Artikelzahl angeht), zählt zu den führenden Anbietern von Gütern des täglichen Bedarfs – nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Maßstab. Von dem Großflächenbetreiber weiß man, dass er das Angebot an regionalen Produkten in seinen mehr als 750 Filialen über die Jahre konsequent auf- und ausgebaut hat. Nachhaltigkeit und Regionalität sind inzwischen zu einem wesentlichen Bestandteil der Sortimentsphilosophie geworden. Das gilt auch für die Filialen in Brandenburg und Berlin.
„Unser Herz schlägt regional“ heißt die Kaufland-Devise, was keineswegs nur eine leere Floskel ist, sondern in den Sortimenten täglich gelebt wird. In Zahlen sieht das so aus: Deutschlandweit arbeitet das Unternehmen mit über 1.800 regionalen Lieferanten zusammen, die für ca. 25.000 Produkte stehen. Und was versteht man unter regional? „Für uns gelten diejenigen Produkte als regional, die maximal 30 Kilometer von der nächsten Kaufland-Filiale hergestellt werden und von Lieferanten stammen, die in der Region verwurzelt sind“, erklärt Teresa Baumann (Foto), Leiterin Regionalität im Einkauf bei Kaufland Deutschland.
Die regionalen Produkte sind am Regal mit dem für Kunden deutlich sichtbaren „Regio-Herz“ gekennzeichnet. Auf dem Label ist vermerkt, in welchem Bundesland das Produkt hergestellt worden ist; bei Einhaltung der 30 Kilometer-Grenze wird auch der konkrete Produktionsstandort vermerkt. Das Angebot selbst variiert je nach Region und Saison und besteht unter anderem aus Eiern, Molkereiprodukten, Obst und Gemüse, Wurstspezialitäten, Backwaren, Mineralwasser, Wein und Bier.
Was es mit dem regionalen Angebot im Detail auf sich hat, kann die Kundschaft auf unterschiedliche Weise erfahren, nämlich
beim Einkauf selbst, wo der Kunde sich direkt am Regal durch sinnliche Wahrnehmung der Produkte sowie entsprechendes Info-Material ein Bild machen (und seine Kaufentscheidung fällen) kann oder
durch digitalen „Besuch“ der entsprechenden Kaufland-Website (siehe auch hier).
Auf der Website finden Interessierte Verbraucher eine Vielzahl von Informationen. Inhaltlich geht es dabei beispielsweise um die Vorteile des regionalen Einkaufs, die Kaufland-Kriterien für Regionalität, die Produkte oder den Saisonkalender für regionales Obst und Gemüse. Überdies gibt es dort Hinweise auf einen speziellen Baustein des Regionalitäts-Konzepts, die so genannten Regio-Tage, die in Standorten unterschiedlicher Regionen stattfinden. Gerade dieser Tage geht die diesjährige Aktivität, die Anfang Juni begonnen hat, ihrem Ende entgegen. Bundesweit haben daran knapp 300 Kaufland-Filialen teilgenommen, darunter sieben aus Berlin und 13 aus Brandenburg.
Hier interagieren Verbraucher und Lieferanten auf einer für beide Seiten gleichermaßen ertragreichen Plattform: Für die Verbraucher wird Regionalität erlebbar gemacht, indem sie regionale Lieferanten einer teilnehmenden Filiale persönlich kennenlernen oder Produkte direkt vor Ort verkosten können. Umgekehrt profitieren die Lieferanten von der Gelegenheit, ihre Spezialitäten in einem kommunikations- und verkaufsintensiven Ambiente exklusiv zu präsentieren und ihnen buchstäblich ein Gesicht zu geben.
Abgesehen von solchen zeitlich limitierten Sonderaktionen können regionale Lieferanten, die generell und dauerhaft in den Kaufland-Regalen präsent sein wollen, gern mit dem Neckarsulmer Unternehmen Kontakt aufnehmen (weitere Informationen finden Sie hier. Dazu Teresa Baumann: „Da die Nachfrage immer weiter steigt, sind wir stets offen für neue Produkte und immer auf der Suche nach regionalen Lieferanten.“
In den ersten beiden Folgen über die umfangreiche Studie zu den Vermarktungspotentialen von Regionalprodukten aus Brandenburg haben wir zunächst über die Umfrageergebnisse zum Konsumverhalten während und nach der gegenwärtigen Krisensituation sowie über Produktpräferenzen und Preisbereitschaft der Verbraucher berichtet.In einem weiteren Beitrag haben wir die in der Studie analysierten Kernzielgruppen für den Einkauf regionaler Produkte und die daraus abzuleitende Kundenansprache vorgestellt. Heute geht es um die Schlussfolgerungen für die Branche und die Verbandsarbeit von pro agro. Darüber sprachen wir mit pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold sowie der Fachbereichsleiterin Agrar- und Ernährungswirtschaft, Kristin Mäurer.
Andreas Ebeling (Brandmeyer Markenberatung) und Kai Rückewold stellen die Studie vor
Wie bewerten Sie die Studienergebnisse?
Rückewold: Sehr positiv, da sie bestätigen, dass wir mit unserer Arbeit auf dem richtigen Weg sind. Dabei denke ich an unsere Vernetzungstätigkeit sowie die vielen Maßnahmen und Aktionen zur Imagepositionierung von Lebensmittel-Produkten aus Brandenburg bei den Verbrauchern und beim Handel. Je mehr Produkte den Weg zu den Konsumenten finden, desto besser für die Region: Das schafft nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Arbeitsplätze und Einkommen für die Menschen sowie Steuereinnahmen für die Körperschaften.
Mäurer: Andererseits liefert uns die Studie Anhaltspunkte, wo wir noch eine Schippe drauflegen müssen. Gerade der beschriebene Zusammenhang von Versorgungssicherheit und strukturellen Verbesserungen im Land ist nicht allen Menschen klar. Hier müssen wir zusätzliche Informations- und Kommunikationsarbeit leisten.
Wo sollte man konkret noch eine Schippe drauflegen?
Rückewold: Zum Beispiel bei der Unternehmerinitiative „Regionale Lebensmittel kaufen – jetzt erst recht!“, die wir als pro agro koordinieren. Sie trifft auf großes Interesse bei der Bevölkerung bzw. bei den Verbrauchern. Ein Grund dafür ist sicherlich die Tatsache, dass die Initiatoren in Wort und Bild präsent sind – UnternehmerInnen zum Anfassen sozusagen. Das schafft Nähe und Gemeinschaftsgefühl.
Mäurer: Alle Beteiligten haben in diese Kampagne viel Zeit und Geld gesteckt: die Unternehmen, das Land und pro agro. Jetzt muss die Devise lauten: Wir machen weiter und hören nicht einfach auf; wir nutzen die bereits vorhandene Aufmerksamkeit und setzen die erfolgreiche Maßnahme fort.
Rückewold: Mit den Mitteln, die das Brandenburger Landwirtschaftsministerium für die Unternehmerkampagne zur Verfügung gestellt hat, konnten wir während der Grünen Woche 2023 und danach gut operieren. Aber: Wir brauchen eine Verstetigung des Mittelzuflusses, um nicht nur punktuelle Maßnahmen umzusetzen, sondern kommunikativ permanent am Ball zu bleiben, nicht nur für einige Monate.
Hat da nicht auch die EU ein Wörtchen mitzureden?
Rückewold: Zumindest wacht sie darüber, dass bei der Ausschüttung von Fördergeldern kein Land gegenüber einem anderen bessergestellt wird. Das muss die Politik natürlich im Auge behalten.
Aber abgesehen davon brauchen wir Nachhaltigkeit in der Kommunikation und damit Nachhaltigkeit in der finanziellen Unterstützung durch den Staat. Das ist kein Selbstläufer, das wissen wir, aber es ist eine Investition in die Zukunft.
Kai Rückewold: Immer im Einsatz für die regionale Ernährungswirtschaft
Was verstehen Sie unter Nachhaltigkeit in der Kommunikation?
Mäurer: In Brandenburg sollten sich Branchenvertreter, die Landesregierung und pro agro regelmäßig zusammensetzen und darüber diskutieren, welche branchenrelevanten Maßnahmen in welchem Zeitraum mit welchem Budget ergriffen werden sollten. Damit ließe sich ein Zeichen setzen, dass wir gemeinsam daran arbeiten, die Lebensmittel-Versorgung sicherzustellen und die regionale Wertschöpfung zu steigern.
Mit welchen Herausforderungen sind Sie dabei inhaltlich konfrontiert?
Rückewold: Die Ernährungswirtschaft repräsentiert zusammen mit der Landwirtschaft den größten Wirtschaftszweig des Landes. Das klingt erst mal gut. Was die Sache aber kompliziert macht, sind die strukturellen Unterschiede, denn hier geht es nicht nur um relativ große Unternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern, sondern auch um den Ein-Personen-Betrieb. Man denke nur an die ländliche Direktvermarktung. Wir müssen also die von uns initiierten Marketingmaßnahmen diesen Größenunterschieden jeweils individuell anpassen.
Kristin Mäurer beim Interview mit dem regionalen Hörfunk
Mäurer: Auch die Kontakte mit dem Lebensmittelhandel müssen verdichtet werden, indem wir mit ihm gemeinsam nach Lösungen suchen, wie regionale Produkte auf der Fläche bzw. in den Regalen so platziert werden, dass sie für den Verbraucher besser wahrnehmbar und sichtbar sind.
Da der Handel aber nur solche Sortimente und Produkte in seinen Läden anbietet, die der Verbraucher auch haben will, müssen wir unsere Maßnahmen darauf konzentrieren, Druck von unten – also beim Konsumenten – zu erzeugen. Dort müssen wir unsere Kommunikations-Power investieren. Und Geld natürlich auch.
Was heißt das für die künftige Verbandsarbeit?
Rückewold: pro agro hat in den 30 Jahren seines Bestehens viel auf die Beine gestellt und in Bewegung gesetzt, ein dichtes Netzwerk geschaffen und eine beachtliche Manpower mit 16 Mitarbeitern geschaffen. Das gilt es konsequent zu nutzen und weiter auszubauen. Gerade in den aktuellen Zeiten dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen, sondern müssen gemeinsam mit der Branche an der Zukunft arbeiten.
Zur Studie
Die im November und Dezember 2022 erarbeitete Studie mit dem Titel „Vermarktungspotentiale heben für Regionalprodukte aus Brandenburg“ basiert auf einer Online-Befragung von 2.000 Personen in ganz Deutschland, davon je 400 aus Berlin und Brandenburg. Über 300 Einzelergebnisse sind in der repräsentativen Gesamtstudie ausgewertet und zusammengefasst worden, und zwar jeweils nach Wohnregion und Zielgruppenzugehörigkeit der Befragten. Kaufmotivation, Kaufbereitschaft und -verhalten wurden ebenso unter die wissenschaftliche Lupe genommen wie Fragen der Erreichbarkeit und der Kommunikation. Die Studie wurde aus Mitteln des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes sowie des Brandenburger Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) gefördert. Eine PDF-Kurzfassung der Studie kann bei folgender Mail-Adresse angefordert werden: maeurer@proagro.de
Genusshandwerker mit Einsatz für die Region
„Brotkultur schmecken – Genuss erleben – Regionalität leben.“ Das ist die Devise, nach der Bäckermeister Tobias Exner (Foto) sein Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes „pflegt“. Die Geschichte des Betriebes geht bis in das Jahr 1928 zurück, als in der Beelitzer Karl-Marx-Straße 12 eine kleine Bäckerei eröffnete, die Vater Ingo 1976 übernahm und sich seinen Traum von der Selbstständigkeit erfüllte. Das war auch der Ort, wo seinem Sohn Tobias das Bäckerhandwerk in die Wiege gelegt wurde und wo er schließlich 2008 in die Fußstapfen des Vaters trat. Heute ist die mehrfach ausgezeichnete Familienbäckerei ein modernes mittelständisches Unternehmen und einer der größten Arbeitgeber in der Spargelstadt.
Illustrer Auftritt: Blick in das 2022 eröffnete Café „Brot & Zeit“.
Nach 1990 nahm das Unternehmen eine stürmische Entwicklung und wuchs auf über 40 Fachgeschäfte und Cafés in Berlin und Brandenburg an. Ungeachtet dieser bemerkenswerten Expansion ist Tobias Exner mit seinen rund 200 Mitarbeitern der Philosophie des Handwerks treu geblieben: „Als Innungsbäckerei stehen wir für höchste Qualität, regionale Zutaten und traditionelle Verarbeitungsweisen“, betont er und präzisiert: „Alles ist handgemacht.“
Dieses Statement („Alles ist handgemacht“) lässt sich durchaus weiter fassen. Um im Bild zu bleiben, könnte es auch heißen: Alles, was der innovative Genusshandwerker macht, „hat Hand und Fuß“. Das betrifft nicht nur sein Kerngeschäft, sondern auch seine Aktivitäten rund ums Produzieren und Verkaufen. So absolvierte er 2019 eine Ausbildung als Brotsommelier – kein leichtes Unterfangen, da er sich in acht Präsenzmodulen sowie in intensiven Arbeits- und Lernphasen zu Hause die neuesten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis aneignen, sprich „ordentlich büffeln“ musste.
Bei der Ausbildung ging es um eine Vielzahl von Themen rund ums Brot: Geschichte und Kultur, Brauchtum, Religion und Kunst oder Ernährungsfragen, deutsche und internationale Spezialitäten sowie aktuelle Marktzahlen zum Brotkonsum und vieles mehr. Über die Aneignung dieses breit gefächerten Fachwissens hinaus galt es noch, spezifisch sensorische Fähigkeiten zu trainieren, um auf dem Gebiet der „Bread Pairings“ seinen Mann zu stehen, also der Bestimmung, welche Brotsorte mit welchem Getränk, welcher Speise oder welchem Anlass harmoniert.
Keine leichte Übung also, aber gut für’s Geschäft und darüber hinaus – zumindest dann, wenn man so „gestrickt“ ist wie Tobias Exner; wenn man also Know-how und Phantasie nicht nur ins eigene Unternehmen steckt, sondern darüber hinaus mit anderen „Gewerken“ verknüpft.
So kam dem findigen Bäckermeister Anfang 2022 die Idee, eine zweckmäßige und vor allem nachhaltige Sekundärverwendung für das nicht verkaufte Brot seiner Fachgeschäfte zu suchen. Gefunden hat er die Potsdamer Braumanufaktur, die daraus die Spezialität „Brotbier“ braut – „eine mehr als gelungene Komposition aus feinster Braukunst und traditionellem Backhandwerk“, wie er schwärmt.
Dieses Kooperations-Beispiel ist kein Einzelfall. Der Unternehmer aus Beelitz zeigt auf ganzer Linie, dass er ein ausgewiesener Kommunikator und Netzwerker ist. Das betrifft sowohl den direkten Einsatz von Partner-Erzeugnissen in seinen Brot- und Backwaren (wie die Hemme-Buttermilch und die Kürbiskerne vom Syring Hof in seinem Buttermilch-Brot) oder den Verkauf regionaler Produkte in seinen zahlreichen Fachgeschäften (z.B. Sanddorn- und Wildobstprodukte von Christine Berger, Fleisch von Weidelandfarm oder Chutneys von Kochgenuss & Feinkost). Ein Hotspot für den Verkauf von Partnerprodukten ist vor allem das im Jahr 2022 eröffnete Café „Brot &Zeit“ in Beelitz-Heilstätten.
Zu seinem Selbstverständnis als Kommunikator und Netzwerker gehört aber auch, dass Tobias Exner als Vorstand beim Verband pro agro fungiert. Treibende Kraft seines Engagements ist die Überzeugung, seine Kenntnisse und Kontakte nicht nur in seinem Betrieb einzusetzen, sondern ein Stück seines Erfolgs zusätzlich der regionalen Branche insgesamt und damit dem Land Brandenburg zugute kommen zu lassen. Da versteht es sich von selbst, dass er sich gemeinsam mit 20 weiteren Unternehmen an der Initiative „Regionale Lebensmittel einkaufen – Jetzt erst recht!“ aktiv beteiligt (zur von pro agro koordinierte Kampagne siehe die Newsletter 11/2022 und 12/2022).
„Das Engagement für die Belange der Lebensmittelbranche in Brandenburg ist mir sehr wichtig“, betont Tobias Exner und fügt hinzu: „Wir als regionale Unternehmen und Erzeuger müssen unsere Kunden dafür sensibilisieren, dass regionale Produkte für Sicherheit und Transparenz stehen. Das geht am besten gemeinsam mit starken Partnerschaften in der Region. Nur so ist es uns möglich, unserer sozialen Verantwortung auch in schwierigen Zeiten, die von Krisen und steigenden Kosten geprägt sind, gerecht zu werden. Regionalität und Handwerk müssen sichtbar gelebt werden, damit wir auch zukünftig Ausbildungs- und Arbeitsplätze im Mittelstand Brandenburgs sichern können.“
Regionales Fleischprogramm für mehr Nachhaltigkeit
Der Fleischgroßhändler hat ein außergewöhnliches Alleinstellungsmerkmal: Der auf dem Berliner Fleischgroßmarkt angesiedelte Betrieb bildet mit seinen rund 4.400 qm Fläche (davon fast 40 Prozent für die Produktion) eine private Enklave auf dem umfangreichen Gelände, das der öffentlichen Hand gehört. Dem Unternehmen ist es im Jahr 2013 nämlich gelungen, dem Land Berlin die beachtlich große Fläche samt Gebäuden abzukaufen. Das gibt ihm Sicherheit, weil er auf dem Areal nicht Mieter, sondern Herr im Hause ist, sagt Inhaber Dennis Salomon (Foto).
Der gelernte Fleischer hat das Geschäft von der Pike auf gelernt und stand als junger Mann ebenso am Zerlegetisch wie andere Facharbeiter des väterlichen Betriebs. Wenn Not am Mann ist, zieht er noch heute Gummistiefel und Metzgerschürze an und zerlegt im Team die Schweine- oder Rinderhälften, obwohl das natürlich wegen seines hohen Arbeitspensums als Manager nur die Ausnahme ist. Das Unternehmen mit 50 Mitarbeitern führt er seit mehr als 20 Jahren zusammen mit seinem Geschäftspartner Stefan Barnick, der als Mitgesellschafter auch Vorsitzender des Aufsichtsrats ist.
Die Zerlegekapazität liegt bei 200 Tonnen pro Woche; umgerechnet sind das hauptsächlich rund 800 Schweine und zehn bis 15 Rinder (Bullen, Ochsen, Färsen, Kälber); auch die Verarbeitung von Lämmern gehört zum Programm. Die Rohware wird als Hälften geliefert. Produziert werden daraus Fleisch- und Wurstwaren, die bundesweit in der Gastronomie und in Betriebskantinen sowie in Fach- und Feinkostgeschäften (das KADEWE gehört auch dazu) vertrieben werden.
Viel Herzblut investiert der Unternehmer in die noch junge Initiative unter dem Label „Brandenburger“. Dahinter verbirgt sich sein im Jahr 2020 aufgelegtes und auf strengen Regeln beruhendes regionales Fleischprogramm. Das betrifft beispielsweise den Lebendtransport von Tieren. „Hier sind kurze Strecken für mich immens wichtig“, betont Dennis Salomon. So dürfen die Schweine-Mastbetriebe maximal 90 Autominuten und die von Rindern höchstens 60 Minuten vom nächsten Schlachthof entfernt sein. Das erspart den Tieren unnötigen Stress und dient der Qualität wie dem Geschmack des Fleisches.
Die neun zertifizierten Partnerbetriebe, die der Großhändler alle persönlich kennt und in Augenschein nimmt, haben sich nicht nur dem Tierwohl verschrieben, sondern sorgen durch das eigens angebaute Futter auch für mehr Nachhaltigkeit in der Region. Und durch den direkten Kontakt zwischen Erzeugung und Verarbeitung ist „eine optimale Transparenz und Kontrolle gewährleistet“, wie er sagt. Ebenso wichtig ist ihm allerdings ein übergeordneter Gesichtspunkt: „Wer regionale Produkte kauft, unterstützt nicht nur das Tierwohl, sondern auch die ansässige Wirtschaft sowie den Erhalt von Arbeitsplätzen“, bekräftigt er.
Die Züchter organisieren den Transport der Tiere von der Maststelle zum Schlachthof selbst. Da die Schlachtkapazitäten in Brandenburg in den vergangenen Jahren massiv heruntergefahren worden sind, ist die erste Anlaufstelle in der Regel der Großbetrieb Vion Perleberg, der wiederum die Hälften an die Salomon AG liefert. Die Rückverfolgbarkeit sei zu 100 Prozent gesichert, heißt es, da die wöchentlichen Kontingente in Absprache mit jedem Lieferanten festgelegt sind. Und: „Mit Vion gibt es eine spezielle Vereinbarung, dass unsere Tiere separat geschlachtet und zu uns transportiert werden. Hier bei uns werden sie ebefalls separat zerlegt“, so Dennis Salomon.
Das regionale Markenprogramm, das parallel zum „Normalgeschäft“ organisiert werden muss, verursacht beim Fleischgroßhändler natürlich spürbaren Zusatzaufwand. Den ist man im Interesse der Sache gern bereit zu tragen. Mehr noch: „Falls es in Brandenburg Zucht- bzw. Mastbetriebe gibt, die nach zusätzlichen Absatzmöglichkeiten Ausschau halten, können sie sich gern mit uns in Verbindung setzen“, appelliert Inhaber Dennis Salomon an potenzielle Lieferanten. „Denn wir wollen unser regionales Fleischprogramm forcieren und brauchen dafür mehr Partner, um dieses Wachstum hinzukriegen. Ich freue mich also über jeden Züchter, der sich bei mir meldet.“
Gesunde Ernährung für schmale Geldbeutel
„Ein voller Bauch studiert nicht gern“, sagt der Volksmund – ein leerer erst recht nicht, so viel ist gewiss. Deshalb kümmert sich das Studentenwerk Frankfurt/Oder nicht nur um die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Belange der Studierenden, sondern auch um deren leibliches Wohl. Das liegt in den Händen der Abteilung Hochschulgastronomie, die ihre Aufgabe folgendermaßen versteht und umsetzt: „Bereitstellung frischer und gesunder Mahlzeiten, die den vielfältigen Geschmäckern und den schmalen Geldbeuteln ebenso gerecht werden wie dem Gebot der Wirtschaftlichkeit“, so Torsten Kleinschmidt, der für Einkauf und Produktentwicklung zuständig ist (Foto 2.v.r., im pro agro-Kochstudio während der IGW Berlin).
Die organisatorische Herausforderung, aber auch der Reiz der Aufgabe liegt unter anderem darin, dass das Studentenwerk Frankfurt/Oder nicht nur die angehenden Akademiker in der Grenzstadt unter ihren Fittichen hat, sondern auch für die Standorte Eberswalde, Cottbus und Senftenberg zuständig ist. Die Rede ist also von insgesamt etwa 14.000 Studierenden und mehreren tausend Essen pro Tag; hinzu kommt der Betrieb von Bistros und Cafeterien. So stellt sich das jedenfalls während des laufenden Hochschulbetriebs dar; in der vorlesungsfreien Zeit entspannt sich die Lage natürlich etwas.
Zum ganzheitlichen Verständnis gehört ebenso, dass die gastronomischen Betriebe wie Mensen, Bistros und Cafeterias nicht als schiere Verpflegungsstationen gesehen werden. „Wir betrachten sie auch als attraktive Aufenthalts- und Kommunikationsorte mit entsprechender Einrichtung und Wohlfühl-Atmosphäre“, betont Torsten Kleinschmidt. In Klartext: Kasernen-Ambiente war früher, heute zählen Behaglichkeit und modernes Ambiente.
Das individuelle Einrichtungskonzept korrespondiert mit dem Speisenangebot: Das Studentenwerk betreibt in allen vier Standorten (mit insgesamt sechs Locations) eigene Küchen mit unterschiedlichen „Gewerken“ neben dem Kochen, also Fleischerei, Salatzubereitung oder Backstation. Die fachlich versierten Teams summieren sich auf rund 130 Mitarbeiter, die dank Know-how und Ausstattung vieles in handwerklicher Tradition fertigen können.
„Meine Aufgaben bewegen sich auf der Schnittstelle zwischen Wareneinsatz und Speiseplan“, erläutert Torsten Kleinschmidt. Einerseits tourt er also auf der Suche nach geeigneten Lieferanten durchs Land, und andererseits stimmt er allwöchentlich mit den Küchenchefs (im Jargon „Mensaleiter“ genannt) die Speisepläne für die jeweiligen Standorte ab. Manöverkritik und Optimierungs-Strategien gehören ebenfalls zu den regelmäßigen Koordinierungsrunden. „Das sorgt für vielseitige Speisepläne und schafft eine gute Struktur für den Einkauf“, hebt er hervor.
Da das Studentenwerk Frankfurt/Oder zum Verantwortungsbereich des Brandenburger Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) gehört, hat das Land bei den Speiseplänen ein Wörtchen mitzureden. Das mündet beispielsweise in die Vorgabe, den Studierenden zwar gehaltvolle und preiswerte Speisen anzubieten, das Prinzip der Wirtschaftlichkeit dabei aber immer im Blick zu haben. Oder es wird der Auftrag formuliert, verstärkt regionale Produkte einzusetzen und zu verarbeiten. Wobei mit „Regionalität“ Lebensmittel aus Brandenburg und den benachbarten Bundesländern gemeint sind.
Für die Speisen werden neben regionalen auch zunehmend Bio-Produkte verarbeitet. Bereits seit Herbst 2020 werden in den Mensen Kartoffeln, Reis und Rindfleisch zu 100 Prozent in Bio-Qualität angeboten. „Insgesamt streben wir bis 2025 rund 20 Prozent Bio-Anteil bei den Hauptmahlzeiten an“, erzählt Torsten Kleinschmidt. „Wir haben auch im Auge, wie sich Regionalität mit Bio verbinden lässt. Die wesentlichen Faktoren sind dabei allerdings die Nachfrage und die Wirtschaftlichkeit“, ergänzt er.
Der Speiseplan repräsentiert jedenfalls ein abwechslungsreiches Angebot, das auch wissenschaftliche Empfehlungen für eine gesunde Ernährung berücksichtigt. Dazu zählt ein hoher Anteil an Gemüse und Hülsenfrüchten, frischen Salaten und Ballaststoffen. Auf alle Fälle ist für jeden Geschmack etwas dabei. Für zusätzliche Vielfalt sorgen, dem allgemeinen Trend folgend, vegetarische und vegane Gerichte. Um diese Vielfalt weiter zu gewährleisten, ist Torsten Kleinschmidt, wie gesagt, viel in der Region unterwegs, „als Scout zur Rekrutierung von Lieferanten“, wie er sagt. Und: „Weitere Erzeuger und Verarbeiter von Lebensmitteln sind jetzt und in Zukunft willkommen, zur Bereicherung des Speiseplans in den studentischen Einrichtungen beizutragen.“
Tierwohl und Nachhaltigkeit zahlen sich aus
Mit seinem FairMast-Konzept hat der Geflügelfleisch-Anbieter Plukon neue Maßstäbe gesetzt – auch in Brandenburg, wo es vor ziemlich genau vier Jahren eingeführt worden ist. Tierwohl und Nachhaltigkeit stehen dabei im Vordergrund, ergänzt und verstärkt durch die Partnerschaft mit dem Deutschen Tierschutzbund und die Kooperation mit ausgewählten Geflügelzüchtern. Heute entscheidend ist jedoch, dass das ehrgeizige und aufwendige Programm im Markt angekommen und vom Handel wie von den Verbrauchern angenommen worden ist. Die Bilanz einer Erfolgsgeschichte.
„Die Vermarktung war anfangs alles andere als leicht“, erzählt Marketingleiterin Ulrike Rücker (Foto). „Der Verbraucher musste erst lernen, warum er jetzt für das Hähnchen mehr bezahlen soll. Doch die Akzeptanzund die Verkaufszahlen sindkontinuierlich gestiegen.“ Eine wichtige Rolle habe dabei der Handel gespielt, da er sich – vom Vollsortimenter bis zum Discounter – zunehmend dem Tierwohl verpflichtet fühle. „Davon hat unser Konzept natürlich auch profitiert“, ergänzt sie.
Das 2019 in Brandenburg eingeführte FairMast-System stützt sich im Wesentlichen auf folgende Maßnahmen: weitläufige Ställe mit Bewegungsfreiheit, Ruheflächen und Beschäftigungsmaterial; langsames Wachstum der Hähnchen, das heißt maximal 45g durchschnittliche Gewichtszunahme proTag; gentechnikfreies, hochwertiges Getreidefutter, hauptsächlich aus regionalem Anbau; Aufzucht nach den strengen Vorgaben des Deutschen Tierschutzbundes, kontrolliert von unabhängigen Zertifizierungsstellen nach den Tierschutz-Kriterien der Einstiegsstufe.
In den wenigen Jahren seit 2019 hat sich das Schlachtvolumen in Storkow verzehnfacht, nämlich von seinerzeit 10.000 auf heute rund 100.000 Tiere pro Woche. Allein diese Zahlen sind ein deutliches Signal dafür, wie grundlegend und positiv sich ökologisches Bewusstsein und entsprechendes Einkaufsverhalten der Verbraucher verändert haben. Die Tiere stammen ausschließlich von Landwirten aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (kurze Transportwege!), werden in den Haltungsstufen zwei und drei gezüchtet und im Lebensmittelhandel entsprechend vermarktet.
„Mit allen Landwirten, die uns beliefern, haben wir persönliche Kontakte“, betont Ulrike Rücker. So schwärmt der Plukon-Außendienst in regelmäßigen Abständen aus, besucht die Partnerbetriebe und macht sich ein Bild von der Tierhaltung vor Ort. Dabei geht es nicht allein um Kontrolle; ein wichtiges Element dieser Besuche ist auch die Betreuung bzw. Beratung der Züchter – egal, ob es um Stallgestaltung oder Investitionsplanung geht.
„Die Landwirte werden von uns nicht alleingelassen“, umschreibt die Marketinchefin die partnerschaftliche Zusammenarbeit und fügt hinzu: „Da wir mit einer überschaubaren Zahl von Betrieben kooperieren, können wir mit ihnen auch persönliche Kontakte pflegen“. Die offizielle Kontrolle der 20 Betriebe obliegt allerdings in regelmäßigen Abständen den vom Tierschutzbund akkreditierten Zertifizierungseinrichtungen oder, in Sachen Tiergesundheit, den Tierärzten, was insbesondere vor der Schlachtung geschieht.
Auch in Storkow hat sich die gegenwärtige Krisensituation bemerkbar gemacht: Die Verbraucher halten eher ihr Geld zusammen. Aber das ist aus Sicht des Unternehmens nur eine Momentaufnahme und kein Trend auf lange Sicht. Die Lage beruhige sich wieder, heißt es, das gesamte Konzept werde ohnehin nicht in Frage gestellt. „Deshalb wird es bei uns auch kein Zurück auf die rein konventionelle Methode geben. Wir wollen weg vom Mehr und hin zum Besser“, fasst Ulrike Rücker zusammen.
Dieser Überzeugung wurde auch die Arbeitsorganisation des Unternehmens angepasst: Der Betrieb in Storkow zählt derzeit 650 Mitarbeiter – über 200 mehr als noch vor einem Jahr. Darüber hinaus hat man vor kurzem eine Menge Geld in die Hand genommen und in die Logistik bzw. Lagertechnik investiert: zum Beispiel in Palettier-Roboter zum Sortieren, Bestücken und Kommissionieren der Ware oder in fahrerlose Transportsysteme sowie automatisches Wiegen und Etikettieren. Solche kostenintensiven Maßnahmen kompensieren einerseits den akuten Fachkräftemangel und optimieren andererseits die Logistik, also auch die Lieferqualität für den Handel.
In den Kühlregalen bzw. -truhen der Handelskunden sind die Fair-Mast-Produkte nämlich in der Regel mit deren jeweiligen Eigenmarken vertreten. Das erfordert ein individuelles, also differenziertes Branding der Verpackungen – ein Kraftakt bei flächendeckender Listung, wie man sich vorstellen kann. Und nicht nur das: Auch das Warenangebot wird differenzierter. Denn derzeit, so die Marketingchefin, kaufen die Verbraucher nicht mehr nur Brustfilets, sondern auch die etwas preisgünstigeren Schenkel. Das erhöht zwar den Verarbeitungs- und Logistik-Aufwand für’s Unternehmen, aber: „Wir begrüßen das sehr, da die Verwendung des ganzen Tiers viel nachhaltiger ist.“
Fundament einer zielgruppengerechten Kundenansprache
In der ersten Folge über die umfangreiche Studie zu den Vermarktungspotentialen von Regionalprodukten aus Brandenburg haben wir die Umfrageergebnisse zum Konsumverhalten während und nach der gegenwärtigen Krisensituation sowie zu Produktpräferenzen und Preisbereitschaft geschildert. Die Bilanz fiel hier überraschend positiv aus (den Bericht finden Sie hier). In der heutigen zweiten Folge beschreiben wir die in der Studie analysierten Kernzielgruppen für den Einkauf regionaler Produkte und die daraus abzuleitende Kundenansprache.
Generell identifiziert die gemeinsam vom Verband pro agro und der renommierten Markenberatung Brandmeyer erarbeitete Studie bei über 50 Prozent der Befragten eine hohe Affinität zum Kauf regionaler Produkte. Um dieses ermutigende Vermarktungspotential konkret zu differenzieren und zu beschreiben, haben die Experten durch die Auswertung tausender Einzeldaten sechs Konsumententypen herausgearbeitet (siehe Chart „Sechs unterschiedliche Zielgruppensegmente“). Drei davon zeigen eine so hohe Kaufbereitschaft, dass man sie als Kernzielgruppen bezeichnen kann. Es handelt sich um
Anspruchsvolle, trendbewusste Regionalkäufer
Qualitätsbewusste, frischeorientierte Regionalkäufer sowie
Preisbewusste Regionalkäufer.
Die drei weiteren identifizierten Zielgruppen (Genussaffine Probierkäufer, Preisbewusste Routinekäufer, Gleichgültige Impulskäufer) können laut Studie für das Thema „Regionale Lebensmittel“ vernachlässigt werden.
Sechs unterschiedliche Zielgruppensegmente
Quelle: pro agro/Markenberatung Brandmeyer
Zu den Kernzielgruppen zählen folgende Hauptmerkmale: „Anspruchsvolle“ und „Qualitätsbewusste“ unterscheiden sich in ihrem Altersaufbau nur unerheblich und haben eine starke Basis bei den 25- bis 44jährigen; im Unterschied dazu sind über 50 Prozent der „Preisbewussten“ älter als 55 Jahre. Dieser Sachverhalt spiegelt sich im monatlichen Haushaltseinkommen: Knapp die Hälfte der „Preisbewussten“ hat nur bis zu 2.000 Euro im Portemonnaie, während die anderen beiden Gruppen über rund das Doppelte verfügen.
Einkaufsorte für regionale Lebensmittel
Quelle: pro agro/Markenberatung Brandmeyer
Nicht überraschend sind die Aussagen zur „Einkaufshäufigkeit von Lebensmitteln aus eigener Region“: Die Werte fallen bei allen Typen sehr hoch aus (siehe Chart „Hohe Relevanz regionaler Lebensmittel“). Gleiches gilt für die Wahl des Einkaufsorts: Supermärkte und Discounter sind hier mit Abstand die Favoriten.
Hohe Relevanz regionaler Lebensmittel
Quelle: pro agro/Markenberatung Brandmeyer
Die aus der Studie abgeleitete Empfehlung lautet, dass die Erzeuger und Verarbeiter von Lebensmitteln bei der Vermarktung ihrer Produkte tatsächlich ausschließlich die Kernzielgruppen, also die anspruchsvollen, qualitätsbewussten und preisbewussten Regionalkäufer, im Auge haben sollten. Andernfalls ist die Wahrscheinlichkeit von Fehlstreuungen hoch und die dafür eingesetzten Mittel verfehlen ihre Wirkung. Bei der Wahl der geeigneten Kommunikations-Instrumente zur Kundenansprache müssen die Vermarkter wissen, welche Informationsquellen die drei Kernzielgruppen hauptsächlich nutzen: Etiketten, Infos auf den Produkten; „Flüsterpropaganda“ von Familie, Freunden oder Bekannten; Infotafeln im Lebensmitteleinzelhandel Wichtig: Social Media wie Instagram, Facebook oder Blogs sind da weniger gefragt (siehe Chart „Erreichbarkeit von Kernzielgruppen“).
Erreichbarkeit von Kernzielgruppen
Quelle: pro agro/Markenberatung Brandmeyer
Inhaltlich sollten Brandenburger Kunden laut Studie schwerpunktmäßig mit Themen angesprochen werden, die sich einerseits auf Produkteigenschaften und andererseits auf die Unterstützung regionaler Unternehmen und Strukturen beziehen: Geschmack & Qualität sowie „Gut für die Region“. Tierwohl & Vertrauen, „Heile Welt“ und Preis/Leistung fungieren hier eher als unterstützende „Begleitmusik“. Bei den stark urban geprägten Berlinern wiederum bietet sich eine intelligente Kombination aus sich ergänzenden Botschaften an: Neben den Brandenburger Prioritäten eignen sich hier noch zusätzlich die Themen „Gesund & natürlich“ sowie „Tradition & Nachhaltigkeit“.
Dieses Bündel von Kommunikations-Themen steht für eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie: Hohe Zustimmungswerte werden auch bei Einstellungen zu regionalen Lebensmitteln erreicht, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem Produkt stehen. Gemeint sind „weiche Faktoren“ wie das Bekenntnis zur Unterstützung regionaler Betriebe und Strukturen sowie das Gefühl, mit dem Kauf regionaler Produkte der Umwelt etwas Gutes zu tun. Auch diese übergeordneten und qualitativ wichtigen Bewertungen sollten also in die Kundenansprache einfließen.
Welche Schlussfolgerungen insgesamt aus den Studienergebnissen für die Branche und die Verbandsarbeit von pro agro zu ziehen sind, lesen Sie im nächsten Newsletter, der Ende Mai 2023 erscheint.
Zur Studie
Die im November und Dezember 2022 erarbeitete Studie mit dem Titel „Vermarktungspotentiale heben für Regionalprodukte aus Brandenburg“ basiert auf einer Online-Befragung von 2.000 Personen in ganz Deutschland, davon je 400 aus Berlin und Brandenburg. Über 300 Einzelergebnisse sind in der repräsentativen Gesamtstudie ausgewertet und zusammengefasst worden, und zwar jeweils nach Wohnregion und Zielgruppenzugehörigkeit der Befragten. Kaufmotivation, Kaufbereitschaft und -verhalten wurden ebenso unter die wissenschaftliche Lupe genommen wie Fragen der Erreichbarkeit und der Kommunikation.
Die Studie wurde aus Mitteln des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes sowie des Brandenburger Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) gefördert. Eine PDF-Kurzfassung der Studie kann bei folgender Mail-Adresse angefordert werden: maeurer@proagro.de.
„Nachhaltige Regionalität“ zunehmend gefragt
Nicht mehr lange, und die hundert Jahre sind voll: 1925 eröffnete Firmengründer Otto Weihe im Berliner Wedding mit einer Handvoll Angestellten ein Frucht-Einzelhandelsgeschäft. Heute ist das Unternehmen mit 300 Mitarbeitern auf dem Berliner Großmarkt angesiedelt; aus dem einstigen Hinterhof-Krämer ist einer der führenden Frischegroßhändler in Berlin und Brandenburg mit einem europaweiten Lieferantennetzwerk geworden. „Auf diese Leistung können wir als Familienunternehmen stolz sein“, sagt Björn Weihe, der das Unternehmen in vierter Generation gemeinsam mit Thomas Kollegger führt.
Frischelogistik: Kurze Transportwege zur Entlastung der Umwelt.
Den Spirit als Familienbetrieb, bei Weihe seit jeher vorhanden, wird auch die jetzige Inhabergeneration trotz wachsender Unternehmensgröße in die Zukunft mitnehmen. Was konkret darunter zu verstehen ist, zeigt sich nicht nur in den Führungsgrundsätzen wie flache Hierarchien, respektvoller Umgang mit den Mitarbeitern oder Verzicht auf Benachteiligungen und Diskriminierungen. Essenziell sind auch die Prinzipien nachhaltigen Wirtschaftens, also die Zusammenführung von Ökonomie und Ökologie durch Verbesserung der energiebezogenen Leistung, die Optimierung von Prozessen oder die Investition in energiesparende Technik (Details finden Sie hier).
Diese und andere Handlungsmaximen zeigen, dass man zwar offen für innovative Wege ist, gleichzeitig aber auch an traditionellen Werten festhält. Diese Haltung findet sich im partnerschaftlichen Umgang mit den Lieferanten wieder, wo, Verlässlichkeit, gegenseitiges Vertrauen und Stabilität der Beziehungen einen hohen Stellenwert haben. Das gilt nicht nur für das europaweite Erzeugernetzwerk, sondern auch für regionale Produzenten vor Ort.
„Gerade beim Thema Regionalität sind Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Produktion sowie die Vertrautheit zwischen Erzeuger und Verbraucher von großer Wichtigkeit“, umreißt Björn Weihe sein Verständnis von der Vermarktung heimischer Produkte. „Es ist uns wichtig, durch kurze Transportwege die Umwelt zu entlasten und die Frische der Ware zu gewährleisten“, betont er und fügt hinzu, dass Regionalität für das Unternehmen heißt: regionale Beschaffung und Vermarktung der Produkte.
Qualitätskontrolle: Prüfender Blick des Frische-Profis.
Zum Sortimentsangebot des Frischegroßhändlers gehören neben Obst, Gemüse und Salaten auch Getränke, Molkereierzeugnisse, Fisch und Feinkost, Fleisch und Wurstwaren sowie frische Convenience-Produkte – alles aus einer Hand natürlich. Geliefert werden die Produkte unter anderem an folgende Geschäftskunden: Gastronomie, Hotellerie, Kindergärten, Schulen, Seniorenheime, Catering oder Lebensmitteleinzelhandel.
Wichtige Abnehmer sind auch Pflegeeinrichtungen und die Schulversorgung, wobei hier vor allem saisonale und regionale Ware sowie Bio- und Fairtradeprodukte nachgefragt werden. Hoch im Kurs stehen immer häufiger Produkte unter dem Etikett „nachhaltige Regionalität“. Diesen Bereich will das Unternehmen weiter ausbauen, um auch dem Restaurantbetreiber entsprechende Erzeugnisse anbieten zu können. So lautet denn die klare Botschaft an die heimische Lebensmittelwirtschaft: „Regionale Erzeuger im Frischebereich sind herzlich eingeladen, sich mit dem Weihe-Einkaufsteam in Verbindung zu setzen. Das gilt insbesondere für Bio-Ware und Produkte nachhaltiger Regionalität“.
Kampf dem Verpackungsmüll!
Angesichts wachsender Verpackungsmüllberge sah sich der deutsche Gesetzgeber genötigt, aktiv zu werden und das Verpackungsgesetz zu verschärfen. Seit Jahresbeginn 2023 sind jetzt Letztvertreibende von To-go-Getränken und -Speisen verpflichtet, neben Einweg- auch Mehrwegbehältnisse für den Transport anzubieten. Einzelheiten dazu konnten Sie in unserem Interview mit dem Deutschen Verpackungsinstitut lesen (siehe pro agro-Newsletter 03/2023 hier). Heute schildern wir am Beispiel des noch jungen Brandenburger Start-ups PFABO, wie das Mehrweg- und Pfandsystem in der Praxis funktioniert.
Handy im Einsatz: Ein- oder Ausloggen der Mehrweg-Verpackungen
Die Initialzündung für die Geschäftsidee war ein Strandurlaub und die Sammlung von Plastikmüll. Das war im Jahr 2018. Nach dieser negativen Erfahrung fragte sich Juliane Spieker (Foto), wohnhaft im brandenburgischen Wildau, warum es so wenige Mehrwegverpackungen für Produkte des täglichen Bedarfs gibt und was zu unternehmen ist, um diesem Problem beizukommen. Zur Beantwortung dieser Fragen holte sie sich fachlichen Beistand durch ihren Bruder Adrian, der an der renommierten Ottto-von-Guericke-Universität in Magdeburg eine Masterarbeit zu eben dieser Thematik schrieb. Zwei Jahre später gründeten die Geschwister die PFABO GmbH, hergeleitet von dem Wort PFAndBOx.
Die Corona-Zeit mit ihren Lockdowns war eine denkbar ungünstige Situation für die Gründung eines Start-ups, gab den Jungunternehmern aber die Zeit, Mehrwegverpackungen für Lebensmittel alltagstauglich, nachhaltig und standardisiert zu gestalten und sich intensiv auf die Marktbearbeitung vorzubereiten: Produktentwicklung und -fertigung, Gebindearten,-formen und -größen, Zielgruppendefinition und -ansprache, Prozessorganisation und -optimierung. Damals wie heute steht, so die Gründerin, folgende Kernfrage als Unternehmens-Vision im Raum: „Wie schaffen wir es, gemeinsam mit den Unternehmen ein anforderungsgerechtes Produkt zu schaffen, das im Vergleich zu Einweg mehrfach nutzbar sowie ökologischer und ökonomischer ist?“.
Heute besteht PFABO aus sechs Mitarbeitern und hat ca. zwanzig regionale und überregionale Partnerunternehmen im Boot. In Berlin und Brandenburg sind das beispielweise der Lebensmittelhändler Bio Company, Vivantes Gastronomie oder der Fleischlieferant Bio Manufaktur. Alle zusammen stehen für ca. 100 Ausgabestellen.
PFABO-Boxen im Einsatz: Gut für Ökologie und Ökonomie.
Von Beginn an war klar, dass sich die Gründer nicht nur auf eine Marktebene, also den Endverbraucher, konzentrieren, sondern entlang der kompletten Wertschöpfungskette operieren wollen. Der Einsatz der modularen und zu 100 Prozent recycelbaren Mehrwegverpackungen soll also bereits beim Produzenten beginnen und sich über den Handel bis zum Endverbraucher fortsetzen. Das heißt konkret: Die vom Produzenten hergestellte Ware (z.B. Feinkostsalate) wird bereits in größeren PFABO-Boxen (zwei oder drei Liter) an die Ausgabestellen von Kantinen oder die Frischetheken des Lebensmittelhandels ausgeliefert und landet dort portionsweise in den kleineren PFABO-Behältern der Konsumenten.
Die Kunststoff-Mehrwegbox wie auch den entsprechenden Becher für Kalt- und Heißgetränke erhält der Endverbraucher gegen ein Pfand von fünf bzw. 1,50 Euro, das er nach Nutzung des Behälters bei den Ausgabestellen wieder bekommt. Da es in Deutschland nicht nur einen Mehrweganbieter gibt, hat sich der Mehrwegverband zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit der verschiedenen Anbieter in den Bereichen Reinigung und Rückgabe zu stärken. Dadurch soll dafür gesorgt werden, dass die gebrauchten Behältnisse mehr oder weniger überall abgegeben werden können.
Dazu Juliane Spieker, Gründungsmitglied des Mehrwegverbandes: „Es geht darum, wie man den Herausforderungen, die es bei einem solchen System gibt, gemeinsam begegnet. Das betrifft ja nicht nur die Rückholung, sondern auch den Aufbau einer flächendeckenden Spül-Infrastruktur. Und es müssen IT-Infrastrukturen geschaffen werden, so dass die Nutzer ihre Mehrweg-Verpackungen an unterschiedlichen Stellen ein- und ausloggen können.“ Noch ist das für PFABO ein überschaubares Problem: Zwei Drittel der Boxen kommen innerhalb von vier Wochen wieder zurück.
Was das Thema Boxen-Reinigung angeht, ist der „Letztvertreibende“, also der Caterer oder Händler vor Ort, dafür verantwortlich, hygienisch einwandfreie Mehrweggefäße auszugeben. Ist keine eigene Industrie-Spülanlage vorhanden, bietet PFABO einen nach Regionen gegliederten externen Service an. Die Regionen Hannover, Braunschweig, Hamburg und Berlin sind nach dieser Definition so ein Raum; die Kosten für die Inanspruchnahme des Spülservice trägt der Kunde.
In der kurzen Zeit seit der Gründung hat das Geschwisterpaar schon viel erreicht. Das ist auch der Politik nicht verborgen geblieben und hat Juliane Spieker im Vorjahr zur „Existenzgründerin des Landes Brandenburg 2022“ gekürt. Doch trotz der Erfolge und der öffentlichen Anerkennung verliert hier niemand die Bodenhaftung. „Vielleicht haben wir noch nicht für jede Anforderung das richtige Produkt“, sagt sie, „deshalb werden wir auch künftig gemeinsam mit unseren Kunden partnerschaftlich nach Ressourcen schonenden und ökologisch nachhaltigen Lösungen suchen.“
Die Zukunft der Ernährung immer im Blick
Das in Brandenburg angesiedelte Institut hat einen weit über die Landesgrenzen hinaus gehenden Ruf als kompetenter und kreativer Partner der Ernährungswirtschaft. Drei Bereiche markieren die Schwerpunkte seiner Tätigkeit: „Foodtech“ und „Planttech“, die für die Erforschung und Etablierung von innovativen Lebensmitteln aus pflanzlichen Rohstoffen zuständig sind, sowie „Testlab“, das als akkreditiertes Lebensmittellabor die Untersuchung und Bewertung der Produkte sicherstellt. Bekannt ist das IGV vor allem für die Entwicklung einer Vielzahl von Innovationen auf pflanzlicher Basis wie beispielsweise Erdnussflips oder Tempolinsen. Seit den 80er Jahren beschäftigen sich die Forscher und Entwickler mit dem Thema Mikroalgen als pflanzliche Rohstoffe. Was es damit auf sich hat und welche Perspektiven sich daraus für die Branche ergeben, beschreibt Inhaber Thomas Kretschmer (Foto).
Mikroalgen stellen gerade für den Lebensmittelbereich eine interessante Quelle als Proteine und Lipide (Fette) dar und können in dieser Hinsicht einen wichtigen Beitrag zur Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung leisten. Gleichzeitig hat die Kultivierung von Mikroalgen im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft auf dem Feld den Vorteil, dass bis zu 15mal mehr produziert werden kann und gleichzeitig bis zu 95 Prozent weniger Wasser verbraucht wird.
Im Zentrum des Bereiches Planttech steht derzeit die Entwicklung von Extraktprodukten aus Mikroalgen und pflanzlichen Rohstoffen. Bekannte Produkte, die aus Mikroalgen gewonnen und in Lebensmitteln eingesetzt werden, sind der aus der Spirulina-Alge isolierte Lebensmittelfarbstoff Phycocyanin sowie der aus der Haematococcus-Alge gewonnene Farbstoff Astaxanthin. Phycocyanin verleiht Lebensmitteln eine blaue Farbe und wird unter anderem in Fruchtgummis sowie in Biersorten wie zum Beispiel im Anti Aging-Bier der regionalen Neuzeller Klosterbrauerei eingesetzt. Astaxanthin wiederum ist als Futtermittelzusatzstoff ein wichtiger Baustein der Fischernährung in Zuchtanlagen.
Der Photobioreaktor: In den mit Wasser gefüllten Glasröhren entstehen die Mikroalgen – je mehr Sonne, desto mehr Algen.
Die Wissenschaftler des IGV haben sich über die Jahre fundierte Kenntnisse über das Wachstum von Mikroalgen, deren Wirkungsweise beim Einsatz der Extrakte sowie die wirtschaftliche Produktion der Mikroalgen wie der Extrakte angeeignet. Fast täglich kommen durch die eigene Forschung und Entwicklung sowie die Netzwerkarbeit neue Erkenntnisse hinzu. Im Mittelpunkt steht dabei die Gewinnung funktioneller Inhaltsstoffe, die in der tierischen und menschlichen Ernährung, in Nahrungsergänzungsmitteln, aber auch in der Kosmetik und Pharmazie angewendet werden können.
Für die weiterführende Analytik verfügt das IGV durch den Geschäftsbereich Testlab über ein akkreditiertes Lebensmittellabor. Dessen Stärken liegen in der Analyse von Lebensmittel- und Futtermittelinhaltsstoffen, von speziellen Getreiden oder Arznei- und Gewürzpflanzen sowie von ätherischen Ölen. Eine wichtige Rolle spielt ferner die Identifizierung von unerwünschten Stoffen. Molekular- und mikrobiologische Untersuchungen von Lebens- und Futtermitteln sowie Kosmetika runden das Portfolio ab. Darüber hinaus arbeiten die Forscher des IGV in Zusammenarbeit mit der Universität Potsdam an neuen ernährungsdiagnostischen Analysemethoden, um den Zukunftstrend der personalisierten Ernährung bei der Entwicklung von neuen Zutaten für Lebensmittelprodukte zu etablieren.
Das Institut: Gebündelte Kompetenz unter einem Dach.
Insgesamt arbeitet das Institut also mit Forschung und Entwicklung sowie Produktion in einem zertifizierten Umfeld die gesamte Wertschöpfungskette bei der Entwicklung von innovativen Lebensmitteln ab. Unterstützt werden diese Arbeiten durch die Kooperation mit nationalen und internationalen Forschungseinrichtungen und den wissenschaftlichen Austausch in Netzwerken. Somit ist das IGV in der Lage, durch Nutzung neuartiger Rohstoffquellen einen entscheidenden Beitrag zur Zukunft der Ernährung zu leisten.
Hintergrund: Das Institut für Getreideverarbeitung (IGV) ist seit mittlerweile 63 Jahren in Bergholz-Rehbrücke aktiv. Das 1994 privatisierte IGV wurde viele Jahre von Dr. Peter Kretschmer als Inhaber geführt. Heute steht mit Thomas Kretschmer und Katharina Fischer als alleinigen Gesellschaftern die nächste Generation an der Spitze des Familienunternehmens. Zum 1. März 2023 wurde Dr. Torsten Schweikert zum neuen Geschäftsführer der IGV GmbH berufen. Er arbeitet seit 2021 im Institut und leitet seitdem den Bereich Planttech.
Ein Brandenburger Gewürz-Pionier
Realschule, Zimmermann-Lehre, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, Studium mit Abschluss Bauingenieur. So sahen die Lehrjahre des Brandenburger „Gewächses“ Tobias Fahlberg aus. Das war die Pflichtübung. Doch sein eigentlicher Sehnsuchtsort war und ist die Landwirtschaf, also quasi als „Kür“. Die hat er zwischendrin absolviert, z.B. nach dem Schulabschluss als Spargelstecher auf den Äckern Brandenburgs oder nach dem Studium als Mitarbeiter auf den Feldern Marokkos. Zwei Jahre hat er in dem nordafrikanischen Land verbracht, hat dort geheiratet und ist mit seiner Frau Khadija nach Brandenburg zurückgekehrt. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Bauingenieur hat er sich wieder seiner Passion zugewendet: Seit 2018 baut er die Knollen des Safrankrokus an, erntet, bearbeitet und vermarktet das edle Gewürz in Handel und Gastronomie.
Es hört sich an wie eine etwas schräge Idee, Safran in Brandenburg anzubauen, eine Pflanze also, die üblicherweise in wärmeren Ländern wie Iran, Indien, Marokko oder Spanien gedeiht. „Keineswegs“, entgegnet Tobias Fahlberg, „in Brandenburg ist es in den vergangenen spürbar wärmer geworden, so dass die Pflanze in unseren Breitengraden besser wächst als früher“.
Um auf der sicheren Seite zu sein, hat er erst mal unterschiedliche Knollen ausprobiert; für den Feldversuch mussten eine gepachtete Ackerfläche von 1.500 qm sowie eine Ecke in Mutters Garten reichen. Ergebnis: Der Safran fühlt sich in den schweren Böden am Rande des Oderbruchs sichtlich wohl.
„Labortests haben bestätigt“, schreibt die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg, die mit dem Start-up eine Investitionspartnerschaft eingegangen ist, „dass die Qualität des Safrans in der ersten und damit besten Güteklasse liegt“. Na, wer sagt’s denn! Labortests und Partnerschaft haben schließlich dazu geführt, dass das derzeit aus zwei Mitarbeitern bestehende Familienunternehmen (das Ehepaar Fahlberg) die Anbaufläche kontinuierlich auf rund einen halben Hektar vergrößert hat.
In Deutschland gibt es nur wenige Vermarkter von Safran; das „wertvollste und teuerste Gewürz der Welt“, wie der Jungunternehmer sagt, wird in der Regel aus den Erzeugerländern importiert und als getrocknete Stempelfäden oder Pulver verkauft – meist in Kleinstmengen, weil es so teuer ist. Das hat weniger mit einem neumodischen Hype zu tun, denn schon unsere Altvorderen hantierten etwa beim Backen mit dem Gewürz. Man rufe sich nur die Zeile „Safran macht den Kuchen gehl“ des berühmten Kinderliedes ins Gedächtnis, wobei „gehl“ für „gelb“ steht.
Der knallrote Safran nimmt nämlich beim Koch- oder Backeinsatz eine gelbe Färbung an. Ansonsten punktet er weniger wegen einer auffälligen oder speziellen Aromanote, sondern vor allem als Geschmacksverstärker. Zugeschrieben werden ihm darüber hinaus etliche gesundheitsdienliche Eigenschaften: entzündungshemmend, schmerzlindernd, antioxidativ. Auch eine bestimmte Wirkkraft als natürliches Antidepressivum und sogar als Aphrodisiakum wird ihm nachgesagt. Die Produktion ist keine Geheimwissenschaft, aber sehr aufwendig, da die roten Stempelfäden der Blüten, und um die geht‘s, in mühevoller Handarbeit gezupft werden müssen.
Mit Anbau und Verarbeitung einer derart exotischen Frucht steht Tobias Fahlberg in Brandenburg allein auf weiter Flur. „Wir verstehen uns als eine Art Pionier“, sagt er. Neben diesem Alleinstellungsmerkmal kann er auf zwei weitere Markenkerne seines Safrans verweisen: Er ist bio und regional, und zwar durch und durch. Dies alles hat ihm 2022 im Rahmen des pro agro-Marketingpreises den Regionalpreis der EDEKA Minden-Hannover und damit eine Listung bei dem Händler eingebracht.
Während der diesjährigen Internationalen Grünen Woche konnte er im Zuge der von pro agro organisierten Handelsrundgänge in der Brandenburghalle einer Vielzahl von interessierten Kaufleuten sein Produkt präsentieren – nicht nur den Edekanern, sondern auch REWE und Kaufland. Wobei Fahlberg neben dem klassischen Lebensmitteleinzelhandel natürlich auch weitere Absatzwege „in Arbeit“ hat: den Online-Shop zum Beispiel oder Social Media-Kanäle wie Instagram und Facebook. Nicht zu vergessen die Gastronomen, die er selbst per Strecke oder über die Plattform 2020 beliefert.
Regionalität in Brandenburg weiter hoch im Kurs
Trotz Wirtschaftsflaute und Inflation sind regionale Lebensmittel in Berlin/Brandenburg und darüber hinaus gefragt. Viele Verbraucher wollen nach Ende der Krise sogar noch mehr heimische Produkte kaufen. Das zählt zu den zentralen Botschaften einer repräsentativen Konsumentenstudie, die auf Initiative des Verbandes pro agro mit der renommierten Hamburger Markenberatung Brandmeyer erarbeitet wurde. In drei Ausgaben des Newsletters stellen wir die wichtigsten Ergebnisse der Studie vor und beschreiben, welche Schlussfolgerungen für die Brandenburger Unternehmen und die Verbandsarbeit daraus zu ziehen sind.
Die umfangreiche Studie, die pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold (Foto rechts) und Andreas Ebeling (Markenberatung Brandmeyer) kürzlich im Rahmen einer Landespressekonferenz in Potsdam vorgestellt haben, ist mit dem Ziel erarbeitet worden, Potenziale zu identifizieren, um den Absatz von Regionalprodukten aus Brandenburg weiter zu steigern und in diesem Kontext herauszufinden, welche Maßnahmen am besten für die Wahrnehmung von Lebensmitteln aus Brandenburg geeignet sind.
Die Studie ist zudem vor dem Hintergrund der aktuell schwierigen Rahmenbedingungen für die Brandenburger Ernährungswirtschaft entstanden. Die hohe Inflation vor allem im Lebensmittelbereich und die damit zusammenhängenden Reaktionen des Handels und der Verbraucher haben bei landwirtschaftlichen Erzeugern und bei den Verarbeitern zu steigenden Kosten in Kombination mit stagnierenden bis fallenden Umsätzen und Erlösen geführt.
Dessen ungeachtet sollen die Ergebnisse der Branche Mut machen, alle Kräfte zu bündeln und die Krise zu überstehen. Denn die Studie sagt eindeutig aus, dass die Berliner und Brandenburger als Bürger der Hauptstadtregion – salopp formuliert – auf regionale Lebensmittel stehen. Werfen wir zunächst einen Blick auf das gegenwärtige Meinungsbild in der gesamten Bundesrepublik (siehe Chart „Während der Krise: Kauf regionaler Produkte in ganz Deutschland“): Hier scheint der einzelne Konsument seine Kaufbereitschaft für regionale Lebensmittel grundsätzlich nicht an die Krise zu koppeln: Über die Hälfte aller Befragten kauft konstant regional. Knapp unter 20 Prozent scheinen in der Krise die regionale Lebensmittelproduktion sogar stützen zu wollen. Und nur etwa ein Drittel verzichtet – hier und da – auf den Einkauf regionaler Lebensmittel.
Während der Krise: Kauf regionaler Produkte in ganz Deutschland
Quelle: pro agro/Markenberatung Brandmeyer
Wie aber sieht das Konsumverhalten aus, wenn die Krise vorbei ist? Das folgende Chart („Nach der Krise: Kauf regionaler Produkte nach Bundesländern“) hält aus Brandenburger Sicht ein überraschend positives Ergebnis bereit: Hier wollen 41 Prozent der Verbraucher (wieder) mehr regionale Lebensmittel einkaufen – und zwar deutlich mehr als woanders (Berlin 33 Prozent, Rest neue Bundesländer 30 Prozent, deutschlandweit 32 Prozent). Aus diesem für Brandenburg ermutigenden Befund lässt sich schließen, dass Handel und Hersteller die Verbraucheransprache zugunsten heimischer Produkte bereits jetzt, also noch während der Krisenzeit, intensivieren können und sollten.
Nach der Krise: Kauf regionaler Produkte nach Bundesländern
Quelle: pro agro/Markenberatung Brandmeyer
Im Sinne einer effizienten und erfolgreichen Kommunikationsstrategie ist es wichtig zu wissen, welches Potential Brandenburger Produkte bei den Konsumenten haben und welche Warengruppen in der Verbraucheransprache besonders hervorgehoben werden sollten. Auch hier gibt die Studie wertvolle Hinweise und Antworten (siehe Chart „Produktpräferenzen und Preisbereitschaft in Brandenburg“). So hat sich beispielsweise herausgestellt, dass Frischeprodukte „made in Brandenburg“ klar an der Spitze der Verbrauchergunst stehen. Da die Frage außerdem auf die Bereitschaft abzielt, höhere Preise dafür zu bezahlen, werden die Präferenzen zu einer eindeutigen Festlegung.
Produktpräferenzen und Preisbereitschaft in Brandenburg
Quelle: pro agro/Markenberatung Brandmeyer
Auf der Basis dieser bisherigen Einzelergebnisse zieht Kai Rückewold folgendes Zwischenfazit: „Die Daten und damit verbundenen Kenntnisse sollten wir im Dialog zwischen Produzenten und Handel nutzen. Gemeinsam müssen wir regionale Produkte im Lebensmitteleinzelhandel noch sichtbarer machen. Die Studie zeigt die Potentiale auf – wir müssen sie gemeinsam heben.“ (Weitere Ergebnisse veröffentlichen wir im pro agro-Newsletter 04/2023).
Zur Studie
Die im November und Dezember 2022 erarbeitete Studie mit dem Titel „Vermarktungspotentiale heben für Regionalprodukte aus Brandenburg“ basiert auf einer Online-Befragung von 2.000 Personen in ganz Deutschland, davon je 400 aus Berlin und Brandenburg. Über 300 Einzelergebnisse sind in der repräsentativen Gesamtstudie ausgewertet und zusammengefasst worden, und zwar jeweils nach Wohnregion und Zielgruppenzugehörigkeit der Befragten. Kaufmotivation, Kaufbereitschaft und -verhalten wurden ebenso unter die wissenschaftliche Lupe genommen wie Fragen der Erreichbarkeit und der Kommunikation. Die Studie wurde aus Mitteln des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes sowie des Brandenburger Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) gefördert. Eine PDF-Kurzfassung der Studie kann bei folgender Mail-Adresse angefordert werden: maeurer@proagro.de
Pflicht zum alternativen Mehrwegangebot
Deutschland ist der größte Verpackungsmüll-Produzent Europas – um die 19 Millionen Tonnen sind das pro Jahr, wie das Umweltbundesamt kritisch bilanziert. Die Politik sieht sich deshalb genötigt, steuernd einzugreifen und die Schrauben fester anzuziehen. So geschehen mit einer Änderung des Verpackungsgesetzes, die im Januar 2023 in Kraft getreten ist. Darin werden Gastronomen verpflichtet, für To-go-Getränke oder -Speisen neben Einweg- auch Mehrwegbehältnisse aus Kunststoff anzubieten. Über die damit verbundenen Anforderungen sprachen wir mit Winfried Batzke, Geschäftsführer des Deutschen Verpackungsinstituts (Foto).
Herr Batzke, welche Betriebe fallen unter die neue Gesetzgebung? In der Regel sind das kleinere Restaurants, Cafés, Tankstellen, Kioske, Kantinen und vergleichbare Anbieter. Betriebe mit maximal 80 qm Fläche und weniger als fünf Beschäftigten sind von der Regelung allerdings ausgenommen. Davon nicht befreit ist indessen die kleine Bäckerei oder der Coffee Shop, wenn sie zu einer Unternehmenskette mit mehr als fünf Mitarbeitern gehören.
Sind von der Vorschrift nur Kunststoffverpackungen betroffen? So steht es jedenfalls im Gesetz. Aber es lassen sich heute schon Tendenzen erkennen, die Vorschrift auf andere Materialien auszudehnen, zum Beispiel auf den Pappe- und Papierbereich. Bringt der Gast jedoch sein eigenes Behältnis mit, dann gilt die Regelung natürlich nicht.
dvi-Geschäftsführer Winfried Batzke
Wie sieht das System in der Praxis aus? Eigentlich recht einfach: Wenn der Kunde einen Kaffee mit auf den Weg nehmen möchte, dann muss ihm der Coffee Shop-Betreiber alternativ zum Einweg-Trinkbecher ein Mehrweg-Gefäß oder für den Salat die Mehrweg-Schale anbieten. Für das Mehrweg-Behältnis kann er natürlich ein Pfand erheben…
…das der Kunde nur dort wieder einlösen kann? In den meisten Fällen ja, was für beide Seiten nicht sonderlich vorteilhaft ist: Der Betreiber muss eine entsprechende Menge Bargeld vorhalten und der Kunde möglicherweise längere Wege zurücklegen, um das Pfand einzulösen.
Gibt es da keine eleganteren Lösungen? Doch. In Chemnitz ist beispielsweise ein Verbundsystem mit stadtweit einheitlichen Mehrwegbechern aus Kunststoff eingeführt worden. Kioske oder andere To go-Anbieter können sich an diesem System beteiligen. Je mehr das sind, desto besser für den Konsumenten, da er das Behältnis an vielen Stellen abgeben kann.
Wie sieht es mit der bundesweiten Abdeckung aus? Es gibt Poolsysteme wie etwa „Recup“ und „Rebowl“, die zwar noch nicht flächendeckend verbreitet sind, aber stark wachsen. Hier zahlt der Kunde für den Getränkebecher oder für die Salatschale Pfand, das er bei allen System-Partnern deutschlandweit einlösen kann. Manche Anbieter arbeiten auch mit Apps, wo das Pfand reingebucht wird. Wenn der Kunde in einem bestimmten Zeitraum das Behältnis zurückbringt, wird es wieder ausgebucht – wenn nicht, muss er es kaufen.
Foto: reCup
Das hört sich wieder nach unterschiedlichen Insellösungen an. In der Tat wäre ein bundesweit einheitliches Poolsystem ideal. Das wäre für den Kunden am komfortabelsten, weil es ihm Wege und die Frage erspart, welches Behältnis von welchem System stammt. Aber momentan sieht es nicht so aus, dass es dazu kommt, da sich bereits etliche unterschiedliche Pfandsysteme im Markt befinden.
Und welche Folgen haben solche Systeme für den Gastro-Anbieter? Er muss unter anderem die teuren Mehrwegbehältnisse selbst kaufen oder mieten; das rechnet sich für ihn nur bei entsprechend hohen Umlaufzahlen.
Worauf muss sich die Wirtschaft künftig noch gefasst machen? Seit Oktober 2022 gibt es im Rahmen der EU einen Verordnungsentwurf, der bindende Reduktionsziele für Verpackungsabfälle vorschreibt. Darin werden auch die „Höchstleerraumverhältnisse für Verkaufsverpackungen“ etwa für Kosmetik, Spielzeug oder Elektronik festgelegt.
Was heißt das in Klartext? Damit sollen Mogelpackungen mit Doppelwänden und -böden oder anderen Mitteln, die ein größeres Produktvolumen vorgaukeln, vermieden werden. Ein weiterer Grund ist sicherlich auch das deutlich gestiegene Verpackungsvolumen durch den Versandhandel.
Inwieweit ist die Lebensmittelbranche davon betroffen? Noch nicht. Aber die Erfahrung lehrt: Was für andere Branchen ausprobiert wird, kommt sehr wahrscheinlich auch auf die Lebensmittelwirtschaft zu. In jedem Falle ist die Rede davon, dass Einwegverpackungen für frisches Obst und Gemüse verboten werden sollen.
Endlich wieder Trubel in der Brandenburg-Halle!
Optimismus und Aufbruchstimmung allenthalben: Nach zwei Jahren Zwangspause wegen Corona konnte die Internationale Grüne Woche (20. bis 29. Januar 2023) in Berlin wieder in Präsenz stattfinden. Mit über 1.400 Ausstellern aus 60 Ländern sowie rund 300.000 Besuchern hat sie ihren Ruf als kompakte Dialogplattform der Ernährungs- und Landwirtschaftsbranche erneut bestätigt. Eine positive Bilanz zog auchLandwirtschaftsminister Axel Vogel: Die Brandenburg-Halle habe sich wieder als Ideenbörse und Handelsplatz sowie als Ort für Netzwerktreffen bewährt.
Volle Brandenburghalle: Gute Stimmung bei Ausstellern und Besuchern.
In der Brandenburg-Halle (21a) präsentierten sich über 50 Aussteller und insgesamt 200 wechselnde Anbieter aus der Region. Das Interesse der Konsumenten und des Fachpublikums an heimischen Produkten, kulinarischen Spezialitäten und touristischen Besonderheiten stimmte die Aussteller durchweg zufrieden. Sie nutzten den direkten Kontakt mit den Besuchern, um ihre Produkte und Konzepte zu präsentieren.
„Zum Auftakt und ersten Höhepunkt des Agrarjahres haben wir auf der Internationalen Grünen Woche die Regionalität in den Mittelpunkt der Diskussionen gestellt“, hob Minister Vogel hervor und ergänzte: „Der Griff zu regionalen konventionellen und Bio-Qualitätsprodukten hilft den Landwirtinnen und Landwirten, aber insbesondere auch, Arbeitsplätze und die Existenz des Brandenburger Ernährungshandwerks zu sichern.“
Im Rampenllicht: Alle Gewinner des pro agro-Marketingpreises 2023.
22. pro agro-Marketingpreis
Traditionell stand der erste Messetag im Zeichen des pro agro-Marketingspreises 2023 und der Prämierung kreativer und innovativer Unternehmen. Die Preisverleihung nahmen Minister Vogel, die Verbandsvorsitzende Hanka Mittelstädt und Geschäftsführer Kai Rückewold vor. Am Wettbewerb hatten 36 Unternehmen und Institutionen in den Kategorien Ernährungswirtschaft (10 Bewerbungen), Direktvermarktung (18) sowie Land- und Naturtourismus (8) teilgenommen. Im Lebensmittelbereich wurden folgende Bewerber ausgezeichnet:
(3) Bäckerei Dorn (Vom Teller ins Brot – wechselnde Saisonbrote)
Als Anerkennung erhalten die genannten Preisträger ein pro agro-Marketingpaket. Überdies werden die Produktinnovationen und Vermarktungskonzepte aller 36 Wettbewerbsteilnehmer in der Broschüre Neues aus Brandenburg. Ein Land voller Ideen dargestellt. (Mit einem Klick auf die Titelseite haben Sie Zugang zur Broschüre).
Zweifacher Gewinner: Wild & Taste mit EDEKA-Regionalpreis.
EDEKA-Regionalpreis
Unter den Bewerbern der Kategorien Ernährungswirtschaft und Direktvermarktung wurde dieser Preis auch 2023 ausgelobt. Geschäftsführer Hans-Ulrich Schlender übergab die Auszeichnung an Wild & Taste. Das Unternehmen erhält eine exklusive Vermarktung über die EDEKA-Handelsgesellschaft. Weitere Informationen rund um den pro agro-Marketingpreis 2023 finden sie hier.
Handels- und Gastronomierundgänge
Was im Jahre 2009 mit zwei Vertretern des Handels begann, hat sich in den letzten Jahren außergewöhnlich gut entwickelt. So waren diesmal rund 450 interessierte Lebensmittelhändler, Gastronomen und Caterer der persönlichen Einladung des Verbandes pro agro in die Brandenburghalle gefolgt. Dazu Geschäftsführer Kai Rückewold: „Um die Versorgung mit regionalen Produkten aus Brandenburg noch flächendeckender und sichtbarer für die Verbraucher zu gewährleisten, bedarf es der ständigen Kontaktpflege zu den Vermarktern. Das ist gleichzeitig eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren einer lückenlosen regionalen Wertschöpfungskette.“
Gute Laune (1): Kaufland bei Lothar Parnitzke (Kunella Feinkost).
Stammtisch der Brandenburger Ernährungswirtschaft
Wie früher fand auch diesmal der erste pro agro-Unternehmerstammtisch des Jahres im Rahmen der Grünen Woche statt. Teilgenommen haben neben Vertretern der Ernährungswirtschaft und der Direktvermarktung auch Staatssekretärin Anja Boudon vom Brandenburger Landwirtschaftsministerium. Inhaltlich ging es hauptsächlich um die Bewertung der IGW aus Unternehmenssicht.
Einerseits wurde begrüßt, dass die Messe wieder live stattfindet, andererseits aber auf die geringere Zahl an Ausstellern hingewiesen. Grund dafür sei die politische und wirtschaftliche Lage der Gegenwart (Ukrainekrieg, Inflation, exorbitant steigende Kosten), so dass sich manches Unternehmen den Messeauftritt wegen der hohen Standpreise nicht mehr leisten konnte. Die Relevanz der IGW wurde ebenso betont wie die Tatsache, dass zu diesem Zweck die Vielfalt der ausstellenden Unternehmen in der Brandenburghalle von besonderer Wichtigkeit bleibt.
Zwei Landesfeste
Am Brandenburgtag (23. Januar) gab Minister Vogel den Austragungsort der zentralen Eröffnungsveranstaltung der 28. Brandenburger Landpartie (10. und 11. Juni 2023) bekannt. Ausrichter wird diesmal die PAE Marktfrucht GmbH Putlitz in der Prignitz sein. Die komplette Broschüre mit allen wichtigen Informationen, teilnehmenden Betrieben und deren Angeboten erscheint Anfang Mai 2023. Außerdem übergab der Minister an die stellvertretende Bürgermeisterin von Kremmen, Manuela Nebel, den Staffelstab für die Austragung des 19. Brandenburger Dorf- und Erntefestes (9. September 2023). Beide Landesfeste werden im Auftrag des Landes Brandenburg von pro agro koordiniert.
Gute Laune (2): Minister Vogel beim Brandenburger Kochstudio.
Brandenburger Kochstudio
Der gut besuchte Anlaufpunkt zeigte an allen zehn Messetagen, wie vielfältig das Land Brandenburg auch in der Kulinarik ist. Abgestimmt auf die jeweilige Tagesregion des Bühnenprogramms und moderiert von Detlef Olle demonstrierten Köche aus Brandenburger Restaurants und Landgasthöfen ihre Fertigkeiten und stellten haustypische Gerichte mit heimischen Produkten vor. Weitere Informationen über den Auftritt der brandenburgischen Lebensmittelbranche auf der IGW 2023 finden Sie hier.
Existenzsorgen bei Erzeugern und Verarbeitern
Die Brandenburger Ernährungswirtschaft bleibt im Krisen-Modus. Die schon im Corona-Jahr 2021 arg gebeutelten Unternehmen – landwirtschaftliche Erzeuger ebenso wie verarbeitende Betriebe – sahen sich 2022 nahtlos mit der nächsten Krise konfrontiert: Ukraine-Krieg, Kosten-Explosion, Inflation. Die Stimmung hat sich aufgrund jener überaus negativen Rahmenbedingungen weiter verschlechtert. Das hat sich auch im Mitte Januar veröffentlichten pro agro-Branchenbarometer 2022 niedergeschlagen.
Das düstere Bild spiegelt sich beispielsweise in der Beurteilung des Geschäftsjahres 2022 wider: 59 Prozent der Befragten gaben zu Protokoll, die Lage sei im Vergleich zum Vorjahr schlechter geworden (ein Viertel klassifizierte sie sogar als „deutlich schlechter“); 19 Prozent sahen weder eine positive noch negative Entwicklung und nur 23 Prozent hielten die Situation für besser als 2021 (siehe Grafik „Wie beurteilen Sie das Geschäftsjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr?“).
„Die Kostenspirale bei gleichzeitig stagnierenden Preisen durch die Handelspartner sowie die inflationsbedingte Flucht der Verbraucher in No Name- und Billigprodukte bereiten unseren Mitgliedern und Patnern heftige Existenzsorgen“, fasst pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold die wirtschaftliche Bestandsaufnahme zusammen.
Als Vermarktungsweg nutzen über zwei Drittel der befragten Unternehmen (67 Prozent) hauptsächlich den Lebensmitteleinzelhandel (LEH), der somit der wichtigste Absatzkanal der Ernährungswirtschaft in der Hauptstadtregion ist. Gleichzeitig erzielen 48 Prozent der Unternehmen im LEH auch den stärksten Umsatzanteil.
Eine große Rolle bei der Vermarktung spielen ferner die Direktvermarktung und die Gastronomie mit 54 bzw. 53 Prozent, gefolgt von Großhandel/Gemeinschaftsverpflegung (49 Prozent) und Online-Handel (35 Prozent).
Ein „Dauerbrenner“ in der Branche ist das heikle Thema, ob und in welchem Umfang Kostensteigerungen der Produzenten an den Handel weitergegeben werden können, zumal in derart schwierigen und belastenden Zeiten wie gegenwärtig. Bei der Frage, um wieviel Prozent die individuellen Erzeugerpreise steigen müssten, um eine deutlich nachhaltige Zukunftsperspektive entwickeln zu können, sah nur eine verschwindend geringe Minderheit (4 Prozent) keine Notwendigkeit für eine Erhöhung. Die deutliche Mehrheit war der gegenteiligen Meinung und stellte in der Spitze (42 Prozent) sogar notwenige Preissteigerungen von mehr als 20 Prozent in den Raum.
Hanka Mittelstädt, Vorstandsvorsitzende von pro agro und gleichzeitig Inhaberin der Ucker-Ei GmbH, brachte das Dilemma folgendermaßen auf den Punkt: „Im Klartext muss aber auch gesagt werden: Von den extrem gestiegenen Preisen im Regal oder an der Ladentheke sehen wir als Hersteller recht wenig.“
Vom Verband selbst wünschen sich die Befragten die Unterstützung bei Projekten zu Nachhaltigkeit und bei der Förderung regionaler Wertschöpfungsinitiativen, gefolgt von aktiver Interessenvertretung gegenüber Politik und der breiten Öffentlichkeit. Um die künftige Vermarktung regionaler Produkte aus Brandenburg weiter zum Erfolg zu führen, hat der Verband eine breit angelegte Marktstudie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse demnächst vorgestellt werden. Erste Auswertungen zeigen bereits, dass mit verstärkten Anstrengungen in der Verbraucherkommunikation große Erfolgspotenziale für regionale Produkte aus Brandenburg zu realisieren sind.
Informationen zur Umfrage
Von den rund 650 Unternehmen haben sich 85 an der Online-Befragung beteiligt. 51 Prozent der teilnehmenden Unternehmen erwirtschaften bis zu einer Million Euro Umsatz und 35 Prozent über drei Millionen Euro (davon 10 Prozentpunkte über 50 Millionen Euro). Das Branchenbarometer hat keinen Anspruch auf wissenschaftliche Repräsentativität, ist aber aussagekräftig genug für ein klares Meinungsbild. 79 Prozent der Umfrageergebnisse kommen direkt von pro agro-Mitgliedern. Grafiken zur Umfrage können Sie unter folgender Adresse anfordern: presse@proagro.de.
Biomanufaktur Havelland: Der gute Mix bringt’s
Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, dass die Bio Company eine insolvente Fleischerei in Velten übernahm, wodurch der am Boden liegende Betrieb wieder auf die Beine gestellt wurde. Am Anfang der bemerkenswerten Erfolgsgeschichte stand allerdings ein millionenschwerer Parforceritt, bei dem praktisch kein Stein auf dem anderen blieb: Die Baulichkeiten wurden den Erfordernissen eines modernen Produktionsbetriebs angepasst, der marode und veraltete Maschinenpark durch zeitgemäße Gerätschaften ersetzt, das Sortiment konsequent auf die Kundenwünsche ausgerichtet. Von Beginn an dabei und mittendrin: Thomas Schubert, Geschäftsführer der Biomanufaktur Havelland.
„Manchmal sind Umbrüche Aufbrüche“, fasst der gelernte Fleischermeister die ebenso kurze wie erstaunliche Firmengeschichte zusammen. Das knappe Statement trifft auch auf ihn persönlich zu: Vor Übernahme der insolventen Veltener Fleischerei war er Chefeinkäufer Fleisch- und Wurstwaren bei der Bio Company; deren Inhaber Georg Kaiser übertrug ihm, kaum war der Kaufvertrag in trockenen Tüchern, die Geschäftsführung der Manufaktur.
„Aufbruch“ ist nach Schuberts Verständnis kein abgeschlossener, sondern ein fortwährender Prozess: Nachdem er den Betrieb mit viel Aufwand auf Vordermann, sprich: auf den neuesten Stand der Technik gebracht hatte, begann die eigentliche Arbeit: Produktion und Vertrieb von Fleisch- und Wurstwaren. Ganze elf Mitarbeiter (einschl. Verwaltung) hatte er anfangs mit im Boot, heute sind es 60; parallel ist der Umsatz von 2,7 auf knapp 17 Millionen Euro gestiegen.
Das Sortiment besteht aus ca. 350 Artikeln: Koch-, Brüh-, Roh- und Bratwurst, Schinken und Kassler, Rind-, Schweine-, Lamm- und Geflügelfleisch. Hinzu kommen verschiedene Salate (Kartoffel-, Fleisch,- Kraut- und Geflügelsalat). Selbst ein paar italienische Importspezialitäten (Parmaschinken, Mailänder Salami oder Mortadella) stehen auf dem Vermarktungszettel. „Wir produzieren täglich ca. 2,5 Tonnen Wurst“, erzählt Schubert. Darüber hinaus wandern z.B. pro Woche bis zu einer Tonne Hähnchenbrustfilets oder pro Monat etwa 1.100 Schweinehälften bzw. rund 640 Rinderviertel über die Zerlege- und Verarbeitungstische.
Die Rohware bezieht das Unternehmen von Naturland und Biopark, zwei biozertifizierten Verbänden, die mit ebensolchen landwirtschaftlichen Tierzüchtern zusammenarbeiten und auch für die Schlachtung sorgen. „Wir würden gern in eigener Regie in Berlin/Brandenburg schlachten lassen. Doch hierzulande sind die entsprechenden Kapazitäten praktisch auf Null runtergefahren worden“, bedauert Schubert. Aber mit den beiden Verbänden habe er zwei vertrauenswürdige Partner, die ihrerseits ausschließlich Betriebe des Vertrauens in ihren Reihen hätten. Wobei das Tierwohl für ihn oberste Priorität hat. Die Schlachtbetriebe müssen IFS-zertifiziert sein und somit über eine Kameraaufzeichnung verfügen. Unabhängig davon macht er sich zwei Mal im Jahr auf den Weg zu den Aufzuchtbetrieben. „Tierreisen“ nennt er das. Da kann er sich von Tierwohl, kurzen Schlachtungswegen oder Zertifizierung der Schlachtbetriebe ein Bild machen, was ihm ein besonderes Anliegen ist.
So gesehen versteht er seine Stippvisiten weniger als Kontrollbesuche, sondern vielmehr als vertrauensbildende Maßnahmen für beide Seiten, die gleichzeitig der Kontaktpflege und -festigung dienen. Die Lieferanten sind in Brandenburg/Berlin und Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt – mit Ausnahme der Geflügelzüchter, deren Betriebe samt und sonders in Niedersachsen liegen. Warum das? „Weil wir in unserer Kernregion leider keine Hühnerzuchtbetriebe haben, die unseren Mengenanforderungen gerecht werden können“, erklärt Schubert und fügt hinzu: „Das ist hier eine riesige Marktlücke.“
Wenn auch das Bezugsgebiet für die Rohware über die Grenzen Brandenburgs hinausgeht, nennt er das Unternehmen insgesamt als „regional aufgestellt“. Denn neben der Entfernung bezeichnet er auch Faktoren wie Transparenz, Glaubwürdigkeit oder Tierwohl als bestimmende Merkmale von Regionalität, von der Verarbeitung in Velten ganz abgesehen. Als „ehrliches Handwerk“ umschreibt er diese Einstellung, wozu selbstredend auch die Produktion zählt: ohne Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker, aber mit Naturgewürzen.
Hauptabnehmer der umfassenden Produktrange sind natürlich die Märkte der Muttergesellschaft Bio Company. Aber ein Fünftel des Sortiments vermarkten die Veltener extern an Dritte: an die Betriebsverpflegung namhafter Unternehmen zum Beispiel oder an Mensen von Studierendenwerken. Auch in mehreren Betrieben der Gastronomie/Hotellerie ist man präsent; dieser Absatzweg soll noch verstärkt werden. „Insgesamt haben wir jetzt schon rund 300 Abnehmer, die wir extern beliefern, darunter auch eine Vielzahl von Imbiss-Ständen wie z.B. Curry 36 in Berlin“, resümiert Schubert.
Die beiläufig eingestreute Bemerkung „jetzt schon“ ist ein Hinweis auf mehr. In der Tat hat sich der Veltener Fleischereibetrieb zum Ziel gesetzt, auch bei den klassischen Vollsortimentern Rewe und Edeka gelistet zu werden – allerdings unter einer anderen Marke als „Biomanufaktur Havelland“, um den Absatz der Bio Company nicht zu kannibalisieren. Deshalb arbeite man derzeit an einer neuen Wortmarke, befinde sich aber noch in der „Findungsphase“. Während der Grünen Woche bzw. der von pro agro organisierten Handelsrundgänge habe es bereits vielversprechende Kontakte mit der Edeka und Rewe gegeben. „Wir sind eben nicht nur der Hauslieferant von Bio Company“, fasst Thomas Schubert zusammen. „Der gute Mix bringt’s.“
Regionale Unternehmen suchen nach Lösungen
Die Informationskampagne Brandenburger Unternehmen unter dem Motto „Regionale Lebensmittel einkaufen – jetzt erst recht!“ ist mit der Realisierung des von den Initiatoren zur Verfügung gestellten Kommunikationsbudgets im Januar 2023 in seine zweite Phase eingetreten. Nach intensiven und fruchtbaren Gesprächen war das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) Ende 2022 rasch bereit, die zweite Kampagnenphase finanziell zu unterstützen und zu fördern. Ab Mitte Januar 2023 war die Thematik in mehreren Radiosendern in Berlin und Brandenburg sowie auf den Instore-Kanälen von fast 400 Supermärkten in Berlin/Brandenburg „unüberhörbar“ präsent.
Die 21 Unterstützer der Unternehmenskampagne „Regionale Lebensmittel einkaufen – jetzt erst recht!“
Die Kampagne hat von Beginn an auf die direkte Ansprache der Verbraucher in der Hauptstadtregion gesetzt. Zusätzlich führte die flankierende politische Informationsarbeit in den vergangenen Monaten zu intensiven Gesprächen mit Ministern und parlamentarischen Fachausschüssen, um auf die teilweise dramatische Branchensituation in der Krise aufmerksam zu machen. Ein besonderes Ergebnis der politischen Dialoge war ein Spitzengespräch der 21 Unternehmerinnen und Unternehmer auf Wunsch des Brandenburger Wirtschaftsministers Jörg Steinbach sowie des Landwirtschaftsministers Axel Vogel. Während der zweistündigen Beratung am Rande der Internationalen Grünen Woche (IGW) gingen beide Minister auf eine zentrale Forderung der Unternehmer-Initiative ein und machten das Angebot, den fachlichen Austausch zur Zukunft der Unternehmen am Standort Brandenburg kontinuierlich weiterzuführen, um gemeinsame Positionen zur Entwicklung der Branche zu finden.
Die positive Resonanz der Brandenburger Politik auf die Kampagne wissen die Initiatoren der Gemeinschaftskampagne vor allem deshalb zu schätzen, weil sie die Erwartung haben, dass die Landesregierung „einen klaren Fahrplan für Unterstützungsmaßnahmen in der aktuellen Situation erstellt“ sowie „Weichenstellungen für die Zukunftsfähigkeit der heimischen Lebensmittelwirtschaft“ vornimmt. Erste Schritte sind also getan, so dass die von pro agro koordinierten Aktivitäten der Wirtschaftsunternehmen auf politischer Ebene ihre Wirkung nicht verfehlt haben.
Der Verband selbst hatte während der Grünen Woche die Aussteller in der Brandenburghalle mit aussagekräftigem und aufmerksamkeitsstarkem Informationsmaterial „Regional einkaufen – jetzt erst recht!“ ausgestattet, die sie an ihren Ständen den interessierten Verbrauchern aushändigen konnten. Zudem hebt pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold die ersten positiven Reaktionen von Rewe und Edeka auf die Kampagne hervor: Beide Lebensmittelhändler hätten auf unterschiedlichen Wegen die Kampagne in Maßnahmen der Kundenwerbung integriert. Allerdings sei „in der Sichtbarkeit von Regional aus Brandenburg am Point of Sale noch viel Luft nach oben“.
Landwirtschaftsminister Vogel verschafft sich auf der Grünen Woche einen Überblick über den aktuellen Stand der Kampagne.
Gleichzeitig knüpfte er an die bereits von der Unternehmer-Initiative geäußerte Zielvorstellung an, für beide Marktteilnehmer – Handel und Hersteller – sei eine Win-Win-Situation zu schaffen. Da der Verbraucher dabei den Schlüssel in der Hand halte, müsse dessen Zugang zu regionalen Produkten eventuell noch verbessert oder vergrößert werden. Das wiederum setzt laut Rückewold voraus, dass die Lebensmittelproduzenten exzellente regionale Produkte in ausreichender Menge bereitstellen. Wünschenswert sei ferner „eine effiziente Zusammenarbeit von Handel, Ernährungswirtschaft und Politik“.
Hintergrund und Antrieb der Unternehmens-Initiative ist nach wie vor die Tatsache, dass von den gestiegenen Verbraucherpreisen im Einzelhandel bei den Lebensmittelproduzenten aus Brandenburg „nicht viel ankommt“, wie es heißt. Stark gestiegene Rohstoffpreise, die Explosion der Strom- und Logistikkosten, die Auswirkungen von Mindestlohn und inflationsbedingten Lohnsteigerungen führen dazu, dass viele mittelständische Unternehmen mit dem Rücken zur Wand stehen. Auch die Unternehmen mit eigenen Filialen, Hofläden und Direktvermarkter können die Verkaufspreise nicht den Kostensteigerungen anpassen, da sonst noch mehr Absatz wegbricht. Teilweise werden bis zu 50 Prozent weniger regionale Produkte nachgefragt. Dies gilt für klassische und ökologisch erzeugte Produkte gleichermaßen. Daher ziehen in der Unternehmer-Initiative auch Produzenten aller Richtungen an einem Strang. Angesichts dieser negativen Rahmenbedingungen fordern die Unternehmen dringlich, dass die beteiligten Ministerien in Brandenburg und Berlin mit ihnen gemeinsam weiter nach kreativen und tragfähigen Lösungen suchen, die aus der gegenwärtigen Krisensituation führen. Die zentrale Kampagnen-Botschaft an die Verbraucher bleibt indes ohne Abstriche bestehen: Regionale Markenprodukte sind mehr als beste Qualität und Geschmack; sie sichern Arbeitsplätze, den Wohlstand der Region und tragen erheblich zum Klimaschutz durch direkte kurze Wege zum Kunden bei.
Jahresplanung 2023 von pro agro
Beim Agrarmarketingverband pro agro stehen auch 2023 etliche branchenrelevante Aktivitäten auf der Agenda, um die Brandenburger Erzeuger, Verarbeiter und Vermarkter von Lebensmitteln zu unterstützen und somit die regionale Wertschöpfung zu stärken. Zu den Instrumenten zählen unter anderem Wissenstransfer, Information und Kommunikation, Branchenevents, Markt-Studien und Unternehmensumfragen sowie Aktionen in Form von Kampagnen. Hier in Stichworten eine Auswahl dessen, was sich bereits heute an konkreten Maßnahmen und Angeboten „in der Pipeline“ befindet.
Auf dem pro agro-Zukunftsabend trafen sich in diesem Jahr führende Köpfe aus Wirtschaft und Politik.
Vermarktungs-Studie: Am 12. Januar 2023 Online-Präsentation der Ergebnisse der pro agro-Studie „Vermarktungspotenziale heben für Regionalprodukte aus Brandenburg“; Möglichkeiten für die Regionalvermarktung in Brandenburg.
pro agro-Branchenbarometer: Vorstellung der Ergebnisse des „pro agro-Branchenbarometers der Land- und Ernährungswirtschaft in Brandenburg 2022“ zur Einschätzung der wirtschaftlichen Situation durch Brandenburgs Unternehmen; Nutzung der Daten als Teil der Kommunikation im Vorfeld der IGW 2023; Fortführung der Befragungen im kommenden Jahr zum kontinuierlichen Monitoring der Branchenentwicklung und der Unternehmens-Stimmung.
Regionale Kooperationen: Begleitung und Erweiterung der Zusammenarbeit von Branchenunternehmen jeder Ausrichtung (von konventionell bis ökologisch, von handwerklich bis industriell etc.), aus allen Sortimentsbereichen und Regionen Brandenburgs. Beispiel: Fortsetzung der Koordination und Unterstützung der Aktionskampagne „Regionale Lebensmittel einkaufen – jetzt erst recht!“ in den kommenden Monaten, um die Unternehmer-Initiative der Brandenburger Lebensmittelwirtschaft
in die Mitte der gesellschaftlichen und politischen Wahrnehmung zu halten und
mit gezielten Aktionen am POS die Konsumenten direkt zu erreichen und damit Verbraucherinformation und -aufklärung zu unterstützen.
EU-notifiziertes Qualitätsprogramm Brandenburg: Fortsetzung des Einführungsprozesses zur Umsetzung des EU-notifizierten Qualitätsprogramms für Brandenburger Erzeugnisse – „Gesicherte Qualität Brandenburg“ und „bio Brandenburg – gesicherte Qualität“ sowie Fortsetzung des (perspektivischen) Dialogs mit Handelsunternehmen zum Thema EU-notifiziertes Qualitätsprogramm Fleisch – „Gesicherte Qualität aus Brandenburg“.
Regionale Wertschöpfungsketten: Initiierung, Entwicklung und Stärkung entsprechender Maßnahmen, insbesondere auch im Bereich Gemeinschaftsverpflegung/Kita- und Schulverpflegung – u.a. bei den Warengruppen Fleisch, Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte sowie Eier und Eiprodukte.
Neue Marktanforderungen: Unterstützung der Unternehmen bei der Einschätzung von Vorschriften wie Carbon Foot Print, EcoScore, Nachhaltigkeitsindex oder Tierhaltungskennzeichnungsgesetz.
Fachveranstaltungen: Umsetzung von Branchenforen und Workshops für Informationsvermittlung und Wissenstransfer sowie den Erfahrungsaustausch innerhalb der Branche. Beispiele: Tag der Direktvermarktung, Norddeutscher Ernährungsgipfel, Workshops im Bereich Kommunikation & Öffentlichkeitsarbeit, Lebensmittelrecht & Lebensmittelsicherheit, „Ernährungswirtschaft trifft IT“ etc.
Publikumsveranstaltungen: Beteiligung an oder Organisation von Verbraucherevents in ganz Brandenburg mit dem Ziel, Regionalprodukte aus Brandenburg erlebbar zu machen bzw. zu vermarkten. Beispiele: Brandenburgische Landwirtschaftsausstellung (BraLa), Brandenburger Landpartie, Potsdamer Erlebnisnacht, BrandenburgTag in Finsterwalde, Brandenburger Dorf- und Erntefest in Kremmen etc.
Verkaufsförderung: Vorbereitung von Dialogveranstaltungen und Marketingmaßnahmen mit einzelnen Absatzpartnern zur gezielten Kontaktanbahnung, zur Vertiefung der Zusammenarbeit mit regionalen Lieferanten aus Brandenburg sowie für den Ausbau regionaler Wertschöpfungsketten und Vermarktungsstrukturen. Beispiele: Produzenteninformationstour von pro agro in Kooperation mit Rewe Ost in Brandenburgs Landkreisen, Edeka- Speeddating Regionalbörse, pro agro-Warenbörse etc.
Dazu Kristin Mäurer, pro agro-Fachbereichsleiterin Agrar- und Ernährungswirtschaft (Foto): „Wir haben als pro agro wieder ein vielfältiges Aktionspaket für das Jahr geplant, das für alle Zielgruppen unserer Verbandsarbeit etwas zu bieten hat – vom Direktvermarkter bis zum regionalen Handelslieferanten, in Kooperation mit Partnern aus Handel, Tourismus oder Medien in der Hauptstadtregion. 2023 wird ein herausforderndes Jahr für die Absatzförderung. Umso wichtiger erscheint mir der Leitgedanke: Volle Kraft voraus – gemeinsam sind wir stark.“
pro agro-Aktivitäten auf der Grünen Woche
Nach zwei Jahren Corona-Pause kehrt die internationale Leitmesse für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau zurück. Vom 20. bis 29. Januar 2023 öffnet die Messe Berlin ihre Tore, um Verbrauchern und Fachbesuchern weltweite Innovationen aus Landwirtschaft und Food-Branche zu präsentieren. Das Land Brandenburg wird wieder in Messehalle 21a dabei sein. Auf der großen Bühne präsentieren sich an den zehn Messetagen die Regionen des Landes. Mit einer Vielzahl von Aktivitäten sorgt außerdem der Verband pro agro dafür, dass die Halle während der IGW zu einer effizienten Kommunikationsplattform für Aussteller und (Fach-) Besucher wird. Die wichtigsten Maßnahmen haben wir für Sie notiert.
Die Brandenburg-Halle öffnet nach zweijähriger Pause endlich wieder ihre Pforten.
Freitag, 20. Januar 2023: Ab 13 Uhr Verleihung „pro agro Marketingpreis – natürlich Brandenburg 2023“ in den Kategorien Ernährungswirtschaft, Direktvermarktung sowie Land- und Naturtourismus; in diesem Zuge wird auch der „EDEKA Regionalpreis 2023“ verliehen.
Montag, 23. Januar 2023: Im Rahmen des Brandenburg-Tages
Verkündung Standort zentraler Eröffnungsveranstaltung zur Brandenburger Landpartie 2023
Staffelstabübergabe zwischen altem (2022 Wulkow) und neuem (2023 Kremmen) Ausrichter des Brandenburger Dorf- und Erntefestes 2023
Donnerstag, 26. Januar 2023: Ab 15 Uhr pro agro-Unternehmerstammtisch Ernährungswirtschaft zum Thema IGW 2023 und pro agro-Aktivitäten 2023
Montag, 23. bis Freitag, 27. Januar 2023: Auf Einladung des Verbandes pro agro geführte Rundgänge mit Fachpublikum aus Handel, Gastronomie, Gemeinschaftsverpflegung, Direktvermarktung, Logistik der Hauptstadtregion Berlin/Brandenburg. Folgende Absatzpartner haben sich bereits verbindlich angemeldet:
Dienstag, 24. Januar: Edeka und Norma
Mittwoch, 25. Januar: Brandenburger Gastronomen
Donnerstag, 26. Januar: Rewe
Freitag, 27. Januar: Kaufland
Die weiteren Termine werden rechtzeitig von pro agro bekanntgegeben.
Durchgängige Aktivitäten: Der Maßnahmenkatalog des Verbandes enthält hier die
Organisation des Kochstudios in der Brandenburg-Halle – an allen zehn Messetagen zeigen Köche aus Brandenburgs Regionen ihre Interpretation von Regionalität auf der Speisekarte;
Unterstützung des Aktionsstands der Unternehmer-Initiative Lebensmittelwirtschaft Brandenburg „Regionale Lebensmittel einkaufen – jetzt erst recht!“. Die am 14. November 2022 gestartete und von pro agro koordinierte Kampagne läuft bis nach der IGW (siehe auch die Rubrik „Branche“).
„Endlich haben wir wieder die Chance, im persönlichen Kontakt mit Verbraucherinnen und Verbrauchern, vielen Kaufleuten des Lebensmitteleinzelhandels und wichtigen Branchenpartnern zusammen zu kommen“, kommentiert pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold und fügt hinzu: „Es gibt in der krisenreichen Zeitenwende viel zu besprechen und gemeinsam Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Die Brandenburg-Halle bietet eine ideale Kulisse gleich zu Jahresbeginn.“
Regionalkampagne zeigt erste Erfolge
Die am 14. November gestartete Unternehmer-Initiative der Brandenburger Lebensmittelwirtschaft (siehe Newsletter 11/2022 hier) hat ein landesweit positives Echo hervorgerufen. Im Zentrum der Kommunikations-Offensive steht der Appell an die Verbraucher, trotz oder besser: gerade wegen der krisenhaften Entwicklung (Ukraine-Krieg, galoppierende Rohstoffpreise etc.) verstärkt regionale Produkte einzukaufen. Weitere Unternehmen haben sich der Initiative angeschlossen. Angesichts der ermutigenden Resonanz wird die Kampagne kraftvoll fortgesetzt: Rechtzeitig vor der Internationalen Grünen Woche 2023 geht sie in die nächste Runde.
Während der Pressekonferenz: Hanka Mittelstädt (Mitte), flankiert von Tobias Exner (links) und Sebastian Kühn.
Zu Beginn der ersten Kampagne stand eine aufmerksamkeitsstarke Kommunikationsoffensive mit großflächigen Anzeigen in Brandenburger und Berliner Tageszeitungen sowie informativen Werbespots bei BB Radio. Hier waren donnerstags bis samstags im stündlichen Rhythmus brandenburgische Unternehmerinnen und Unternehmer mit Statements und Solidaritätsaufrufen für den bewussten Griff zu regionalen Produkten zu hören.
Im Kern machte die verbraucherorientierte Botschaft darauf aufmerksam, dass regionale Produkte nicht nur hohe Qualität und guten Geschmack garantieren, sondern Arbeitsplätze, Investitionen und die vitale Struktur des ländlichen Raumes für die Zukunft sichern. Auf der Aktionswebseite regional-jetzt.de gab es von Bürgern positive Rückmeldungen und Anregungen.
Zusätzlich hat die Unternehmer-Initiative mit Aktionen vor dem Landtag in Potsdam und dem Abgeordnetenhaus in Berlin um Solidarität der Fachministerien und der Parlamentarier geworben. In einem ersten Spitzengespräch mit dem Brandenburger Landwirtschaftsministerium unter Beteiligung des Wirtschaftsministeriums und des Ministeriums für Verbraucherschutz machten Hanka Mittelstädt (Ucker-Ei), Tobias Exner (Bäckerei Exner) und Sebastian Kühn (Eberswalder Wurst und Fleisch) noch einmal die existentielle wirtschaftliche Bedrohung der Unternehmen deutlich und forderten eine aktivere Beteiligung des Wirtschaftsministeriums.
Die ersten Reaktionen der Brandenburger Politik klangen sehr ermutigend: „Als Agrarministerium werden wir versuchen, Ihrem Anliegen eine Plattform auf der Internationalen Grünen Woche zu bieten“, versprach Minister Axel Vogel (MLUK) den Initiatoren und bekräftigte: „Sie können auf meine persönliche Unterstützung setzen.“
Gefragter Gesprächspartner: O-Ton von Tobias Exner für die Journalisten.
Das haben die Initiatoren gern zur Kenntnis genommen: „Als produzierendes Handwerk und als Ernährungsindustrie sind wir Minister Vogel für sein Engagement dankbar“, sagte Sebastian Kühn, gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass „wir die Scheinwerfer auf das Wirtschaftsministerium richten – hier gehören wir hin, wenn es um Notfallhilfen und Zukunftsinvestitionen für die Ernährungswirtschaft geht“. Auf Einladung des Fachausschusses Landwirtschaft, Umwelt und Klima konnte die Initiative außerdem die zuständigen Parlamentarier in die angespannte Themenlage einbinden.
Auch beim Lebensmitteleinzelhandel in Brandenburg und Berlin fiel die Unternehmens-Initiative auf fruchtbaren Boden. „Das Anliegen der Gemeinschaftskampagne und das regionale Engagement der EDEKA Minden-Hannover passen ideal zusammen.“ Mit diesen einleitenden Worten meldete sich Ende November Marcus Reh, bei der EDEKA verantwortlich für den regionalen Einkauf in Berlin und Brandenburg. Die Kampagne sei „ganz oben in der EDEKA-Geschäftsführung auf Interesse gestoßen und soll Eingang in die Kommunikationskanäle des Jahres 2023 finden“. Ebenso positiv fiel die Rückmeldung der REWE Ost aus: Es werde bereits an konkreten Ideen zur werblichen Unterstützung der Kampagne durch die Lokalitätsbeauftragte Franziska Rutz sowie die REWE-Unternehmenskommunikation gearbeitet, hieß es.
Die zweite Kampagnenwelle startet Mitte Januar 2023 und besteht aus folgenden Maßnahmen: Außer einer umfassenden Präsenz der Unternehmer-Initiative mit eigenem Stand auf der Grünen Woche werden in Berlin und Brandenburg wieder Radiokampagnen zu hören sein. In diesem Zusammenhang soll gesagt sein, dass die Radiopartner mit großem Engagement die Ziele der Regional-Kampagne unterstützen. Es werden nicht nur Radiospots gesendet, sondern redaktionell die wichtigsten Argumente für Konsumenten verständlich aufbereitet.
In Planung sind ferner POS-Aktionen mit Handzettelwerbung und Schaltungen in den LEH-Radioprogrammen vor Ort (Instore-Marketing). Hier werden auch die Handelspartner EDEKA und REWE unterstützend mitwirken. Emotional sichtbar werden soll der Slogan „Regionale Lebensmittel einkaufen – Jetzt erst recht!“ aber auch auf digitalen Großflächen an den Hauptverkehrsadern der Berliner Innenstadt.
Eine Zwischenbilanz von pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold (Foto): „Mit der Aktion ist es dem Verband pro agro als Koordinator der Interessen unserer Mitgliedsunternehmen erstmals gelungen, gemeinschaftlich einen wahrnehmbaren öffentlichen Dialog zu entfachen. Ganz positiv ist, dass die Unternehmer-Initiative weiter gewachsen ist und wir nunmehr mit zusätzlichen Unterstützern von Januar bis März die Hauptstadtregion aufrütteln können.“
Wachsende Solidargemeinschaft
Der von elf Unternehmen ins Leben gerufenen Initiative haben sich inzwischen weitere Betriebe angeschlossen. Heute sind es insgesamt 21, und zwar: Ucker-Ei, Bäckerei Exner, Werder Frucht, Löwendorfer Geflügelhof, Eberswalder Fleisch und Wurst, Oderland Mühlenwerke , Sanddornspezialitäten Christine Berger, Ökodorf Brodowin, Fürstenwalder Agrarprodukte, Golßener Fleisch- und Wurstwaren, Hemme Milch, Landgut Pretschen, Gut Schmerwitz, Spargelhof Klaistow, Landkost-Ei, Gut Hesterberg, Hof Rabenstein, agro Saarmund, Syring Feinkost, Fläminger Genussland und Vion-Schlachthof Perleberg.
Sämtliche Qualitätsstufen in einer Hand
Schon von Weitem sieht man ihn, den Dreiseitenhof von Gut Hesterberg, der auf einem Hügel rund sieben Kilometer südlich von Neuruppin thront. Dabei handelt es sich nicht um eines der typischen altehrwürdigen Bauwerke, sondern um eine moderne Anlage, architektonisch stilvoll in die Landschaft integriert. Entstanden ist der Gutshof um die Jahrtausendwende, als die Familie Hesterberg nach Brandenburg zog und sich ganz einem neuen Projekt verschrieb: artgerechte Rinderzucht, nachhaltige Produktion von Fleisch- und Wurstwaren. Und zwar „alles aus einer Hand“, wie Geschäftsführer Jörn-Peer Steinicke (Foto) betont.
Heute stehen rund 800 Galloway-Rinder, darunter 400 Mutterkühe, ganzjährig auf 800 Hektar Weidefläche; hinzugekommen sind mehrere hundert Hühner in Freilandhaltung (mit mobilen Ställen), deren Bestand von Jahr zu Jahr variiert – durch natürlichen Tod oder feindliche Boden- und Luft-Attacken (Füchse, Raubvögel und andere Wildtiere). Regelmäßige Aufstallungen sind deshalb nötig. Der gegenwärtige Bestand von 400 Hühnern liefert 200 bis 250 Eier täglich für den Verkauf. Zur Weihnachtszeit vermarktet das Unternehmen außerdem frische Gänse; sie stammen von einem benachbarten Betrieb, der die Tiere artgerecht züchtet und selbst schlachtet.
Den Löwenanteil des Geschäfts machen allerdings die Rinder aus. Jeden Freitag werden – je nach Saison – zwei bis sechs Tiere vor Ort in Eigenregie geschlachtet, zerlegt und verarbeitet. Durch den Mangel an Schlachthöfen in der Umgebung bietet Gut Hesterberg auch für andere Betriebe Lohnschlachtung und Verarbeitung bis zum verzehrfertigen Produkt an. „Das ist nicht nur gut für die Auslastung, sondern auch gut für’s Geschäft“, sagt Steinicke.
„Wir sind ein komplett regionaler Anbieter von Fleisch- und Wurstwaren“, fährt er fort. Mit der eigenen artgerechten Tierzucht (ganzjährige Weidehaltung der Rinder), mit der Schlachtung und Verarbeitung vor Ort sowie der Vermarktung in Berlin und Brandenburg liegen sämtliche Qualitätsstufen in einer Hand. Damit leistet Gut Hesterberg nicht nur einen maßgeblichen Beitrag zur geschlossenen Wertschöpfungskette im Land, sondern verschafft sich obendrein ein Stück unternehmerischer Handlungsfreiheit: „Wir sind unabhängig von Zulieferern. Das ist eine starke Position im Fleisch verarbeitenden Gewerbe Brandenburgs“, hebt der Geschäftsführer hervor.
Vermarktet werden die in guter alter Handwerkstradition hergestellten Produkte über (fast) alle Kanäle. So wird das umfangreiche Sortiment an Fleisch- und Wurstwaren zum einen über den eigenen Webshop vertrieben, wo sich der Kunde die bestellte Ware entweder in einer der vier unternehmenseigenen Filialen abholen oder durch einen Paketservice direkt an die Haustür liefern lassen kann. Die stationären Hesterberg-Läden wiederum – drei davon in Berlin (Pankow, Adlershof, Steglitz) und einer in Germendorf (Oranienburg) – bieten neben dem gesamten Sortiment in der Frischetheke jeweils einen Imbiss zum direkten Verzehr an.
„Ein Vertriebs-Standbein ist der Lebensmitteleinzelhandel“, erzählt Steinicke weiter. Größter LEH-Kunde ist derzeit die Edeka, mit der seit über zehn Jahren eine sehr gute Partnerschaft besteht. Inzwischen hat sich auch die Rewe-Tür geöffnet. Gemeinsam mit Franziska Rutz, der Lokalitätsbeauftragten Rewe Ost (siehe pro agro-Newsletter 11/2022), ist es Steinicke gelungen, mit dem Hesterberg-Wurstsortiment in den Bedienungstheken von 25 Rewe-Märkten präsent zu sein. Das sei „ein recht guter Flow“, wie er sagt. Aber man habe noch „ein Spektrum von 50 bis 60 Filialen vor der Brust, die die Rewe für uns freigeschaltet hat und die wir jetzt noch als Kunden gewinnen wollen“.
Über die Partnerschaft mit Edeka und Rewe hinaus lautet das Ziel, zusätzlich neue Märkte zu erschließen. Um sich aber nicht zu verheben, muss die Wachstumsstrategie den Liefer- bzw. Schlacht- und Verarbeitungskapazitäten angepasst werden. Deshalb ist geplant, auf Gut Hesterberg etwa 300 qm Produktionsfläche zusätzlich zu schaffen. Dann könnte man darüber nachdenken, den LEH auch mit regionalem Frischfleisch zu beliefern, wenigstens im Rahmen von zeitlich begrenzten Aktionen. „Unsere Kernkompetenz in diesem Absatzkanal ist allerdings die Wurst“, erklärt Steinicke. Deshalb liegt die Überlegung nahe, eventuell in den Bereich SB-Wurst einzusteigen. Da wäre auch das Branding leichter. In Sachen Fleisch ist, anders als der LEH, die Gastronomie ein wichtiger Absatzkanal. Das ist ein Geschäftsfeld, das man noch intensiver beackern will. Doch hier wie für die anderen Vertriebswege gilt die Unternehmens-Devise: Nichts über’s Knie brechen, gesund wachsen, behutsam und kontinuierlich aufbauen.
„Regionale Lebensmittel kaufen – jetzt erst recht!“
Etliche Unternehmen der brandenburgischen Ernährungswirtschaft haben sich zusammengetan, um mit Hilfe einer breit angelegten Aktionskampagne die Verbraucher zu bewegen, trotz Inflation und Kostenkrise beim Einkaufen weiter oder sogar häufiger zu regionalen Produkten zu greifen. Ziel ist nicht nur, die Hersteller von Lebensmitteln vor dem wirtschaftlichen Aus zu bewahren; es geht argumentativ auch darum, den Konsumenten den Mehrwert von regionalen Produkten zu vermitteln. Die von pro agro koordinierte Aktion startete am 14. November 2022 und wird bis ins kommende Jahr punktuell fortgeführt.
Gut positioniert: Die Branche zeigt Flagge vor dem Landtag in Potsdam.
Initiatoren sind Markenartikler aus klassischer und ökologischer Produktion. Sie repräsentieren die Warengruppen Fleisch, Wurst, Milch, Brot, Eier, Obst, Gemüse und Spezialitäten. Konkret handelt es sich um folgende Unternehmen: Ucker-Ei, Bäckerei Exner, Werder Frucht, Löwendorfer Geflügelhof, Eberswalder Wurst, Sanddornspezialitäten Christine Berger, Ökodorf Brodowin, Golßener Fleisch- und Wurstwaren, Hemme Milch, Gut Schmerwitz und Spargelhof Klaistow. Zu den Maßnahmen zählen neben Anzeigen in Printpublikationen und Werbespots im Hörfunk auch der direkte Dialog mit Kunden vor Supermärkten.
Wo die Unternehmen gegenwärtig der Schuh drückt, brachte Hanka Mittelstädt auf den Punkt. Die Inhaberin von Ucker-Ei und pro agro- Vorstandsvorsitzende wörtlich: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Der Handel ist nicht in der Lage, unsere gestiegenen Kosten aufzufangen. Die als bereits sehr hoch empfundenen Preise im Supermarkt würden dann noch weiter steigen. Höhere Preise erzeugen noch mehr Kaufzurückhaltung. Aktuell verkaufen wir rund 20 Prozent weniger an den Handel. Ich rechne in 2023 mit unverschuldeten Mehrkosten von 400.000 Euro. Das schafft Ucker-Ei nur, wenn im Supermarkt nicht immer zum Billig-Ei von Irgendwo, sondern zu unserem Markenprodukt gegriffen wird.“
Um den Verbrauchern die Aktionen verständlich und transparent zu machen, hat pro agro eine separate Website ins Netz gestellt (https://www.regional-jetzt.de). Dort sind Hintergründe, unternehmerische Positionen und Argumente für den Kauf heimischer Produkte aufgeführt. Wichtige zusätzliche Botschaft: Wer regional kauft, handelt nicht nur solidarisch und unterstützt die Branche, sondern schafft darüber hinaus einen Mehrwert, der ihm selbst zugutekommt.
Gut argumentiert: Bäcker Exner (links) und Minister Vogel im Gespräch.
Adressat der mannigfaltigen Aktionen ist allerdings nicht nur der Verbraucher, sondern auch die Politik. Bereits am 17. November, also nur drei Tage nach Kampagnen-Auftakt, haben sich die Initiatoren zu einer Solidaritätsaktion vor dem Landtag in Potsdam versammelt, um ihren Stimmen vor Ort Nachdruck zu verleihen. In einem Positionspapier formulieren sie den klaren Wunsch, eine übergreifende Task-Force „Zukunft Ernährungswirtschaft“ über die drei zuständigen Ministerien (Landwirtschaft, Gesundheit/Verbraucherschutz, Wirtschaft) hinweg zu installieren. Ziel ist, in Zusammenarbeit mit Unternehmen und Handel Zukunftslösungen zu erarbeiten.
Weiter soll die brandenburgische Politik dafür Sorge tragen, dass die ideologische Trennlinie zwischen klassisch und ökologisch erzeugten Produkten aufgegeben wird; die Unternehmen würden in der Praxis der Lebensmittelproduktion bereits seit vielen Jahren eng kooperieren. Generell wird erwartet, dass die Ernährungswirtschaft „gleichgewichtig“ zur technischen Industrie bewertet wird. Nötig sei eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik für die Lebensmittelproduzenten – egal, ob Handwerk oder industrieller Mittelstand. Eine vergleichbare Kundgebung fand heute (24. November) vor dem Berliner Abgeordnetenhaus statt.
Der Slogan „Regionale Lebensmittel kaufen – jetzt erst recht!“ soll nach den Vorstellungen der Initiatoren während der Internationalen Grünen Woche 2023 in der Brandenburghalle zur kommunikativen Kernbotschaft werden. „Wir können nicht einfach auf ländliche Idylle und Romantik setzen, während zahlreiche Unternehmen ums Überleben kämpfen“, so Hanka Mittelstädt.
Unternehmen, die die Kampagne aktiv unterstützen und weiter mitgestalten möchten, sind willkommen – Kai Rückewold koordiniert als Ansprechpartner die Unternehmer-Initiative (rueckewold@proagro.de).
Das sagen die Initiatoren (Auswahl)
„Mit dem Kauf von hochwertigen regionalen Produkten unterstützen Sie nachhaltig unser aller Lebensraum!“ – Dorothee Berger, Geschäftsführerin Sanddorn Sandokan
„Jeder Cent der bei Unternehmen der Region bleibt, sichert Ausbildung- und Arbeitsplätze im Mittelstand Brandenburgs und geht nicht in die Kassen von Großkonzernen.“ – Tobias Exner, Inhaber Bäckerei Exner
„Die Kunden sollen ein gutes Gefühl haben, gerade auch in der jetzigen Zeit. Sie kaufen regionale und leckere Produkte zu einem fairen Preis.“ – Gunnar Hemme, Geschäftsführer Hemme Milch GmbH & Co. KG
„Besonders in der Krise sollten wir alle zusammenhalten, um unseren gewohnten Frieden und unsere wirtschaftliche Sicherheit langfristig zu bewahren.“ – Rainer Kempkes, Geschäftsführer Golßener Lebensmittel GmbH
„Helfen Sie bei Ihrem Einkauf die Zukunft einer lebendigen Region und viele tausend Arbeitsplätze direkt zu sichern.“ – Sebastian Kühn, Geschäftsführer Eberswalder Wurst & Fleisch
„Mit dem Kauf unserer Erzeugnisse erhalten Sie Arbeitsplätze in Brandenburg und die Tradition des havelländischen Anbaugebietes wird gesichert.“ – Petra Lack, Geschäftsführerin Werder Frucht
Mit regionalen Produkten gegen die Krise
Die Multi-Krise der Gegenwart – Corona, Energiepreise, Rohstoffkosten, Inflation und vieles mehr – stellt die Lebensmittelbranche in Brandenburg (und nicht nur hier) vor große Probleme. Wie die Zentralen großer Handelsunternehmen gegensteuern, darüber berichten die Medien ausgiebig. Was aber kann angesichts einer derart toxischen Gemengelage vor Ort getan werden? Wie wirkt es sich auf den Absatz regionaler Produkte aus, wenn die Konsumenten den Gürtel enger schnallen? Wir haben uns umgehört, und zwar bei dem REWE-Kaufmann Andreas Lück in Oranienburg und bei der Lokalitätsbeauftragten der REWE Ost, Franziska Rutz.
Andreas Lück (Foto) ist ein Unternehmer „durch und durch“. Als Marktleiter einer REWE-Filiale hat er sich 1999 entschieden, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen und seine Profession – Teamführung, Marktorganisation, Lebensmittelverkauf – in eigener Regie und Verantwortung fortzuführen. Aus dem ersten Supermarkt ist eine Mehrbetriebsform mit zwei Objekten geworden, beide nördlich von Berlin im Landkreis Oberhavel gelegen; der eine in Zehdenick, der andere in Oranienburg.
Dort, in der Oranienburger Lehnitzstraße, hat der Unternehmer mitten in der Krise viel Geld in die Hand genommen, um den Laden zu vergrößern, das Interieur kundengerechter zu gestalten, das Sortiment zu erweitern sowie Frische und Bedienungstheken zu forcieren. Aus dem etwas in die Jahre gekommenen Markt ist ein moderner Konsumtempel mit 1.900 qm Verkaufsfläche und einem Angebot von rund 14.000 Artikeln (früher waren es ca. 11.000) geworden. Etwa die Hälfte der Produkte sind dem Frischesortiment zuzurechnen.
Seit der Wiedereröffnung am 16. November 2022 können sich die Kunden ein Bild von ihrem aufgemöbelten REWE-Markt machen. Dabei hat der Kaufmann die nicht eben kleine Summe trotz der krisenhaften Verwerfungen aufgewendet, obwohl also die Konsumenten an allen Ecken und Enden sparen. „Antizyklisch“ nennt die Wirtschaft ein solches Investitionsverhalten; man könnte auch sagen: Mehr und bessere Angebote sorgen für höhere Nachfrage.
In der Tat scheint die Rechnung aufzugehen. Beispiel regionale oder lokale Produkte: „Die sind natürlich etwas teurer als konventionelle oder Bio-Ware“, sagt Andreas Lück, „aber meine Kunden wollen das und sind bereit, dafür auch mehr zu bezahlen“. Allerdings müsse man dafür sorgen, dass man das auch „angeschoben bekommt“, etwa durch personalisierte Lieferanten-Infos in Form von Text und Bild. Solcherlei Storytelling schafft Transparenz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen. „So finden die Kunden viel eher Zugang zu den Produkten und sagen: Dann lasse ich das Geld in der Region.“
Aus der Region auf heimische Teller: Regionale Lebensmittel gibt es jetzt auch wieder im REWE in Oranienburg.
Mag es auch sein, dass die Verbraucher bei ihm etwas weniger Geld für Ware aus heimischen Gefilden ausgeben; sie kaufen eben vorsichtiger und bewusster – aber sie kaufen. Wobei es aus der Erfahrung von Andreas Lück einen Unterschied zwischen Stadt und Land gibt. Das lasse sich am Fleischkonsum belegen: Stadtkunden steigen verstärkt auf konventionelle Massenware um, während Landkunden heimische Ware weiter vorziehen, dafür aber tendenziell weniger konsumieren. Und wie sieht es bei Bio aus? Um Geld zu sparen, greifen die Leute hier eher zur Eigenmarke, sagt er. Das sei auch ein Hinweis auf das Vertrauen in die REWE-Marke.
Wie will er seine Kunden trotz Inflation und steigender Energiepreise bei der Stange halten? Durch ein größeres Angebot an regionalen und lokalen Produkten, betont er, vor allem bei Obst und Gemüse. Die Nachfrage sei vorhanden. Das zweite Thema sei Fleisch, was er angesichts seiner neuen Fleischtheke und über die REWE-Partnerschaft mit Eberswalder Fleisch- und Wurstwaren hinaus („100% Regional“) forcieren will. Vielleicht finden sich mehrere Kaufleute im Umkreis als Abnehmer, hofft er. „Das würde sich positiv auf die Preise auswirken – für uns und die Verbraucher.“
Als „regional“ bezeichnet der Kaufmann solche Lieferanten, die im Umkreis von maximal 60 Kilometern angesiedelt sind. Wer sich rund um den Kirchturm, also in unmittelbarer Nachbarschaft befindet, der ist für ihn „lokal“. Die meisten von ihnen kennt er persönlich, was gut für’s Storytelling ist. Großen Wert legt er auch darauf, dass er – abgesehen vom REWE-Basissortiment – autonom darüber entscheidet, was in den Regalen seiner Märkte steht. Das ändert nichts daran, dass es hier eine enge Abstimmung mit der Lokalitätsbeauftragten der REWE Ost, Franziska Rutz, gibt. Das sei ein „fruchtbares Geben und Nehmen“, unterstreicht er.
Aus dem „Krisentagebuch“ der Lokalitätsbeauftragten REWE Ost
Franziska Rutz (Foto) ist mehr denn je auf Achse. Bei ihren Touren durch Berlin/Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ist sie nach wie vor auf der Suche nach neuen Lieferanten, aber auch die Kontaktpflege bereits gelisteter Lieferanten der ca. 325 REWE-Märkte ihres Gebiets steht im Fokus. Der Einsatz als wichtiger Ansprechpartner der regionalen Erzeuger und Verarbeiter von Lebensmitteln hat spürbar zugenommen. Ihr Kommentar zur gegenwärtigen Lage:
„Ich war etwas überrascht, wie schnell die globalen Krisen auf der Ebene meiner Lieferanten zu spüren waren. Für die REWE ist insgesamt klar, dass Regionalität und Lokalität im Blickpunkt bleiben und weiterentwickelt werden. Meine Arbeit hat sich jedoch ein Stück weit verändert: Wir müssen jetzt den Erzeugern und Manufakturen einen sicheren Absatzkanal bieten und können mit unseren regional erzeugten Produkten die eine oder andere Lücke in den Sortimenten schließen und Alternativen im REWE-Markt anbieten. Die langfristige und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den regionalen Lieferanten steht mehr denn je im Vordergrund.
Dadurch hat die Gesprächsintensität enorm zugenommen. Dabei unterstütze ich die Lieferanten, wo ich nur kann. Zum Beispiel dadurch, dass wir unsere Kaufleute persönlich mit ihnen zusammenbringen und weiterhin bei Sortimentsplanungen die regionalen Erzeuger berücksichtigen.
Nicht selten erreichen mich „Hilferufe“ der Lieferanten. Sie nennen mir zum Beispiel die Gründe, warum sie die Preise ein Stück weit erhöhen müssen. Oder sie wollen wissen, welche Möglichkeiten der Reichweitenvergrößerung wir haben. So habe ich in den letzten Wochen den Kontakt in unsere nationale Zentrale gesucht und auf diesem Weg einige Erzeuger aus Brandenburg und der Hauptstadtregion für unseren Online-Handel aufnehmen lassen.
Die ersten Gespräche finden hier aktuell statt. So haben wir eine Möglichkeit der Weiterentwicklung in besonderen Zeiten gefunden. Insgesamt sind die Beziehungen zwischen uns und unseren Partnern enger geworden. Die schwierigen Zeiten haben dazu geführt, dass wir näher zusammengerückt sind. Auch der persönliche Kontakt ist wesentlich intensiver geworden, das heißt unsere Kaufleute schauen viel häufiger bei den Lieferanten vorbei – und umgekehrt. Es ist wie in einer guten Ehe: Erst in schwierigen Zeiten zeigt sich, wie stark die Beziehung ist.“
Seit über 20 Jahren stellt das in Petzow am Glindower See gelegene Unternehmen Sanddorn- und Wildobstprodukte mit Früchten aus eigenem Anbau her. Von Beginn an, also seit Firmengründung durch Christine Berger, liegen landwirtschaftliche Erzeugung, Verarbeitung und Veredelung der Früchte sowie der Vertrieb in Familienhand. Was mit Sanddornsaft unter der Marke Sandokan begann, repräsentiert inzwischen eine ganze Palette von Produkten, rund 50 an der Zahl. Heute zählt man bundesweit zu den führenden Anbietern von Sanddorn-Produkten – oder wie Dorothee Berger (Foto) sagt: „In unserer Nische sind wir sehr stark.“
Dorothee Berger, seit 2013 Geschäftsführerin, steht an der Spitze eines Unternehmens, von dem man mit Fug und Recht sagen kann, dass hier „alles aus einer Hand“ stammt. Es funktioniert einerseits als ein geschlossenes System, wo der Mehrwert der einzelnen Wertschöpfungsstufen im Betrieb bleibt, wo ökologische Prinzipien wie Bio-Anbau und nachhaltiges Wirtschaften zum Selbstverständnis gehören und wo die vitamin- und vitalstoffreichen Früchte schonend angebaut, geerntet und verarbeitet werden. „Das ist für uns kein Selbstzweck“, betont Dorothee Berger, „sondern in erster Linie ein Qualitätsmerkmal unserer Produkte“.
Andererseits handelt es sich um ein konsequent arbeitsteilig strukturiertes Unternehmen. Das beginnt mit dem landwirtschaftlichen Bio-Betrieb, wo auf 160 Hektar Ackerfläche die Früchte angebaut und geerntet werden; und das setzt sich fort mit dem drei Hektar großen „Sanddorn-Garten“, wo eine Vielzahl von Aktivitäten auch für externes Publikum stattfindet: Anbau von Kräutern und Wildfrüchten, gläserne Produktion, Restaurant und Café mit Blick auf den Glindower See, zwei Hofläden mit regionalen Spezialitäten aller Art.
Diese Vielfalt spiegelt sich auch bei den Produkten selbst wider. So finden sich unter dem Markendach „Sandokan“ Säfte und Nektar, Fruchtaufstriche und Gelees, Süßigkeiten, Tee, Weine und viele Delikatessen mehr. Neben weiteren Wildfruchtspezialitäten hat das Unternehmen auch eine Kosmetik-Range auf den Markt gebracht, nämlich drei Körperpflege-Systeme mit Bio-Sanddornöl. Zu guter Letzt treten die Petzower als Rohwaren-Lieferant auf – z.B. für Hersteller von Backzutaten oder Sanddorn-Schorle; dazu zählen auch Kooperationen mit saisonalen Verarbeitern in Brandenburg.
Das Herzstück des Unternehmens: Der Sanddorn-Garten.
Vertrieben werden die konsumnahen Produkte über den klassischen Lebensmittelhandel, Bio-Märkte und andere stationäre Geschäfte – nicht zu vergessen die Direktvermarktung in Eigenregie, also die beiden Hofläden und einen gut frequentierten Online-Shop. „Beim Nutzungsverhalten von Sanddorn gibt es in Deutschland ein klares Ost/West- und Nord/Süd-Gefälle“, erläutert die Firmenchefin und fügt hinzu: „Der Nordosten ist traditionell Deutschlands Sanddorn-Hochburg.“ Zur Kernzielgruppe zählen gesundheitsbewusste und touristische Verbraucher.
Heute sei das Geschäft „enorm schwierig“ geworden, erzählt sie. Das sei letztlich auf eine Veränderung des Verbraucherverhaltens zurückzuführen: „Der Premiumkunde geht auf Marke, der Markenkunde geht auf Handelsmarke und der Handelsmarken-Kunde geht auf Preiseinstiegsprodukte. Alle kaufen eine geringere Kategorie.“ Teilweise lasse sich das mit Aktionen korrigieren. Aber insgesamt seien die Verbraucher sparsamer geworden, so dass der Absatz regionaler Produkte zurückgehe.
Das ist auch für ihr Unternehmen eine Herausforderung, wenngleich die Situation weniger dramatisch als bei anderen Betrieben ist. Die Erklärung: Wegen des speziellen Produkt-Portfolios ist es möglich, sinkende Absätze durch Eröffnung neuer Märkte wenigstens teilweise aufzufangen – zum Beispiel mit den Gesundheitsprodukten, deren Markt sich weiter positiv entwickelt. Dennoch hat sich Dorothee Berger der kürzlich gestarteten landesweiten Aktionskampagne „Regionale Lebensmittel einkaufen – jetzt erst recht!“ angeschlossen. Ihr sei es sehr wichtig, sich in dieser Krisensituation anderen Betrieben gegenüber solidarisch zu zeigen, persönlich für regionale Produkte zu werben und buchstäblich Flagge zu zeigen. „Es geht mir dabei nicht in erster Linie um einen Appell an Gutmenschen, sondern darum, dem Verbraucher den Mehrwert regionaler Produkte nahezubringen“, sagt sie (siehe auch unseren detaillierten Bericht in der Rubrik BRANCHE).
Trendwende beim Lebensmittelkonsum in nur kurzer Zeit
In der krisenhaften Zeit der Gegenwart haben Direktvermarktung und Ernährungshandwerk in Brandenburg – und nicht nur hier – hohe Einbußen erlitten. Das ist die Kernaussage einer detaillierten Analyse der Bonner Agrarmarkt- Informations-Gesellschaft mbH (AMI), die am 20. Oktober 2022 beim Tag der Direktvermarktung und des Ernährungshandwerks präsentiert wurde. Judith Dittrich (Foto), AMI-Marktanalystin Verbraucherforschung, hat während der Tagung die wesentlichen Fakten vorgetragen und anschließend für den pro agro-Newsletter zusammengefasst.
Kaum zuvor hat sich der Lebensmittelkonsum so schnell verändert wie zu Beginn der Corona-Pandemie. Eingeleitet wurde die Entwicklung von Hamsterkäufen. Doch im weiteren Verlauf der Pandemie kauften die Verbraucher wesentlich bewusster ein. Aufgrund der zahlreichen Einschränkungen – geschlossene Restaurants, kaum Freizeitaktivitäten und Homeoffice – mussten die Verbraucher wieder häufiger selbst kochen und mehr Lebensmittel für zu Hause einkaufen.
Da Urlaub, Kino- oder Konzertbesuch zeitweise nicht möglich waren, hatten zumindest diejenigen, die nicht von Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit betroffen waren, mehr Geld zur Verfügung. Und das wurde teilweise für einen höherwertigen Lebensmitteleinkauf ausgegeben. Die Verbraucher wollten sich etwas gönnen. Der Kauf von Markenprodukten nahm zu, neue Produkte wurden ebenso ausprobiert wie neue Geschäfte. Direktvermarktung und Ernährungshandwerk erlebten zu dieser Zeit einen kräftigen Aufschwung und gewannen neue Kunden.
Doch mit Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine hat sich dieses Konsumverhalten deutlich gedreht. Seitdem erfahren die Verbraucher in Deutschland kräftig steigende Preise, nicht nur bei Energie und Lebensmitteln. Laut GfK ist die Inflation aktuell die größte Sorge der Deutschen. Im September 2022 kosteten frische Lebensmittel, dem AMI-Frischeindex zufolge, 19,9 Prozent mehr als vor einem Jahr. Und dabei sind über alle Frische-Warengruppen deutliche Preisaufschläge zu sehen. Doch diese Teuerung kam nicht von heute auf morgen. Bereits in den Jahren 2020 und 2021 hatten die Lebensmittelpreise leicht angezogen.
Über zahlreiche Preisrunden wurde das aktuelle Niveau erreicht. Zurzeit wirken viele verschiedene Umstände gleichzeitig und treiben die Teuerung von Lebensmitteln in die Höhe. Das begann bereits auf der Erzeugerebene: So war die Umstellung auf eine Produktion ohne Kükentöten mit Mehrkosten verbunden; die Trockenheit im Sommer hat die Ernteerträge in Deutschland und Europa teilweise reduziert; teurere Futtermittel wirkten sich bei den tierischen Produkten aus. Und natürlich sind die höheren Energiepreise auch in den Unternehmen der Ernährungswirtschaft zu spüren.
Da die Löhne nicht im gleichen Umfang gestiegen sind, müssen viele Verbraucher wieder sparen. Die Discounter, wie Aldi und Lidl, hatten sich zu Beginn der Corona-Pandemie noch mit am schwächsten entwickelt, denn die Kunden wollten sich zu dieser Zeit etwas gönnen. Jetzt ist der Discount der einzige Geschäftstyp, der sich im aktuellen Jahr positiv entwickelt.
AMI-Analysen auf Basis des GfK-Haushaltspanels zufolge lagen die Ausgaben für frische Lebensmittel von Januar bis August 2022 im Discount um knapp 6 Prozent über Vorjahresniveau. Die Verbraucher kaufen ihre Lebensmittel nun wieder vermehrt beim Discounter ein, die sie als besonders preiswürdig einschätzen. Die Food-Vollsortimenter, wie EDEKA und REWE sowie die Großflächen, wie Kaufland und Globus, verzeichnen gegenüber dem Vorjahr sogar ein leichtes Minus. In der Summe kann sich der klassische Lebensmitteleinzelhandel jedoch noch am besten behaupten.
Die höchsten Verluste sind aktuell bei Geschäftstypen mit einem höheren Preisniveau zu sehen. So entwickelt sich zurzeit die Kundenzahl bei Direktvermarktern, Bäckern und Metzgern wieder rückläufig. Deutschlandweit verzeichnete die Direktvermarktung in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres bei frischen Lebensmitteln ein Minus von 18 Prozent, die Wochenmärkte ein Minus von 16 Prozent, und die Fachgeschäfte liegen 13 Prozent unter dem Vorjahr.
In Brandenburg und Berlin sieht es nicht anders aus. Auch hier gab es bei den genannten Geschäftstypen deutliche Rückgänge. So sind von Januar bis August die Verbraucherausgaben für frische Lebensmitteln in der Direktvermarktung und auf den Wochenmärkten von 66 Mio. Euro im Vorjahr auf aktuell 51 Mio. zurückgegangen. Damit wird allerdings ein Niveau wie 2019 erreicht – also einem Zeitpunkt, bevor die Direktvermarktung einen kräftigen Aufschwung erlebt hat.
Harte Zeiten, aber reelle Chancen
Rund 70 Akteure der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie Regionalvermarktung im Land Brandenburg hatten sich am 20. Oktober 2022 zum 15. Tag der Direktvermarktung und des Ernährungshandwerks in der Heimvolksschule am Seddiner See vor Ort sowie digital eigefunden, um über die krisenhaften Probleme und brennenden Fragen der Gegenwart zu diskutieren. Eingeladen hatten der Agrarmarketingverband pro agro und das Forum ländlicher Raum – Netzwerk Brandenburg. Nachfolgend die wichtigsten Inhalte und Ergebnisse der Fachtagung.
pro agro-Vorstandsvorsitzende Hanka Mittelstädt wünscht sich mehr Planungssicherheit für Brandenburger Produzenten
Zu Beginn der Veranstaltung betonte die pro agro-Vorsitzende Hanka Mittelstädt die Relevanz der Brandenburger Lebensmittelwirtschaft für die Grundversorgung der Bevölkerung sowie für den Erhalt funktionierender regionaler Kreisläufe und der ländlichen Kultur. „Wir brauchen mehr Planungssicherheit statt mehr Bürokratie und noch mehr sichtbares Handeln für die Stärkung der Region“, lautete ihr Appell an die Politik.
Ihre Worte fielen auf fruchtbaren Boden. So betonte Staatssekretärin Anja Boudon, dass das Brandenburger Landwirtschaftsministerium nicht nur auf die vom Bund und Land angekündigten Entlastungen für Betriebe und private Haushalte setzt. Darüber hinaus werde man die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe unterstützen und die regionalen Wertschöpfungsketten ausbauen sowie den ländlichen Raum und die klimaschonende Landwirtschaft stärken.
Zu Struktur und Performance der Direktvermarktung und des Ernährungshandwerks berichtete Judith Dittrich, Marktanalystin der Bonner Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI), dass 2021 die Ausgaben der Brandenburger und Berliner Haushalte auf Wochenmärkten und bei Direktvermarktern um gut 26 bzw. knapp 19 Prozent gesunken sind (weitere Informationen finden Sie im folgenden Namensbeitrag „Trendwende beim Lebensmittelkonsum in nur kurzer Zeit“).
Jens Beiler, Franziska Rutscher, Dr. Katja Leppin und Ingo Kaplick (v.l.n.r.) berichten über ihre Praxiserfahrungen in der Direktvermarktung ihrer Produkte in Brandenburg
Trotz der gegenwärtig krisengeschüttelten Branche attestierte Andreas Ebeling (Brandmeyer Markentberatung) starken regionalen Marken gute Chancen für die Zukunft. „Marken müssen mit der Zeit gehen und sich gleichzeitig dabei treu bleiben“, lautete sein Credo. Essenziell sei insgesamt, dass Unternehmen wie auch Regionalmarken die Grundregeln der Markenführung beachten. Die Kernpunkte hat der Referent bereits im pro agro-Newsletter 07-08-/2022 skizziert (siehe hier).
Anhand mehrerer Best-Practice-Beispiele wurden anschließend verschiedene unternehmerische Ansätze und Konzepte vorgestellt. Allen gemeinsam waren Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit, Kreativität, Mut, Transparenz – und Erfolg. Die präsentierten Betriebe waren: Hoffleischerei Kaplick (PM), „Landgeschmack“ Agrargenossenschaft Görike-Schönhagen (PR), Spargel- und Beerenhof Ragösen & Zickengang Golzow (PM), Ökodorf Brodowin (BAR), Plattform 2020 und – als externes Beispiel – die digitale Hofladenwelt von Hofladen-Sauerland.de.
Rechtzeitig zum Tag der Direktvermarktung und des Ernährungshandwerks wurde auch die Neuauflage der Brandenburger Hofladenbroschüre „Einkauf im Grünen“ fertig und vor Ort ausgelegt. Vom Spreewald bis zur Uckermark, vom Havelland bis ins Seenland Oder-Spree werden insgesamt 670 Hofläden, Direktvermarkter, Landgasthöfe, Selbstpflückmöglichkeiten und lokale Produzenten in einem kompakten Kompendium vorgestellt. Die Broschüre ist ab sofort als klassische Printpublikation oder als digitales Flipbook auf www.proagro.deverfügbar.
Regionalität und Ökologie immer im Blick
Jährlicher Ausstoß an Fertigwaren: rund 100 Mio. Füllungen; saisonale Verarbeitung: ca. 25.000 t Obst und Gemüse; Anteil der ökologisch erzeugten Rohwaren: knapp 70 Prozent. So sieht die bemerkenswerte Bilanz des Unternehmens aus, das 1891 als klassischer Getränkefachhändler in Hamburg begann. Die Zentrale befindet sich nach wie vor in der Hansestadt, doch das umfangreiche Portfolio an alkoholfreien Getränken wird heute im Standort Diedersdorf (Teltow-Fläming) selbst produziert und von dort aus vermarktet – und zwar „so viel regional wie möglich“, so Geschäftsführer Thomas Schramm.
A. Dohrn & A. Timm produzieren in ihrem Werk in Diedersdorf (Großbeeren) im Landkreis Teltow-Fläming
Das in fünfter Generation geführte Familienunternehmen ist seinem Gründungsstandort treu geblieben, wurde aber nach der Wende organisatorisch neu aufgestellt: Im Zuge einer betrieblichen Arbeitsteilung, so könnte man sagen, sind Verwaltung, Vertrieb und Marketing in Hamburg geblieben, während das operative Geschäft in Diedersdorf stattfindet. Dort wird unter anderem die von Brandenburger Vertragsbauern angelieferte Rohware verarbeitet und vermarktet.
„Alles, was uns die Region an Obst und Gemüse für die Herstellung bietet, versuchen wir auch zu bekommen“, betont Thomas Schramm (Foto) – ein klares Bekenntnis zur Regionalität. Versteht sich, dass exotische Früchte wie Orangen zugekauft werden müssen. „Die wachsen nun mal nicht in unseren heimischen Gefilden.“ Und da sind noch die Äpfel des unternehmenseigenen Anbaubetriebs im Alten Land (nahe Hamburg), die teils vor Ort als Tafelobst vermarktet, teils in Diedersdorf gepresst, abgefüllt und auf den Weg zum Abnehmer gebracht werden.
Mit den Landwirten schließt das Unternehmen Anbauverträge über Art und Menge der Früchte. Das geschieht jährlich rechtzeitig vor Anbaubeginn und bietet beiden Partnern nur Vorteile: „Die Bauern haben eine Abnahmegarantie, und wir haben die gesamte Kette von der Erzeugung bis zur Vermarktung im Griff“, sagt Schramm. Man kennt also seine Partner, was ja als Herkunftsnachweis auch einem positiven Qualitätszeugnis gleichkommt.
Thomas Schramm leitet seit fast fünfzehn Jahren die Geschicke bei A. Dohrn & A. Timm
Die Produkt-Range kann sich sehen lassen: klassischer Gemüsesaft (z.B. Tomate, Mühren, Rote Bete, Sauerkraut – Bio und konventionell); Kombi-Produkte wie Apfel/Mango, Fruchtsäfte mit Schwerpunkt Apfel, Orange, Trauben, Mehrfrucht; Pflaumensäfte und Fliederbeer-Produkte. So reichhaltig das Angebot, so vielfältig der Markenauftritt: Grünland (Bio-Gemüse- und Fruchtsäfte), Grünfink (konventionelle Gemüse- und Fruchtsäfte mit naturbelassenen Zusätzen), Scharfe Säfte (Gemüse, Tomate, Karotte, Rote Bete), Herva (Weinschorle).
Unter dem Label „Brandenburger Quell“ gehört dem Sortiment ferner eine komplette Range von Mineralwässern an (Classic, Medium, Naturell), flankiert von Limonaden, Apfelschorle und Fassbrause – alles in Mehrweg natürlich. „Wir sind ein PET-freier Betrieb“, unterstreicht Geschäftsführer Schramm. Die Quelle liegt tief unter der Diedersdorfer Heide am Rande des Brandenburger Nuthe-Urstromtals. Regionaler geht’s nicht. Dabei wird penibel darauf geachtet, dass die Entnahme aus dem Grundwasser im Lot bleibt.
Regionalität steht hoch im Kurs bei Dohrn & Timm. Dabei handelt es sich keineswegs nur um ein wohlfeiles Lippenbekenntnis, sondern um gelebte Realität. Das betrifft die gesellschaftliche Ebene (z.B. durch Sponsoring lokaler Sportvereine) ebenso wie die wirtschaftliche Seite (z.B. durch Einbringung in regionale Wirtschaftskreisläufe). Die Wässer sind laut Schramm von der Erzeugung bis zur Vermarktung komplett – also zu 100 Prozent – regional; viele Produkte tragen damit zur Stärkung der regionalen Wertschöpfung bei.
Im Großraum Berlin/Brandenburg sind die Produkte praktisch flächendeckend in den Regalen des Handels zu finden, egal ob beim Vollsortimenter oder Discounter, beim Bio-Fachhändler oder im Drogeriemarkt. Das muss nicht immer erkennbar unter der eigenen Herstellermarke, sondern kann auch als Private Label des Handelspartners der Fall sein. Und was hat man sich für die nahe Zukunft vorgenommen? „Weitere Innovationen auf den Markt bringen, das regionale Angebot in den nächsten fünf Jahren verstärken“, so Thomas Schramm.
Regionale Produkte als Teil der Problemlösung
Wirtschaftliche Krisen treffen verbrauchernahe Dienstleistungen wie die Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln immer mit besonderer Wucht: Sie wirken unmittelbar und hart, sie greifen jedes Glied der Wertschöpfungskette zeitgleich an und stellen jedes Teilsegment eines Wirtschaftszweiges vor die gleichen schwierigen Probleme. Nehmen wir unsere Branche: Egal ob Lieferanten, Händler oder Gastronomen – alle Akteure sind in gleicher Weise (und nicht selten existenzbedrohlich) betroffen. Wir sprachen mit Olaf Lücke, Hauptgeschäftsführer DEHOGA Brandenburg, und pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold.
pro agro-Redakteur Matthias Kersten im Gespräch mit Olaf Lücke und Kai Rückewold (v.r.n.l.)
Meine Herren, was tun in dieser krisenhaften Gemengelage?
Olaf Lücke: Die negativen Rahmenbedingungen fordern und fördern auch in unserer Branche das schnelle Umdenken und das schnelle Einstellen auf die neue Situation. Das beginnt damit, dass der Gastronom bilanzieren muss, welche Lieferanten er hat und wie er betriebswirtschaftlich aufgestellt ist.
Kai Rückewold: Um es mit einem Satz zu sagen: Wir müssen damit rechnen, dass sich in der gesamten Ernährungsbranche vieles ändern wird.
Das Gastgewerbe war schon während der Corona-Krise arg gebeutelt. Wie sieht das heute aus?
Olaf Lücke: Wir kommen nur schlecht aus dieser Krise raus. Es sind keine Rücklagen mehr da, um die Ausfälle zu kompensieren. Das heißt, die Probleme werden sich erheblich verschärfen.
Was ist schon heute spürbar?
Kai Rückewold: Eine deutliche Kaufzurückhaltung, die genau die Probleme widerspiegelt, vor denen auch alle anderen Akteure der Ernährungswirtschaft stehen. In Zeiten der Inflation spart der Verbraucher zuerst bei Lebensmitteln.
Olaf Lücke: Und wenn höhere Kosten auf sinkende Umsätze treffen, potenzieren sich die Probleme rapide.
Olaf Lücke, Hauptgeschäftsführer DEHOGA Brandenburg
Was erwarten Sie von der Politik?
Olaf Lücke: Sie muss so schnell wie möglich Klarheit bei den Themen Gas- und Strompreisdeckel sowie unterstützenden Maßnahmen schaffen. Ein Gaspreisdeckel im März nächsten Jahres, wenn der Winter vorbei ist, nützt allen Betroffenen herzlich wenig.
Und was können die Unternehmen selbst tun?
Kai Rückewold: Ein Baustein ist, die Effizienz der Arbeitsprozesse zu optimieren und diese Prozesse kostengünstiger zu gestalten. Und sie müssen versuchen, mit dem vorhandenen Personal auf verschiedensten Wegen zu vermarkten, um sich unabhängiger von einzelnen Abnehmern zu machen.
Wie soll das funktionieren?
Olaf Lücke: Zum Beispiel durch den Einsatz von regionalen Produkten, die der Gast auf der Karte sehen will und wodurch sich bei entsprechend hoher Qualität höhere Preise erzielen lassen. Ich kann den Brandenburger Lebensmittelerzeugern und -verarbeitern nur wärmstens empfehlen, den Vertriebskanal Gastronomie verstärkt zu nutzen, da hier höhere Margen erzielt werden.
Kai Rückewold: Gerade in der Gastronomie lassen sich Partnerschaften auf- und ausbauen, die sich in Krisenzeiten bewähren. Das hat die Corona-Pandemie eindeutig gezeigt. Beide Seiten können zum Beispiel jeweils für den anderen Partner werben. Es ist wichtig, in und für Brandenburg ein positives Image aufzubauen und eine gemeinsame Identität zu schaffen.
Wie kann der Lieferant den geeigneten Partner finden?
Kai Rückewold: Wir als regionaler Agrarmarketingverband können hier praktische Hilfe leisten.
Olaf Lücke: Die in der Region verwurzelten Gastronomen wissen sehr genau, wer in ihrem Umfeld die gewünschten Produkte liefern kann. Das hat unser Wettbewerb „Gastgeber des Jahres“, dessen Jurymitglied pro agro ist, wieder eindrucksvoll belegt.
Kai Rückewold: Die Preisträger sind allesamt Gastronomen, die wirtschaftlich gut dastehen. Und ihnen ist klar, dass es sich lohnt, auf den Einsatz regionaler Produkte zu setzen.
Da steht ja noch die logistische Frage im Raum.
Kai Rückewold: Grundsätzlich bringt der Lieferant seinem Kunden die Ware. Doch gerade die kleinen Betriebe sind mit diesem Service personell und organisatorisch häufig überfordert. Diese Frage muss also von Fall zu Fall partnerschaftlich geklärt werden. Denn wenn beide Seiten der Meinung sind, dass sich der jeweils andere bewegen muss, dann herrscht Stillstand.
Olaf Lücke: Das ist für beide Seiten sicherlich nicht einfach. Aber man muss gerade in Zeiten wie heute bereit sein, neue Wege zu gehen. Und das nicht nur in Sachen Logistik.
Kai Rückewold: Vielleicht sollten wir, also pro agro und der DEHOGA Brandenburg, uns an einen Tisch mit Lieferanten und Gastronomen setzen und gemeinsam nach Kooperationslösungen suchen.
Kai Rückewold, Geschäftsführer pro agro e.V.
Olaf Lücke: Gute Idee! Es ist immer richtig und wichtig, im Gespräch zu bleiben, vor allem in diesen Zeiten.
Eine Begegnung vergleichbarer Art findet ja wieder während der kommenden IGW statt.
Olaf Lücke: Stimmt. Die Internationale Grüne Woche in Berlin ist eine Plattform für beide Seiten. Insbesondere die von pro agro organisierten Hallenrundgänge sind eine gute Gelegenheit, um sich auszutauschen und das Interesse an einer engeren Zusammenarbeit zu ventilieren.
Kai Rückewold: Bei der IGW geht es ja nicht nur darum, den Verbrauchern regionale Produkte schmackhaft zu machen, etwa durch Verkostungen an den Ständen oder das pro agro-Kochstudio, wo Brandenburger Köche täglich feine Gerichte aus heimischen Zutaten zaubern. Es geht auch um die Begegnung von Erzeugern und Verarbeitern mit Fachbesuchern, also Gastronomen und Händlern: Kontakte knüpfen und pflegen, Informationen austauschen und vertiefen – immer im Interesse beider Seiten.
„Jetzt erst recht: Gerade in der Krise regional einkaufen!“
Kein Tag, an dem die Menschen in Bandenburg und Berlin nicht mit Berichten über krisenhafte Zuspitzungen konfrontiert werden – sei es in den Medien oder im täglichen Leben. Alle sind betroffen, und jeder reagiert auf seine Weise. Aber, so haben wir uns gefragt, ist es richtig, wenn jeder nur sich selbst der Nächste ist? Muss man bei allen individuellen Nöten und Sorgen nicht auch, das Gemeinwohl im Blick behalten? Die Antwort war nicht leicht, aber eindeutig. Lesen Sie dazu den Aufruf von pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold, flankiert von den Statements einiger Branchenvertreter.
„Regional ist erste Wahl.“ (Foto: Melina Griffin)
Wir alle wissen nicht, wohin uns diese Krisenjahre führen werden. Die Verunsicherung ist groß, und immer wieder befinden wir uns in unterschiedlichen Rollen mit unterschiedlichen Perspektiven: Mal suchen wir bei einer Anschaffung die besten Rabatte und Konditionen, mal erwarten wir für unserer Arbeit oder produzierte Ware bessere und faire Preise. Unsere Haltung ist sehr differenziert, und je näher die Krise persönlich heranrückt, desto mehr macht sie uns zu schaffen.
Die mittelständisch geprägte Land- und Ernährungswirtschaft in Brandenburg leidet aktuell stark unter den steigenden Produktionskosten, darunter insbesondere den hohen Energiepreisen. Ob beim Landwirt der Dünger oder beim Lebensmittelhersteller der Rohstoff, ob die Logistik die steigenden Mindestlöhne – wohin man auch blickt im Kostenapparat: Die Sorgenfalten werden tiefer. Gerade für den kleinen oder großen Mittelständler der Ernährungswirtschaft ist es von geradezu existenzieller Bedeutung, mit diesen Problemlagen fertig zu werden. Was für diese übrigens deutlich schwieriger ist als für finanziell gut gepolsterte multinationale Konzerne.
In den vergangenen Jahren haben viele Mitstreiter Optimismus geschöpft aus dem – zumindest verbalen – Aufgalopp für regionale Lebensmittel. Corona förderte Umsätze bei Direktvermarktern, Hofläden und regionalen Plattformen, einige Unternehmen haben sich recht erfolgreich mit dem Aufbau hoch-volumiger Wertschöpfungsketten positionieren können. Doch egal, wo man zurzeit hinhört: Es herrscht große Skepsis, ob Regionalität in dieser Krise überleben kann.
Ist es daher ein verwegener Gedanke, dass die Branche gerade jetzt in der Krise die Verbraucher mit Nachdruck auf die Vorteile regionaler Lebensmittel hinweist? Muss die Ernährungswirtschaft Brandenburgs nicht gerade jetzt unsere Kunden darauf aufmerksam machen, dass mit der Kaufentscheidung für ein regionales Produkt Arbeitsplätze in der Region erhalten bleiben und Umsätze regionaler Unternehmen zu Steuergeldern in der Region führen? Denn der Erhalt unserer Unternehmen stützt auch den Erhalt unserer lebenswerten Region in der Krise.
pro agro Geschäftsführer Rückewold
Das vielleicht günstigere Produkt aus Übersee, von europäischen Nachbarn, aus anderen Bundesländern mag den eigenen Geldbeutel kurzfristig schonen. Doch das andernorts verdiente Geld bleibt eben nicht in unserer Region, sondern fließt weit weg in Wertschöpfungsketten, die Berlin und Brandenburg nicht mehr stützen. „Patriotisch einkaufen“ mag vor vor einigen Jahren ein wohlfeiles Lippenbekenntnis gewesen sein – heute, in der aktuellen Krisensituation, könnte es ein Verkaufsargument werden, das die Verbraucher erreicht und wachrüttelt.
Ja, ein verwegener Gedanke vielleicht. Aber ein Gedanke, der – von vielen Unternehmen gemeinsam, klar und sichtbar kommuniziert – zu einem Signal für mehr Regionalität und mehr Wertschöpfung werden kann. Ein Signal, das klar und deutlich zeigt: Wir lassen Resignation nicht gewinnen, sondern finden Antworten auf Fragen zu Entwicklungen in Deutschland, die heute niemand wirklich bis zu Ende denken kann.
Der pro-agro-Appell im Spiegel der Branche (Auswahl)
Sebastian Kühn, EWG Eberswalder Wurst GmbH: Wir sind Mittelständler, die Verantwortung übernehmen, Steuern hier bezahlen und unsere Region vielfach unterstützen. Konzerne haben in der Krise sofort politische Unterstützung und eine riesige Marktmacht. Wir kleineren Unternehmen werden meist vergessen. In diesem Sinne haben Verbraucher wirklich sehr direkten Einfluss darauf, ob wir in der Region überleben. Jedes Unternehmen aus Brandenburg, das diese Krise nicht übersteht, wird nie wieder kommen – das haben wir leider nach der Wende schon einmal erlebt.
Georg Kaiser, Bio Company: „Support your local dealer“, so steht es bei uns auf den Einkaufstaschen. Regional einzukaufen bedeutet nicht nur, die heimischen Wirtschaftskreisläufe zu unterstützen, sondern auch sich von globalen Lieferketten unabhängiger zu machen. Und auch ganz offen gesagt: „Use it or loose it!“ Der Einkauf von Kunden*innen beim regionalen Biosupermarkt BIO COMPANY ist gerade jetzt wichtig, um die regionalen Wertschöpfungsketten aus Bauern, Verarbeitern und Händlern über die Krise hinaus zu erhalten.
Hanka Mittelstädt, Ucker-Ei: Regionale Wertschöpfung leistet einen wesentlichen Beitrag zum Gemeinwohl in Brandenburg. Gerade in diesen krisenhaften Zeiten ist es enorm wichtig, die zentrale Bedeutung stabiler Wertschöpfungsketten besonders hervorzuheben – nicht nur im Interesse der Agrar- und Ernährungswirtschaft, sondern auch der Verbraucher. In diesem Sinne soll unsere Ucker-Ei Marketing-Kampagne „Alles eine Frage der Haltung – Regionalität wirkt“ ein Anstoß sein, sich beim Einkauf in den Supermärkten bewusst für regionale Produkte zu entscheiden.
Marcus Reh, EDEKA: Wir führen derzeit Produkte von fast 500 Lieferanten aus der Region. Sie belegen die Verbundenheit und die enge Partnerschaft zu heimischen Landwirten und Herstellern. Die regionale Ausrichtung ist in unserer Struktur verankert: Die EDEKA Minden-Hannover ist genossenschaftlich organisiert und wird von selbstständigen Kaufleuten getragen, die fest in ihrer Gemeinde verwurzelt sind. Sie entscheiden eigenständig über die Sortimentsgestaltung ihrer Märkte und bieten zahlreiche Produkte aus der Umgebung an. Und auch wenn es aktuell viele zusätzliche Herausforderungen gibt, wird das so bleiben!
Tobias Exner, Bäckerei Exner: Regional! Wenn nicht jetzt, wann dann? Schon lange setzen wir auf die Verlässlichkeit unserer Partner und die regionale Wertschöpfung sowie das Prädikat der regionalen Herkunft. Wenn die Welt aus den Fugen gerät, stehen dir deine Familie, deine Freunde und deine Nachbarn am nächsten und geben dir Sicherheit und Zuversicht. Diejenigen, die uns als Kunden und als Dienstleister kennen und schätzen gelernt haben, stehen jetzt an unserer Seite – so wie wir das umgekehrt auch tun. Gemeinsam sind wir stark!
„Jetzt erst recht: Gerade in der Krise regional einkaufen!“ Wie denken Sie darüber? Ihre Meinung interessiert uns. Bitte schicken Sie eine E-Mail mit Ihrem Kommentar an maeurer@proagro.de.
Energiesparen in krisenhaften Zeiten
Deutschland steckt mitten in einer tiefen Energiekrise: Zum einen bewegen sich die Großhandelspreise auf extrem hohem Niveau, zum anderen ist die Verfügbarkeit von Gas erheblich eingeschränkt. Während die drastischen Preissteigerungen bei den Privatkunden lediglich im Gas angekommen sind, sieht es bei den Herstellern wesentlich dramatischer aus. Hier sind infolge geschrumpfter Verfügbarkeit und gleichzeitig gestiegener Preise der Energie viele kleine und mittlere Betriebe der Brandenburger Lebensmittelwirtschaft in ihrer Existenz bedroht. Carsten Topp (Foto), Vertriebsleiter des Energiedienstleisters Ampere, beschreibt Maßnahmen zur Energieeinsparung.
Seit über einem Jahr haben die Strom- und Gaspreise kräftig zugelegt, und durch den Krieg in der Ukraine hat sich der Preisanstieg sogar noch dramatisch beschleunigt. Konkret: An der Strombörse wurde für eine Kilowattstunde Strom im August kurzzeitig über einen Euro pro Kilowattstunde aufgerufen. Vor einem Jahr musste man dafür noch 8,57 Cent bezahlen, und das galt schon als teuer! Hinzu kommt, dass Unternehmen kaum neue Energieverträge erhalten, da viele Versorger den Vertrieb eingestellt haben und sich vorrangig auf die Absicherung ihrer Bestandskunden konzentrieren.
Was hilft bei der Eindämmung der Energiekosten am meisten? Die Industrie macht uns es derzeit vor. Hier ist laut Bundesnetzagentur der Gasverbrauch im August 2022 um 21,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken, was vor allem am Umstieg von Gas auf Öl liegt. Das Problem dabei: Ein Brennstoffwechsel ist nicht einfach, denn viele Unternehmen sind vertraglich gebunden und haben nicht die Möglichkeit, kurzfristig umzusteigen. Die hohen Preise bei Strom und Gas erzwingen also Effizienz.
Was heißt das? Der effiziente Umgang mit Energie sowie ein detailliertes Energie-Monitoring und -Management sind die wichtigsten Stellschrauben für die Gewährleistung von Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit. Vor allem kleine und mittlere Betriebe verfügen häufig noch über große Optimierungsmöglichkeiten. So lassen sich unter anderem bei Beleuchtung, Antrieben oder Pumpen, Kälteanlagen oder Drucklufteinsatz einige Potenziale heben. Auch softwaregestützte „Lastganganalysen“ helfen, den Stromverbrauch im Blick zu haben und gegebenenfalls zu senken (unter Lastgang versteht man den je nach Tages- oder Jahreszeit schwankenden Stromverbrauch).
Hier lohnt es sich, Expertenrat in Form einer umfassenden Energieberatung einzuholen oder noch nicht umgesetzte Maßnahmen zu realisieren. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) fördert unter anderem eine Energieeffizienz-Beratung für kleinere und mittlere Unternehmen und im zweiten Schritt die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen. Auch die KfW verfügt über Förderprodukte für Energie und Umwelt. Weiterhin kann es lohnenswert sein, mögliche Fördertöpfe der Länder Berlin und Brandenburg auszuloten.
Viele Unternehmen benötigen relativ kurzfristig neue Energielieferverträge, da die alten entweder auslaufen oder aufgrund der gestiegenen Preise vom Energieversorger gekündigt werden. Häufig wird ihnen in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass es kein Angebot fürs Folgejahr geben wird. Hintergrund: Der Energiemarkt ist bei Strom wie bei Gas sehr volatil, d.h. die Schwankungsbreite der Energiepreise in den letzten Jahren vollzieht sich heute nicht selten innerhalb eines Tages.
Hinzu kommt, dass eine kurzfristige Entspannung wegen der Gasknappheit nicht zu erwarten ist. Während es beim Strom vereinzelt noch Angebote gibt, sieht es beim Gas ganz anders aus. Hier findet faktisch kein Wettbewerb statt, und bis auf wenige Ausnahmen gibt es zurzeit keine Angebote – und wenn doch, sind sie mit hohen Risikoaufschlägen und kurzen Bindefristen versehen. Die Nachfrage bewegt sich auf hohem Niveau und wird zum Jahresende erfahrungsgemäß weiter steigen. Die äußerst fragilen Rahmenbedingungen machen es extrem schwierig, sicher und verlässlich das nächste oder die kommenden Jahre zu planen.Fazit: Die hohen Preise an den Handelsmärkten setzen die Unternehmen fast aller Branchen unter enormen Druck. Wann und welche zusätzlichen Maßnahmen auf Bundes- oder europäischer Ebene verabschiedet werden, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit sagen.
Als Kooperationspartner von pro agro unterstützt die Ampere AG Mitgliedsunternehmen des Verbandes bei der Verhandlung und Beschaffung von Energielieferverträgen. Der Energiedienstleister betreut mehr als 50.000 Strom- und Gaskunden mit einem Gesamtvolumen von über 2.200 Gigawattstunden bundesweit. Bisher hat Ampere mehr als 400.000 Energielieferverträge erfolgreich verhandelt und für ihre Kunden Einkaufsvorteile von mehr als 430 Mio. Euro erzielt.
Regionalität und Nachhaltigkeit als Maxime
Im Apfeldorf Wesendahl (Märkisch Oderland) tanzen derzeit die Puppen: Die Apfelernte läuft auf Hochtouren, Menschen und Maschinen arbeiten mit vollem Einsatz. Als Obstproduzent ist die BB Brandenburger Obst GmbH Teil der Märkischen Erzeuger- und Vermarktungsorganisation GmbH (MEV). Am Standort sind noch die BB Fruchthandel GmbH sowie die FRUVEG GmbH angesiedelt. Sie alle lagern, verpacken und vermarkten im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) das frische Obst. „Der Unternehmensverbund schlägt quasi die Brücke zwischen Produktion und Handel“, so MEV-Geschäftsführer Patrick Ruffert (Foto).
Die MEV steht für etliche Erzeugerbetriebe. Einer davon, die BB Brandenburger Obst GmbH, befindet sich in Wesendahl, weitere neun verteilen sich über Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Den Löwenanteil an frischer Tafelware steuert allerdings der Wesendahler Betrieb mit seinen 183 Hektar Apfelfläche bei. Die Äpfel stellen bei Anbau und Vermarktung am Standort Wesendahl mit rund 95 Prozent das größte Kontingent; zum Portfolio gehören allerdings auch Kirschen, Pflaumen und Erdbeeren, während der Saison jedenfalls. Der überwiegende Teil der Ware wird in Brandenburg und den anderen neuen Bundesländern verkauft.
„Äpfel gehören streng genommen zur Saisonware“, erklärt Patrick Ruffert, „aber unsere modernen Lager versetzen uns in die Lage, den Handel praktisch das ganze Jahr über – also von Ernte zu Ernte – mit frischer Ware zu versorgen“, erzählt er weiter. Das ist leichter gesagt als getan: Um die Lagertechnik auf den neuesten Stand zu bringen und zu halten, muss man eine Menge Geld in die Hand nehmen. Zusätzlich ist darauf zu achten, dass in den Kühlzellen stets ein ausbalanciertes Klima zwischen Temperatur (plus ein bis zwei Grad), Sauerstoff- und CO2-Gehalt herrscht, sonst leidet die Qualität, und die Äpfel können nicht mehr an den LEH verkauft werden.
Auf diese Weise wird das ganze Jahr über das Angebot regionaler Äpfel sichergestellt. Das ist sogar kurz vor Erntebeginn der nächsten Saison noch möglich, dann also, wenn die Läger immer leerer werden. Der Verbraucher erwartet nun mal, quasi „rund um die Uhr“ (sprich: auch außerhalb der eigentlichen Saison) mit frischem Obst versorgt zu werden. Das Unternehmen verfügt übrigens über drei Lagerstandorte: Brandenburg bzw. Wesendahl (10.000 Tonnen Kapazität) sowie Thüringen und Sachsen (insgesamt 6.000 Tonnen).
Die ausschließliche Saisonware wiederum, also Kirschen, Pflaumen oder Erdbeeren, wird praktisch direkt vom Feld mit der eigenen LKW-Flotte in die Zentralläger des LEH transportiert – nach einem Zwischenstopp in Wesendahl zur Sortierung, Verpackung und Kommissionierung. Devise: morgens geerntet, abends beim Kunden. Überdies kooperiert die MEV mit zwei Brandenburger Gemüsebetrieben, als Dienstleister sozusagen, und vermarktet deren Gurken, Dill, Weiß- und Rotkohl sowie Speisekürbisse bei Markenherstellern. Auch das geschieht direkt ab Feld, garantiert also kurze Transportwege und Verarbeitungszeiten. Das Thema Nachhaltigkeit wird sehr ernst genommen. „Wir sehen die Natur als Partnerin“, lautet die Devise. Und weiter: „Unser Anliegen ist die integrierte, also naturnahe und nachhaltige Anbauweise unserer Obstanlagen. Mit Hilfe technologischer Innovationen zur Wasser- und Energieeinsparung bei der Lagerung und dem Transport, bei der Optimierung des Pflanzenschutzes und des Düngereinsatzes sowie beim umweltgerechten Verpackungsmanagement realisieren wir unsere Verantwortung gegenüber der Natur.“ Eine am Standort Wesendahl auf den Hallendächern installierte Photovoltaik-Anlage liefert einen Großteil der benötigten Energie.
Markenführung in der Post-Corona-Zeit
Gute Chancen für starke regionale Marken
Der Hamburger Andreas Ebeling berät Marken bei der Positionierung am Markt.
Zwei Jahre Corona-Pandemie haben Spuren hinterlassen. In fast allen Lebensbereichen wurden Gewohnheiten hinterfragt und Regeln neu definiert. Hinzu kommt die neue Situation durch den Krieg in der Ukraine und viele damit verbundene Ungewissheiten. Konsumenten reflektieren ihre Ansprüche stärker als zuvor und überdenken das eigene Verhalten. Für regionale Marken stehen in der Summe viele Zeichen auf grün, wenn einige Grundregeln der Markenführung angewendet werden.1)
Keine Frage: Corona hat uns ausgebremst. Für Generationen war „Wachstum“ eine Maxime, die Gesellschaft und Wirtschaft geprägt und die meisten von uns angetrieben hat. Die Betrachtung in „vor und nach Corona“ greift jedoch in vielerlei Hinsicht zu kurz. Bereits seit Längerem lässt sich beobachten, dass große Unternehmen nicht mehr automatisch auf Erfolg programmiert sind. Big Player wie Nestlé, Unilever oder Kraft Heinz stoßen heute an eine unsichtbare Decke, gleichzeitig profitieren viele kleinere Unternehmen und wachsen schneller.
Dieses Phänomen ist Teil eines Strukturwandels, der sich global durch Wirtschaft und Gesellschaft zieht. Tatsächlich haben wir bereits lange vor Corona die Schwelle zu einer neuen Ära überschritten, in der Märkte anders als noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts funktionieren, in der Wertschöpfung und Wachstum sich verlagern und Konsumenten anders agieren. Wir nennen diese neue Ära das „3. Zeitalter des Konsums“.
Was ist anders im 3. Zeitalter des Konsums?
Wandel 1: Das Ende von No-Limits. Wir stoßen überall an Kapazitätsgrenzen: ökonomisch, ökologisch, im Hinblick auf Rohstoffe und andere Ressourcen. Fortschritt ist nicht automatisch mit „mehr“ verknüpft, sondern immer öfter damit, intelligent mit „weniger“ auszukommen.
Wandel 2: Divergenz. Statt großer Trends und Leitbilder lässt sich vielerorts beobachten, dass Dinge sich auseinanderentwickeln: ob politisch (Parteienlandschaft, Weltordnung), in der Arbeitswelt (Flexibilisierung), in der Gesellschaft (Diversity) oder in vielen Bereichen mehr.
Wandel 3: Granularität. Wir haben immer mehr Optionen, aus denen wir wählen können und zwischen denen wir uns entscheiden müssen. Angebot und Nachfrage werden kleinteiliger.
Eine interessante Entwicklung lässt sich zum Beispiel seit Jahren auf dem Biermarkt verfolgen: Die Deutschen trinken so wenig Bier wie noch nie. Gleichzeitig wächst die Zahl der Braustätten seit Jahren kontinuierlich. Mikro-Brauereien bedienen mit ihren Craft Bieren immer mehr Nischen und treiben die Spezialisierung voran – mit hochwertigen, individuellen Produkten statt preiswerter Massenware.
Viele dieser grundlegenden Trends wurden durch die Pandemie beschleunigt. Die Unternehmensberater von McKinsey haben in ihrer Studie zum Thema „Neue Konsumenten“ (2021) untersucht, welche Trends den LEH am stärksten verändern werden. Auch hier zeigt sich eine Polarisierung: Neben so genanntem „Downtrading“ (preisgünstige Produkte, Handelsmarken) und einer Ausweitung des Online-Geschäfts werden gleichzeitig Qualitätssteigerungen in der Preiseinstiegsstufe und mehr Fokus auf Nachhaltigkeit erwartet. Deutschland liegt in Europa an der Spitze mit 58 Prozent der Befragten, die künftig bewusster und verantwortungsvoller konsumieren, sprich: sich öfter für gesunde Lebensmittel, regionale, lokale und umweltfreundliche Produkte entscheiden wollen.
Das Zukunftsinstitut kommt in seiner Studie „Die Welt nach Corona“ zu dem Schluss, dass die neue Solidarität, die sich während der Pandemie entwickelt hat, den Handel und Konsum der Zukunft prägen wird. Insgesamt erwarten die Zukunftsforscher ein achtsameres, sozialeres Konsum- und Genussverhalten.
Eine der beiden regionalen Dachmarken von pro agro.
Für regionale Marken und Produkte bedeutet das gute Zukunftsaussichten, denn viele tun bereits heute das, was künftig noch wichtiger wird: Sie sind Familienbetriebe oder Betriebe mit starkem Zusammenhalt, keine anonymen Großunternehmen. Sie haben eine Geschichte hinter ihren Produkten. Sie produzieren in der Region und tragen dadurch eine Verantwortung für die Region. Und sie haben meist einen hohen Anspruch an die Produktqualität, produzieren keine anonyme Massenware, sondern Produkte, auf die sie stolz sein können. Regionale Herkunft ist ein „Brand Asset“, das noch wichtiger werden dürfte.
Trotz dieser guten Voraussetzungen muss jede Marke – ob groß oder klein, ob regional oder international – einige Grundregeln erfolgreicher Markenführung beachten: Sind die Alleinstellungsmerkmale der Marke klar definiert? Welche Leistungsversprechen machen das Angebot einzigartig? Mit welchen Argumenten lassen sich diese am besten untermauern? Neben der inhaltlichen Substanz des Markenversprechens gehören ein stimmiger Markencharakter und prägnante Erkennungsmerkmale, sogenannte Markensignale, zum ganzheitlichen Markenerlebnis.
1)Autor Andreas Ebeling (Foto) fasst die wesentlichen Inhalte seines Referats zusammen, das er auf der pro agro-Online-Veranstaltung am 5. Juli 2022 („Mit einer starken Marke neu durchstarten – Markenführung in der Post-Corona-Zeit“) gehalten hat. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Brandmeyer Markenberatung in Hamburg. Schwerpunkte der Beratungstätigkeit sind Analyse, Markenpositionierung, Markenarchitektur, Implementierung von Markenstrategien sowie die Begleitung von Designprozessen.
pro agro-Trendumfrage Sommer 2022
Wachsender Pessimismus durch Ukraine-Krise
Die Stimmung in der Lebensmittel erzeugenden Agrar- und der verarbeitenden Ernährungswirtschaft hat sich im ersten Halbjahr 2022 spürbar verschlechtert. Während die Branche zu Beginn des Jahres die Geschäftsaussichten noch verhalten optimistisch beurteilt hatte, ist das Meinungsbild in den folgenden Monaten erheblich düsterer geworden: Die große Mehrzahl der befragten Unternehmen in Brandenburg schaut inzwischen pessimistisch in die Zukunft. Das ist das zentrale Ergebnis der Trendumfrage zur Jahresmitte 2022, in der es um die Auswirkungen der Ukraine-Krise ging: Lieferengpässe sowie Kosten- und Preissteigerungen hinterlassen deutliche Spuren.
Die Trendumfrage, ein Gemeinschaftsprojekt von pro agro, Landesbauernverband und Cluster Ernährungswirtschaft, ist Teil des pro agro-Branchenbarometers, das Ende 2021 ins Leben gerufen worden war. Die Ergebnisse der ersten Online-Umfrage sind im Frühjahr 2022 veröffentlicht worden (Details siehe hier). Die wirtschaftlichen Unternehmensdaten sollen zwei Mal pro Jahr erhoben werden: Das „pro agro-Branchenbarometer“ mit grundlegenden Daten jeweils zum Jahresende, die „pro agro-Trendumfrage“ dagegen zur Jahresmitte und mit einem engen Bezug zu einem aktuellen Thema.
Frage: Haben sich nach Beginn der kriegerischen Handlung Russlands in der Ukraine Ihre Geschäftsaussichten für das Jahr 2022 verändert? (Angaben in Prozent)
Quelle: pro-agro-Trendumfrage Juli/August 2022
„Es wird derzeit viel gesprochen und geschrieben über Lebensmittel: Hohe Verbraucherpreise, Versorgungslücken bei einigen Produkten, Probleme bei Rohstoffen zur Verarbeitung – wir wollten es von unseren Mitgliedern und weiteren Unternehmen aus der Region genauer wissen“, nennt Kai Rückewold, Geschäftsführer des Agrarmarketingverbandes pro agro, als Grund dafür, dass die Trendumfrage noch vor Beginn der Sommerferien gestartet worden ist.
Thematisch stand die Befragung unter folgendem Motto: „Auswirkungen der Ukraine-Krise auf die Branche in der Hauptstadtregion“. Daran beteiligt haben sich 107 Unternehmen aus Brandenburg, davon 70 Prozent pro agro-Mitglieder. Selbst wenn es sich nach wissenschaftlichen Standards nicht um repräsentative Ergebnisse handelt, sind die Daten allemal aussagekräftig genug für ein klares Meinungsbild.
Klar ist beispielsweise, dass die wirtschaftliche Zukunft heute eher pessimistisch gesehen wird. So gaben über zwei Drittel der Unternehmen (69 Prozent) zu Protokoll, dass sich die Geschäftsaussichten für 2022 als Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine eingetrübt haben (siehe Grafik „Verschlechterte Geschäftsaussichten“). Die Unternehmen klagen über zunehmende Belastungen durch steigende Energie- und Transportkosten (91 Prozent) sowie über Beschaffungsprobleme und (mangelhafte) Zuverlässigkeit in den Lieferketten (69 Prozent).
„Es liegt nahe, dass bei schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die erzielten Preise steigen sollten“, weist Kimberley Biele, Leiterin der Befragung bei pro agro, auf einen anderen Lösungsansatz hin. Hier besteht jedoch eher ein heterogenes Bild: 49 Prozent der Unternehmen können die Produktpreise gegenüber dem Handel anheben, der anderen Hälfte (51%) gelingt das nicht. Große Unsicherheit besteht daher auch bei der Frage, ob die steigenden Kosten zukünftig an Kunden weitergegeben werden können. 55 Prozent der Befragten glauben dies nicht oder haben schlichtweg keine Idee, ob es funktionieren kann.
Frage: Welche Kooperationsansätze in der Region wären für Sie hilfreich, um Negativeffekte abzumildern? (Angaben in Prozent)
Quelle: pro-agro-Trendumfrage Juli/August 2022
Mit Blick auf die Konsumenten ist die überwiegende Mehrheit (81 Prozent) der Befragten überzeugt, dass sie verstärkt auf die Preise schauen und kostengünstiger einkaufen. Generell wird kritisiert, dass die Politik das Thema regionale, resiliente Versorgung zunehmend aus den Augen verliert (54 Prozent). Über 30 Prozent befürchten gar, dass die finanzielle Förderung der regionalen Ernährungswirtschaft schlechter wird.
Trotz der angespannten Situation hält die Branche nach Lösungen Ausschau, wie sie die Probleme abfedern kann. Mit anderen Worten: In der Krise steigt die Bereitschaft zur Zusammenarbeit (siehe Grafik „Wünschenswerte Kooperationen“). Als hilfreich sehen die Unternehmen zuallererst Einkaufsgemeinschaften für Energie (47 Prozent) an, mit 44 Prozent direkt gefolgt von Vermarktungsgemeinschaften. Ein PDF mit grafischer Auswertung der pro agro-Trendumfrage können Sie unter folgender Adresse anfordern: presse
Frank Roick auf dem pro agro-Zukunftsabend Anfang Mai 2022 in Berlin (Foto: Tim Leidecker).
Gregor Widynski und Frank Roick kennen sich seit Urzeiten, sind beide ausgebildete Köche, haben jeder ein betriebswirtschaftliches Fachschulstudium mit Schwerpunkt Hotellerie und Gastronomie absolviert und in der gehobenen Hotellerie gearbeitet. Bei so vielen Gemeinsamkeiten im beruflichen Werdegang ist es kein Wunder, dass sie den Schritt in die Selbstständigkeit auch gemeinsam getan haben. 1996 war es so weit: Die beiden Profis gründeten in Potsdam ihr eigenes Catering-Unternehmen. Heute zählen sie mit einer Vielzahl von Service-Angeboten und über 500 Mitarbeitern zu den großen Branchenplayern in Deutschland.
Wenn Frank Roick aus dem Nähkästchen plaudert, nimmt man zwei Seelen in seiner Brust wahr: Da kommt einerseits der berechtigte Stolz auf das Lebenswerk durch, da schwingt andererseits aber auch die Sorge mit, wie sich angesichts der großen Krisen der Gegenwart die Zukunft gestalten wird. Zumal Serviceunternehmen, erst recht solche wie die stark diversifizierte Widynski & Roick GmbH, von politischen Entscheidungen und ökonomischen Verwerfungen unmittelbar betroffen sind.
Zu den Tätigkeitsschwerpunkten des Unternehmens zählt die Bewirtschaftung von Betriebsrestaurants und Kantinen mit 50 bis 1.000 Tischgästen täglich; falls vom Kunden gewünscht, wird hier auch der Konferenzservice übernommen. Zum Portfolio gehört außerdem die Betreuung von Bistros und Cafeterien, von Senioreneinrichtungen, Kitas und Schulen (mit bis zu 4.500 Schülern an Standorten in Berlin). Hinzu kommt die Ausrichtung von Veranstaltungen (Events) jeder Art und Größe, darunter beispielsweise der „Tag der offenen Tür“ in allen Bundesministerien mit jeweils bis zu 30.000 Besuchern pro Tag.
Als wäre das nicht genug, betreibt das Unternehmen unter der Premiummarke „Wandel“ zusätzlich vier Restaurants in Eigenregie, drei in Berlin und eins in Dresden. Warum Dresden? Weil der Caterer dort, neben Berlin, seit 2006 über eine weitere Niederlassung verfügt. Überdies hat das Unternehmen im Oktober 2016 noch den Standort Bonn angedockt, um von dort aus den rheinischen Raum „zu beackern“. Auch in Baden-Württemberg ist man präsent. Alles in allem werden in vier Bundesländern 50 Betriebsrestaurants mit über 12.000 Tischgästen täglich bewirtschaftet.
Um ein solches Pensum zur Zufriedenheit der Kunden zu bewältigen, braucht es viele helfende Hände. Allein in und rund um die Küchen sind über 400 Beschäftigte im Einsatz. Alle vom Fach natürlich. Und das genau ist einer der Punkte, der Frank Roick die Sorgenfalten ins Gesicht treibt: „Es ist außerordentlich schwierig, Fachkräfte zu kriegen“, erzählt er, „obwohl wir im Vergleich zur gängigen Gastronomie den Vorteil haben, dass wir nicht an Wochenenden arbeiten“. Ausnahme ist das Engagement im Flughafen BER, wo Schicht- und Wochenendarbeit angesagt ist. Hier sei es noch schwieriger, Personal zu finden.
Kompetente Mitarbeiter sind also, wie in anderen Branchen auch, in gewisser Weise ein limitierender Faktor. Vernünftige Gehälter sind in dieser Situation ein „Muss“, doch wenn beispielweise die Preise für Essen in Kitas und Schulen mehr oder weniger von den Trägern festgesetzt werden, dann kann sich das negativ auf die Margen auswirken.
Fachkräftemangel und steigende Lebensmittelpreise, Lieferengpässe und wachsende Logistikkosten – das alles sind Probleme, mit denen sich der Caterer, wie andere Unternehmen auch, heute herumschlagen muss. Mehr noch: „Wir sorgen ja nicht nur für gutes Essen und Trinken, sondern müssen zusätzlich noch die Kosten für das komplette Equipment stemmen, also Geschirr, Besteck, Verpackungsmaterial und vieles mehr – das ist alles teurer geworden“, berichtet Roick, der im Unternehmen für den Einkauf zuständig ist.
Und wie wirkt sich der allgemeine Trend zu Bio- und Regionalprodukten aus? „Für die Berliner Schulen schreibt uns der Gesetzgeber vor, 50 Prozent Bio-Produkte einzusetzen“, sagt er. Darüber hinaus arbeitet man auch mit regionalen Produkten, was natürlich nicht quer durchs gesamte Sortiment geht: „Die Ananas oder Kiwi wird nun mal nicht in Brandenburg angebaut.“ Je nach geografischer und saisonaler Verfügbarkeit wird aber schon darauf geachtet, für die Speisen möglichst viele regionale und Bio-Produkte zu verwenden.
Wobei Roick in diesem Zusammenhang – Einsatz von Lebensmitteln – erwähnt, dass die Listung von einzelnen Lieferanten kaum möglich sei, da sie in der Regel nur wenige bis gar keine unterschiedlichen Produkte anbieten können. Ferner verfügen sich nicht über die Logistik, um die Betriebe des Unternehmens regelmäßig anzufahren. Also wird der Wareneinkauf gebündelt, sprich: mit dem Großhandel abgewickelt. Die Empfehlung von Frank Roick lautet demzufolge: „Wer als Erzeuger oder Verarbeiter Interesse daran hat, mit seinen Produkten in unserer Branche präsent zu sein, muss über den Großhandel kommen. Aber: Der vermarktet auch gern seine Eigenmarken, und zwar preislich so günstig, dass manch ein Lieferant kaum mithalten kann.“
AGRAR GMBH BERGSDORF
Wertvoller Beitrag zur Strukturentwicklung
Christoph Lehmann (Foto) war 28 Jahre alt und frisch gekürter Absolvent eines Landwirtschafts-Studiums an der Berliner Humboldt-Universität, als er vor gut zehn Jahren einen LPG-Nachfolgebetrieb mit Mastschweine- und Milchkuhhaltung übernahm. Mit im Gepäck hatte er eine klare Vorstellung von dem, was er daraus machen wollte: einen praktisch autarken Rindermastbetrieb mit artgerechter und nachhaltiger Tierhaltung sowie eigener Schlachtung und Verarbeitung; der größte Teil der Wertschöpfungskette sollte auf dem Hof selbst entstehen. Zug um Zug hat er seine Vision verwirklicht.
„Was seinerzeit mit der bewussten Abschaffung von Schweinemast und Milchproduktion begann, ist heute ein Unternehmen, das ausschließlich Rindfleisch produziert und dessen Fokus auf Produktqualität sowie den richtigen Umgang mit Boden und Tier liegt“, fasst Inhaber und Geschäftsführer Lehmann zusammen. Seine 18 Mitarbeiter bringen ihre fachliche Expertise in alle relevanten „Gewerke“ ein: Pflanzenanbau und Futterherstellung, Rinderzucht, Schlachtung und Fleischveredelung, Direktvermarktung und Verwaltung.
Die ca. 850 ha Fläche dienen dem Ackerbau (650 ha) und der Grünlandbewirtschaftung (200 ha). „Wir verbinden konventionelle und umweltverbundene Methoden mit dem Ziel, unser größtes Kapital, den Boden, in seinem Leben und seiner Fruchtbarkeit nachhaltig zu fördern“, so Lehmann. Der Ackerbau steht dabei für Weizen, Mais, Raps, Gerste, Roggen und Dinkel, wobei der Mais komplett als Winterfutter und ein kleiner Teil des Getreides als Kraftfutter für die Rinder dient; der Löwenanteil wird als Marktfrüchte an den Getreidehandel und an Mühlen verkauft.
Die Grünlandbewirtschaftung wiederum setzt in der Vegetationszeit ein und funktioniert nach den Prinzipien der „Umtriebsweidewirtschaft“. Hier leben die Tiere, aufgeteilt in drei Herden, ausschließlich in Freilandhaltung und bekommen „portionsweise“ unterschiedliche Weiden zum Abfressen zugeteilt. „Umtrieb“ heißt: Wenn eine Koppel abgehütet ist, geht’s zur nächsten. Und im Laufe der Vegetation, wenn das Gras wieder nachgewachsen ist, kommen die Tiere schließlich dort an, wo der Futter-Kreislauf begonnen hat. Die kalte Jahreszeit verbringen die Rinder auf einer Winterkoppel.
Die Tiere der Rasse „Uckermärker“ leben also von der Geburt bis zur Schlachtung stressfrei vor Ort. „Das ist eine runde Sache“, sagt Lehmann und ergänzt: „Wir wollen schließlich was von den Tieren und nicht umgekehrt. Da kann man ihnen das Leben und Sterben so angenehm wir möglich machen.“ Die Rede ist hier von etwa 600 Rindern, darunter 200 Mutterkühe und etliche Zuchtbullen, die für den Nachwuchs zuständig sind.
Geschlachtet wird im eigenen Schlachthof, der 2019 auf dem Betriebsgelände errichtet worden ist. Die gereiften Rinderviertel werden verarbeitet zu Frischfleisch in diversen Zubereitungsformen (vom Filet über Rouladen bis zu Spare Ribs), zu Schinken und Wurst (frisch oder in Gläsern) sowie zu Convenienceprodukten (Soljanka und Tafelspitz hausgemacht). Versteht sich, dass auf den Einsatz von Geschmacksverstärkern, Farbstoffen oder sonstigen produktverfälschenden Zusätzen verzichtet wird; verwendet werden ausschließlich Naturgewürze.
Vermarktet werden die Produkte unter dem Label „Bergsdorfer Wiesenrind“, und zwar über den eigenen Hofladen, die Gastronomie, Fach- und Feinkostgeschäfte sowie über ausgewählte Supermärkte von EDEKA und ab August von REWE. Darüber hinaus nutzen die Bergsdorfer die „Marktschwärmer“ als speziellen Vertriebsweg (Online-Bestellung mit persönlicher Abholung an festen Ausgabepunkten, siehe auch das Interview im pro agro-Newsletter 06/2022).
Insgesamt erfüllt das Gesamtkonzept von der Erzeugung über die Verarbeitung bis zur Vermarktung schon heute essenzielle Anforderungen an die Ernährungsbranche: Tierwohl, Schonung der Umwelt und Nachhaltigkeit. Mehr noch: Das Unternehmen leistet einen wertvollen Beitrag zur Strukturentwicklung im Landkreis Oberhavel, zum Beispiel durch Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen sowie durch Generierung eines entsprechenden Steueraufkommens.
30 Jahre pro agro: Ein sommerliches Jubiläum
Stolze Bilanz und neue Aufgaben
Vor 30 Jahren gründeten Brandenburger Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft den Verband pro agro, um in der herausfordernden Nachwendezeit eine effiziente Interessenvertretung für die Förderung von Regionalität zu etablieren. Seitdem hat sich viel bewegt: Der Verband ist an Themen und Mitgliedern reicher geworden, geblieben sind sein engagierter Einsatz für die Branche und das Bekenntnis zum Standort Brandenburg – Gründe genug, um das Jubiläum unter dem Motto „Zukunft ist Herkunft – Brandenburg schafft Wohlgefühle“ am 16. Juni 2022 festlich zu begehen.
Netzwerken bei sommerlichen Temperaturen (Fotos: Tim Leidecker).
Aus den 19 Gründungsbetrieben von „pro agro – Verband zur Förderung des ländlichen Raumes in der Region Brandenburg-Berlin e.V.“ (so der korrekte, wenn auch etwas sperrige Titel) ist eine bundesweit beachtete Brancheninstitution geworden, der aktuell 375 Mitglieder aus der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie der Direktvermarktung und dem ländlichen Tourismus im gesamten Land Brandenburg das Vertrauen aussprechen.
Die Ergebnisse der jahrzehntelangen Verbandsarbeit sind allenthalben sichtbar. Regionalität und Qualität aus Brandenburg sind vom privaten Haushalt bis zum Lebensmitteleinzel- und -großhandel inzwischen ein ernstgenommenes Thema. Die Region ist mit einer bemerkenswerten Vielfalt von Produkten kleinerer bzw. mittlerer Erzeuger und Verarbeiter in den Regalen des Brandenburger und Berliner Handels angekommen.
Auch die Akzeptanz und Nutzung von Produkten aus der Direktvermarktung hat rasant zugenommen. Laut pro agro-Branchenbarometer des Jahreswechsels 2021/22 nannten 48 Prozent der befragten Unternehmen den Lebensmitteleinzelhandel und 40 Prozent die Direktvermarktung als die beiden umsatzstärksten Vermarktungswege. Die kürzlich veranstaltete 27. Brandenburger Landpartie – eine der erfolgreichsten landesweiten Dialogformate zwischen Herstellern und Verbrauchern – hat dieses Votum eindrucksvoll bestätigt.
Gemeinsame Schnittstelle: Dietmar Woidke und Hanka Mittelstädt bearbeiten die Jubiläums-Torte.
Nicht von ungefähr hob Ministerpräsident Dietmar Woidke während seiner Laudatio hervor, dass „die erfolgreiche Entwicklung der Brandenburger Land- und Ernährungswirtschaft in den letzten drei Jahrzehnten eng mit der Arbeit und dem Wirken von pro agro verbunden ist. Der Verband ist das Sprachrohr der Brandenburger landwirtschaftlichen Unternehmen und der Kontaktvermittler zum Handel. Als Spezialist für regionales Marketing und Qualitätssicherung setzt er sich unermüdlich für Lebensqualität und unsere ländlichen Regionen ein.“
Dabei bleibt der Verband stets am Ball. Durch neue Partnerschaften eröffnen sich zusätzliche Möglichkeiten zur Optimierung von Vermarktung und Vernetzung. Ferner setzt pro agro weiter auf die Kombination von Qualität und Regionalität und wird als Lizenznehmer des neuen EU-notifizierten Qualitätsprogramms „Gesicherte Qualität aus Brandenburg“ und „bio regional“ starke Impulse für die nachhaltige Entwicklung der Branche setzen.
Trotz aller Verdienste kann und will sich pro agro auf den Erfolgen nicht ausruhen. Die Folgen von Pandemie und Ukrainekrieg sowie die gestiegenen Kosten für Rohstoffe, Zutaten, Energie und Logistik definieren neue Aufgaben und erweitern die zentralen Tätigkeitsschwerpunkte für die Branche um immer wieder neue Facetten der Unterstützung bei der Bewältigung aktueller Herausforderungen.
pro agro-Teamgeist (v.r.): Hanka Mittelstädt (Vorsitzende), Manfred Memmert (Ehrenvorsitzender) und Kai Rückewold (Geschäftsführer).
Damit pro agro die Aufgaben auch weiter erfüllen kann, wandte sich die Verbandsvorsitzende Hanka Mittelstädt mit einem flammenden Appell direkt an die Landespolitik: „Stellen Sie die Land- und Ernährungswirtschaft wieder aktiv in den Fokus Ihres Handelns, verweisen Sie nicht allein auf Brüssel oder Berlin, wenn es um den Erhalt und die Förderung von regionalen Lieferketten mit Markteinfluss geht“, sagte sie und forderte, die Transformation der Branche und die Entwicklung einer Modellregion Brandenburg/Berlin für regionale Ernährungskreisläufe durch Investitionshilfen massiv zu unterstützen.
Der offizielle Teil der Jubiläumsveranstaltung in der Heimvolksschule Seddiner See bot schließlich die Bühne für die Vergabe von Ehrenurkunden an die Gründungsmitglieder von 1992. Nicht leer gingen auch die „Genussbotschafter“ aus – brandenburgische Spitzenköche, Konditor- und Bäckermeister oder Produzenten und Literaten. Sie erhielten als Sonderanerkennung für ihr langjähriges Engagement aus den Händen von Ministerpräsident Woidke und Hanka Mittelstädt eine Ehrenmedaille.
27. Brandenburger Landpartie
Wertschätzung für Regionalität festigen
Rund 60.000 Ausflügler aus der Hauptstadtregion hatten sich am 11. und 12. Juni auf den Weg gemacht, um Landluft zu schnuppern und einen Blick hinter die Kulissen ländlichen Wirtschaftens zu werfen. Sie erlebten Brandenburger Vielfalt zwischen Elbwiesen und Oderdeich: 143 Betriebe hatten ihre Tore geöffnet, darunter Landwirte, Fischer, Imker, Gärtner, ländliche Manufakturen und Einrichtungen. Die Rückmeldungen aus den Reihen der teilnehmenden Betriebe zeigten, dass das Besucherinteresse an Regionalität und Kreislaufwirtschaft ungebrochen ist.
Das vom brandenburgischen Landwirtschaftsministerium 1994 ins Leben gerufene und in diesem Jahr zum 27. Mal veranstaltete Erlebniswochenende stand diesmal unter dem besonderen Eindruck von drei krisenhaften Ereignissen und deren Herausforderungen: Corona, Ukrainekrieg und Inflation. Schon allein deshalb könne es nicht darum gehen, „allein ein romantisierendes Bild des ländlichen Raumes zu entwerfen“, wie pro agro-Geschäftsführer Kai Rückewold denn auch betonte.
Es geht vielmehr darum, das Potenzial und die Bedeutung der regionalen Landwirtschaft für die Grundversorgung von Brandenburg und Berlin deutlich zu machen und entsprechende Wertschätzung zu generieren. So hatte auch die Landpartie 2022 zum Ziel, über Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion zu informieren und aufzuklären, den einen oder anderen Besucher als neuen Kunden direkt im Hofladen zu gewinnen und die Bindung zur Brandenburger Landwirtschaft durch Zeigen der Gesichter hinter den Produkten herzustellen und zu festigen.
„Unser Ziel ist es ja, regional als erste Wahl auch in den Köpfen der Konsumentinnen und Konsumenten zu verankern“, bekräftigte Landwirtschaftsminister Axel Vogel, „so dass sie, wenn sie vor den Regalen im Supermarkt stehen, sich dann für ein regionales Produkt entscheiden, um zur Wertschöpfung auf dem Lande in Brandenburg beizutragen, für die Sicherung von Arbeitsplätzen ihren Beitrag zu leisten und eben nicht zum billigsten Produkt zu greifen, wo niemand weiß, wo es herkommt.“
Natürlich dient eine solche Veranstaltung auch als Plattform, aktuelle Entwicklungen zu erörtern. Diesmal stand das Thema Preisanstieg im Vordergrund. Hier nutzten die Erzeuger und Verarbeiter von Lebensmitteln durch transparente Darstellung ihrer Arbeit bei den Verbrauchern Verständnis dafür zu wecken, dass steigende Produktionskosten nicht immer intern abgefedert werden können, also weitergegeben werden müssen.
Ein Statement aus der Praxis, abgegeben von Landpartie-Gastgeberin Viviane Rosenthal vom Hof Alt Domigk (Baruth/Groß Ziescht): „Wenn die Besucher, von unserer Qualität überzeugt, hier auch gleich Produkte kaufen, freut uns das natürlich sehr. Noch schöner wäre aber, wenn der Anteil derer, die uns auch über die Landpartie hinaus die Treue halten, größer wäre. Wir stellen fest, dass fast alle Besucher angeben, Wert auf artgerechte Tierhaltung zu legen – hier bei uns wird das gepflegt. Einige sagen aber dann, dass sie wegen der Preise lieber beim Discounter einkaufen. Da liegt noch ein ordentliches Stück Arbeit vor uns. Aber Veranstaltungen wie die Landpartie gehören zu den steten Tropfen, die den Stein höhlen können.“
Die Brandenburger Landpartie ist eine der größten, öffentlichen Veranstaltungsreigen im Land. Traditionell nutzen zigtausende Ausflügler das Ereignis für ihre persönlichen Entdeckungstouren zwischen Uckermark und Lausitzer Seenland. Ermöglicht wird dieses alljährlich zwischen weit über hundert Lokalveranstaltern gut abgestimmte Land-Event durch das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz des Landes Brandenburg (MLUK), die organisatorischen Fäden hält der Verband pro agro in den Händen. Die Brandenburger Landpartie ist fest als ländliche Tradition etabliert – und als Termin in den Kalendern bei Verbrauchern und Gastgebern dick rot angestrichen.
Interview: Jacques Wecke (Marktschwärmer Deutschland)
Gegen die Krise arbeiten!
Jacques Wecke wünscht sich mehr Obst aus Brandenburg
Das 2011 in Frankreich gegründete und drei Jahre später in Deutschland eingeführte Vermarktungs-Netzwerk „Marktschwärmer“ hat sich hierzulande sehr erfolgreich etabliert. Allein in der Hauptstadtregion arbeitet man gegenwärtig mit 330 landwirtschaftlichen Erzeugern („Partnern“) zusammen, die insgesamt rund 22.800 Kunden („Mitglieder“) beliefern. In Berlin und Brandenburg gibt es derzeit 27 bzw. 13 Abholpunkte („Schwärmereien“), wo die bestellte Ware bereitliegt und sich Kunde wie Erzeuger treffen. Doch auch das beste Direktvermarktungs-Konzept muss in Zeiten wie diesen eine Durststrecke durchstehen. Über die Herausforderungen sprachen wir mit Jacques Wecke, Projektleiter Deutschland.
Herr Wecke, wie ist die momentane Stimmung bei den Marktschwärmern? Es dürfte Sie nicht überraschen, wenn ich sage: durchwachsen. Wie die Lebensmittelbranche insgesamt, durchlaufen wir gerade eine Kosten- und Umsatzkrise, was insbesondere unsere Lieferanten, also die landwirtschaftlichen Erzeuger und das Lebensmittel-Handwerk, sowie die einzelnen Marktschwärmereien trifft.
Und Ihre Kundschaft? Deren Kaufbereitschaft leidet natürlich unter der Inflation, wobei die Preise bei uns mit 2,2 Prozent deutlich weniger stark gestiegen sind als beim Lebensmitteleinzelhandel mit 11,1 Prozent. Das belegen jedenfalls die Zahlen vom Mai 2022.
Warum? Unsere Lieferanten waren nie abhängig von den Preisvorstellungen des Handels und konnten schon immer mit guten Margen arbeiten. Also fassen sie nur behutsame Preiserhöhungen ins Auge – erstens, weil sie keine negativen Kundenreaktionen provozieren wollen und zweitens, weil sie keine Notwendigkeit sehen, das sofort auf ganzer Linie zu tun.
Sind Ihre Kunden preisrobuster als „normale“ Verbraucher? Ja, das sind sie. Unseren Mitgliedern geht es bei ihrer Kaufentscheidung nicht in erster Linie um die Preise; sie verfügen über ein ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein und sind bereit, für regionale Produkte mehr zu bezahlen.
Wie haben sich die Bestellungen entwickelt? Sie sind leider etwas zurückgegangen, weil die Verbraucher vorsichtiger geworden sind. Eine Umfrage bei Martkschwärmereien hat z.B. ergeben, dass sich 30 Prozent unserer Mitglieder wegen der Inflation mit Bestellungen derzeit eher zurückhält. Sobald sich die Lage beruhigt, wollen sie aber wieder an Bord sein.
Was macht das Neugeschäft? Es ist schwieriger geworden, Partner für den Aufbau von Marktschwärmereien zu finden. Das Interesse ist zwar da, aber viele potenzielle „Gastgeber“ – so nennen wir die Betreiber von Marktschwärmereien – scheuen in diesen Zeiten das Risiko, ein neues Projekt anzugehen.
Das heißt also: keine neuen Marktschwärmereien? Doch, doch – das ist nur eine Frage der Zeit. Wir müssen erst mal gut durch den Sommer kommen. Mittel- bis langfristig wird es in jedem Falle mehr Marktschwärmereien in Berlin-Brandenburg geben.
Frisch und regional: Qualität steht im Vordergrund
Worauf liegt momentan Ihr Fokus? Derzeit konzentrieren wir uns darauf, die vorhandenen Schwärmereien erfolgreich am Laufen zu halten. Wir unterstützen sie dabei, die Situation zu meistern.
Auf welche Weise? Wir geben den Erzeugern, Gastgebern und Verbrauchern Informationen über die Hintergründe der Inflation an die Hand. Gleichzeitig ermuntern wir unsere Kunden, weiter einzukaufen. Viele von ihnen wissen gar nicht, in welchem Ausmaß die Erzeuger von der Krise betroffen sind.
Mehr können Sie nicht tun? Die Schwierigkeit liegt in der Anhäufung von Krisen: Coronapandemie, Ukrainekrieg und Inflation. Dagegen können wir als Direktvermarktungs-Netzwerk natürlich nichts oder nur wenig tun. Aber wir müssen vermeiden, dass Teile unseres Netzwerks in eine Art Schockstarre verfallen.
Was unternehmen Sie dagegen? Wir leisten jede Menge Aufklärungsarbeit. Und Motivationsarbeit! Wir wollen Unsicherheit abbauen, indem wir relevante Informationen weitergeben. Es wäre kontraproduktiv, jetzt in schieren Aktionismus zu verfallen.
Halten Sie dennoch Ausschau nach weiteren Lieferanten? Ja, in jedem Fall. Die meisten Lieferanten sind im nord- bis südöstlichen Speckgürtel Berlins angesiedelt. Es wäre gut, wenn auch Erzeuger aus westlichen Regionen mitmachen würden. Davon könnten vor allem benachbarte Marktschwärmereien profitieren.
Haben Sie bestimmte Sortimentsvorstellungen? Da gibt es keine dezidierten Vorgaben. Allerdings – einen Wunsch hätten wir schon: Obst aus Brandenburg!
(Anmerkung der Redaktion: Die im Interview angesprochene Umfrage kann unter folgender Mail-Adresse angefordert werden: laura@marktschwaermer.de)
Kai Rückewold, pro agro-Geschäftsführer
„Direktvermarktung ist das zweitwichtigste Vermarktungsstandbein für Brandenburger Produzenten. Auch wenn aktuelle Krisen, Krieg und Inflation das Handeln und den Handel erschweren, dürfen wir nun erst recht nicht müde werden, für die Direktvermarktung zu werben. Ursprünglicher, direkter und daher wohl auch authentischer als direkt vom Produzenten kann man regionale Lebensmittel nicht bekommen. Wir müssen herausarbeiten, dass „kurze Wege“ nicht nur die Entfernungen, sondern auch die Stationen zwischen Produzenten und Verbrauchern meint. Wir müssen immer wieder aufzeigen, dass Produkt- und Produktionsqualität den Preis rechtfertigen und sich der Vergleich mit vermeintlich billigeren Angeboten außerhalb der Direktvermarktung eigentlich verbietet. Das ist es, was die geforderte „Wertschätzung“ ausmacht.“
Löwendorfer Geflügelhof
Potenzielle Partnerbetriebe immer willkommen
In Ruhe: Das Inhaberehepaar Gensch zeigt, worum es geht
Der in dritter Generation geführte Familienbetrieb kann 2022, was seine Geschichte angeht, gleich mit drei runden Zahlen aufwarten: vor 90 Jahren gegründet, vor 30 Jahren umfirmiert zum „Löwendorfer Geflügelhof“ und ebenso lange auf dem Berliner Großmarkt mit einem eigenen Stand präsent. Aus dem einstigen Hühnerhof rustikaler Prägung ist ein hochtechnisiertes Unternehmen geworden, in dem mehr als 40 Beschäftigte täglich hunderttausende Eier sortieren, verpacken, kommissionieren und vertreiben.
Ohne den Einsatz modernster Maschinen ist das anspruchsvolle und aufwendige Arbeitspensum gar nicht mehr zu stemmen. Eine Säule der Sortimentsvielfalt ist die Kooperation mit Partnerbetrieben, erzählt Inhaberin und Geschäftsführerin Anette Gensch. „Den überwiegenden Teil der Eier, die wir vermarkten, kaufen wir als unsortierte Ware ein“, sagt sie und fügt als Erklärung hinzu: „Das bietet auch kleineren Erzeugern die Möglichkeit, zusammen mit unserer Eigenproduktion ihre Erzeugung zu vermarkten. Leider haben wir am Standort keine Erweiterungsmöglichkeiten.“
In Zahlen bedeutet das, dass der Betrieb selbst über etwas mehr als 70.000 Legehennen in Bodenhaltung verfügt, was rund 65.000 Eier pro Tag bringt. Ein Mehrfaches dessen liefern zusätzlich die Partner, nämlich täglich 500.000 bis 600.000 Eier aus Boden-, Freiland- und Bio-Haltung. Die holen die Löwendorfer mit ihren Sattelzügen größtenteils selbst ab, wobei auf kurze Transportwege geachtet wird; die meisten Lieferanten stammen aus Brandenburg, ein paar auch aus Mecklenburg-Vorpommern.
In Aktion: Modernste Maschinen steuern den Verarbeitungsprozess.
„Aus Gründen der Nachhaltigkeit vermeiden wir, die Eier durch halb Europa zu karren“, erklärt Anette Gensch und macht an einem weiteren Beispiel deutlich, dass sie es ernst mit der Nachhaltigkeit meint: „Wir produzieren seit 2013 etwa 50 Prozent unseres Energieverbrauchs mit Hilfe einer Photovoltaik-Anlage selbst. Es ist uns ein echtes Anliegen, ressourcen- und damit umweltschonend zu arbeiten.“
Apropos schonend: Das Ei an sich ist ja ein eher verletzliches Gut, so dass die Frage naheliegt, ob denn im Zuge des Transport- und Verarbeitungsprozesses nicht so manches zu Bruch geht. Dass es einen gewissen Schwund gibt, will die Inhaberin gar nicht wegdiskutieren. Doch erstens sei ein Ei „nicht so fragil, wie man meint; zweitens kriegen unsere Hühner so gutes Futter, dass sie ziemlich stabile Schalen produzieren und drittens sind unsere LKWs technisch so ausgestattet, dass der Schwund überschaubar bleibt.“
Vermarktet wird die Ware hauptsächlich über den Lebensmittelgroß- und -einzelhandel, und zwar meist über deren Zentralläger (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen), teils auch via Streckenbelieferung. Darüber hinaus ist man sehr stark bei der Direktvermarktung in Berlin: Seit 1992 ist das Unternehmen auf dem Großmarkt Fruchthof-Berlin vertreten, wo drei Mitarbeiter jeden Wochentag zu nachtschlafender Zeit (von morgens 2:30 Uhr bis 9:00 Uhr) die Produkte an Markt- und Einzelhändler, Gastronomen, Frischdienste und sonstige Absatzmittler verkaufen.
In Fahrt: Spezielle Sattelschlepper transportieren das fragile Gut.
Auf diese Weise wandern jeden Monat rund eine Million Eier in allen möglichen „Aggregatzuständen“ über den Tresen: frische Eier, bunte Eier, gekochte und geschälte Eier in Salzlake, Wachteleier sowie Eier im Tetrapack (Vollei, Eigelb, Eiweiß, Rührei). Wie die Absatzmengen belegen, handelt es sich hier um Ware aus Eigen- und Partnerproduktion.
Es werden aber auch Produkte ausschließlich aus eigener Erzeugung vermarktet, und zwar unter der Marke „Regional & Saisonal“. Während der Begriff „Regional“ als Herkunfts-Merkmal selbsterklärend ist, umschreibt „Saisonal“ die Legerunden der Hennen, nicht die Jahreszeiten. Konkret: Die Hühner werden im Alter von 18 Wochen angeliefert und eingestallt; dann dauert es noch zwei bis drei Wochen, bis sie Eier legen. Die eigentliche Saison beginnt, wenn die Hühner mit dem Eierlegen starten, und endet bei deren Schlachtung im Alter von. 80 bis 85 Wochen.
Grundsätzlich ist das Unternehmen immer daran interessiert, neue Partnerbetriebe aufzunehmen. Voraussetzung für eine Zusammenarbeit ist jedoch, dass potenzielle Partner über eine Mindestkapazität von 10.000 bis 12.000 Tieren verfügen. „Das ist für uns die untere Grenze, um solche Größenordnungen in unseren Betrieb einbinden zu können. Interessenten sollen sich einfach melden, um zu klären, ob eine Kooperation sinnvoll und möglich ist“, so Anette Gensch.
pro agro-Zukunftsabend: Regionalität als gemeinsames Projekt
Gruppenbild mit Damen (v.l.n.r.): Kai Rückewold (Geschäftsführer pro agro), Frank Roick, Stefanie Awater-Esper, Jan Schleicher, Christian Heinrich-Jaschinski, Axel Vogel, Frank Mattheus, Hanka Mittelstädt (Vorstandsvorsitzende pro agro), Ludolf von Maltzan, Sebastian Kühn. (Foto: Tim Leidecker)
„Zeitenwende Nahrungsmittelproduktion – wohin geht die Reise für unsere Land- und Ernährungswirtschaft in der Hauptstadtregion?“. Das war das Thema des pro agro-Zukunftsabends, zu dem sich am 5. Mai 2022 rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln sowie aus Politik und Medien auf Einladung des Marketingverbandes in der Brandenburger Landesvertretung in Berlin eingefunden hatten. Im Vordergrund der Netzwerk-Veranstaltung stand die Frage, wie das enorme Potential einer regionalen Versorgung der Hauptstadtregion mit Lebensmitteln weiterentwickelt werden kann. Wir hören rein.
Letztlich ging es beim „Zukunftsabend“ darum, Antworten auf folgende Kernfrage zu finden: Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, die Hauptstadtregion mit genügend regionalen Lebensmitteln aus Brandenburg zu versorgen? Während des Podiumsgesprächs (moderiert von Stefanie Awater-Esper, top agrar-Hauptstadtkorrespondentin), waren sich die Diskutanten aus den Reihen landwirtschaftlicher Erzeuger, Verarbeiter, Vermarkter und der Politik darüber einig, dass regionale Produkte in den kommenden Jahrzehnten eine maßgebliche und nachhaltige Rolle spielen müssen.
Das war eine klare Botschaft. Doch der Teufel liegt, wie immer, im Detail. Am Anfang steht nämlich die Frage, wie man das Attribut „regional“ überhaupt definieren soll. „Der Regionalitätsbegriff ist außerordentlich vielschichtig“, räumte Landwirtschaftsminister Axel Vogel denn auch ein, fügte aber gleich hinzu: „Wir müssen da streng vorgehen und hohe Standards setzen. Das heißt 90 Prozent der Rohstoffe müssen aus Brandenburg stammen, und sie müssen bestimmte Qualitätsmerkmale aufweisen.“ Der Minister bezog sich mit dieser Definition auf die Vorgaben des Brandenburger Qualitätszeichens (siehe hier).
Die beiden Qualitätszeichen könnten nur dann richtig Wirkung erzielen, fuhr er fort, wenn Berlin seine Ernährungsstrategie umsetzt und die Qualitätskriterien (konventionell/Bio) in den Ausschreibungen als auditiertes Siegel verbindlich vorgibt. Ziel sei es, mit dem ersten Schritt in der Gemeinschaftsverpflegung und anschließend im Lebensmittelhandel relevante Marktanteile zu erobern. „Und wenn Direktvermarkter die Siegel auch nutzen wollen, dann soll es uns recht sein“, fügte er hinzu.
Argumentativ unterstützt wurde Vogel von Markus Kamrad, Staatssekretär für Verbraucherschutz beim Berliner Senat. Er bezeichnete die beiden Brandenburger Siegel als „sehr guten Einstieg“ für einen Nachweis regionaler Qualitätsmerkmale. Das sei auch wichtig, um diese Merkmale im Vergabeprozess, zum Beispiel bei der Gemeinschaftsverpflegung, „rechtsfest zu verankern“. Und: „Das Ganze baut natürlich auf Lieferfähigkeit auf. Eine Brandenburger Kartoffel in Bio-Qualität und geschält ist gar nicht so leicht zu kriegen“, schränkte er ein.
Wirbt für hohe Standards beim Brandenburger Qualitätszeichen: Minister Axel Vogel vom MLUK Brandenburg. (Foto: Tim Leidecker)
Da ließ die Meinung des Praktikers nicht lange auf sich warten. Die EU-notifizierten Qualitätssiegel „finden wir Landwirte gut“, konstatierte Frank Mattheus, Chef der Agrargenossenschaft Neuzelle, einem der größten landwirtschaftlichen Betriebe Brandenburgs. Aber: „Wo liegt der Mehrwert für den Landwirt, der ja zumindest kostendeckend arbeiten muss?“, fragte er. „Wenn das nicht funktioniert, dann brauchen wir die Siegel nicht.“
Ebenso kategorisch, aber aus anderem Blickwinkel, machte Frank Wetterich von der Gläsernen Molkerei deutlich, warum er das Siegel nicht nutzen kann. Sein Betrieb verarbeite etwa zwei Drittel der in Brandenburg erzeugten Bio-Milch. Das sei gerade mal die Hälfte seines gesamten Kuhmilch-Bedarfs. „Die andere Hälfte kommt aus den benachbarten Bundesländern, da die Milchmengen aus Brandenburg nicht reichen“, erklärte er. Sein Vorschlag: Man sollte mit den benachbarten Bundesländern enger zusammenarbeiten.
Damit war ein grundsätzliches Problem angesprochen, das Sebastian Kühn (Eberswalder Wurstwaren) folgendermaßen auf den Punkt brachte: „Wir haben in Brandenburg nicht mehr ausreichend Verarbeitungskapazitäten, um die Region mit Lebensmitteln zu versorgen.“ Politik, Verbände und Unternehmen müssten sich „an die Hand nehmen“ und gemeinsam nach Lösungen suchen. Ludolf von Maltzan (Ökodof Brodowin) hat das bereits in Teilen umgesetzt: Angesichts der hohen Energie- und Transportkosten hat er sich mit anderen Betrieben zusammengetan, um die LKWs gemeinsam zu befüllen und auf diese Weise Transportkosten zu sparen.
Und wie sieht das die Vermarkterseite? Die politischen Forderungen nach mehr Einsatz von regionalen Produkten sind etwa für die Cateringbranche eine große Herausforderung, „weil die Preise für Kitas und Schulen mehr oder weniger von den Trägern festgesetzt werden“, so Franck Roick, Mitinhaber der Widynski & Roick GmbH. Ferner reiche die Produktpalette mit entsprechender Verarbeitungstiefe (Convenience) heute oft noch nicht, um komplette Menüs herzustellen.
Netzwerker am Werk: Gedankenaustausch in der Brandenburger Landesvertretung in Berlin. (Foto: Tim Leidecker)
Einigkeit herrscht in der Branche, dass ihr der Kampf mit den höheren Kosten und Preisen zu schaffen macht. „Uns fliegen momentan die Einkaufspreise um die Ohren“, sagte Jan Schleicher, Leiter Category Management der REWE Ost. Wegen der steigenden Inflation könne man auch nicht wissen, wie die Kunden in den nächsten Monaten reagieren. Allgemein seien allerdings schon heute Umsatzverschiebungen vom Vollsortimenter zum Discount festzustellen. Doch trotz dieser Verwerfungen bleibe die REWE konsequent bei ihrem Lokalitätsprinzip. Und: „Wir haben nach wie vor ein Sortiment mit gut aufgestellten regionalen Produkten.“
Wegen der landesspezifischen Limitierungen und der externen Einflüsse wie Lieferengpässe, steigende Rohkosten etc. ist es aus Sicht des Landkreises Elbe-Elster angebracht, „Netzwerke aus Wissenschaft, Landwirtschaft, Verarbeitung und Handel zu bilden“, so Landrat Christian Heinrich-Jaschinski. Ziel sei der zügige Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten mit dem Ergebnis, marktfähige Produkte zu entwickeln und zu vermarkten.
Das wiederum provozierte den Ruf der betroffenen Marktplayer nach entsprechender Unterstützung durch den Staat, zum Beispiel bei den Preisverhandlungen. „Für Preisverhandlungen ist nicht der Staat zuständig, das ist Sache der Vertragspartner“, entgegnete Vogel und machte klar, dass sich der Staat nicht unmittelbar in Preisverhandlungen einmischen kann. „Er setzt lediglich die Rahmenbedingungen dafür, dass die Branche bessere Preise erzielt.“
Was die künftige Entwicklung der Branche angeht, sieht Kamrad in weniger als 30 Jahren Großhandelsstrukutren in Berlin, die auf die Produkte in der Region ausgerichtet sind. Wobei er beim Begriff „Region“ auch Sachsen-Anhalt oder Sachsen einbezieht. Seiner Meinung nach muss es jedoch „ein klares Junktim“ zwischen Brandenburg als Lieferant regionaler Produkte und Berlin als großstädtischem Absatzmarkt geben. „Da werden wir viel enger zusammenwachsen“, so seine Prognose.
Interview mit VDSKC-Verbandschef Ralf Blauert
Setzt sich für einheitliche Standards bei Schul- und Kitaverpflegung ein: VDSKC-Verbandsvorsitzender Ralf Blauert
Der 2012 gegründete Verband deutscher Schul- und Kitacaterer e.V. (VDSKC) mit Sitz in Berlin vereint Cateringunternehmen und Akteure der Gemeinschaftsverpflegung aus ganz Deutschland. Er vertritt die Interessen der knapp 30 Mitglieder aus fast allen Bundesländern gegenüber der Politik, versteht sich als Netzwerker innerhalb der Branche und setzt sich für bundesweit einheitliche Standards des Wirtschaftens ein. Wir sprachen mit dem 1. Vorsitzenden Ralf Blauert (Foto), selbst ein erfolgreicher Caterer, der in Potsdam täglich 15 Schulen und 30 Kitas mit mehr als 4.000 Essen versorgt.
Herr Blauert, was treibt Sie momentan am meisten um? Unsere wichtigste Forderung ist derzeit die Beibehaltung des Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozent. Es bahnt sich nämlich an, dass die Politik den Mehrwertsteuersatz wieder auf 19 Prozent anheben will.
Aber das war doch von vornherein bekannt. Das stimmt. Man hat uns und die gesamte Gastronomie in Corona-Zeiten runtergestuft auf 7 Prozent (außer Getränke), und zwar befristet bis zum Jahresende 2022. Doch wir fragen uns grundsätzlich: Warum soll künftig wieder Hundefutter nur mit 7 Prozent und Kinderverpflegung mit 19 Prozent besteuert werden? Das kann ja wohl nicht sein.
Sie wollen einheitliche Standards für Ihre Branche schaffen. Was meinen Sie damit? Die Bundesländer behandeln Schulessen sehr unterschiedlich, und wir wollen bundesweit gleiche Bedingungen für alle Caterer haben. Konkret: Die Länder sollen die Kosten für Schulessen übernehmen oder wenigstens die Kostenbeteiligung so gestalten, dass sie von den Eltern auch getragen werden kann.
Was würden Sie favorisieren? Eigentlich wollen wir dem Beispiel der skandinavischen Länder folgen, die das Schulessen als integralen Bestandteil von Erziehung und Bildung betrachten und deshalb sagen, dass die Gemeinschaftsverpflegung von den Bildungseinrichtungen beauftragt und getragen werden muss.
Wie schätzen Sie das hierzulande ein? Bei uns hat sich das tradierte Gesellschaftsbild stark geändert. Es gibt immer mehr Doppelverdiener in den Haushalten, was ja politisch auch gewollt ist. Dann müssen aber die staatlichen Institutionen dafür sorgen, dass die Kinder – sei es in Kitas oder in Schulen – vernünftig ernährt werden.
Und wer soll die Kosten tragen? Tatsache ist, dass die Bundespolitik beschlossen hat, ab 2026 den Eltern einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung der Grundschulkinder zu gewähren. Da gehört selbstverständlich eine ordentliche Verpflegung der Kinder dazu. Und wer so etwas beschließt, muss auch die Kosten dafür tragen.
In Berlin ist man da schon weiter, oder? Stimmt. Kein Mensch hätte erwartet, dass ausgerechnet in Berlin („arm, aber sexy“) die kostenlose Verpflegung in Grundschulen und Kitas eingeführt wird, und zwar wenigstens bis zur 6. Klasse. Das ist ein Riesenschritt und modellhaft für die anderen Bundesländer – ein echtes Vorzeigeprojekt, das funktioniert.
Reibungslos? Natürlich gibt es noch den einen oder anderen kleinen Stolperstein, aber es zeigt: Wenn die Politiker wollen, dann geht‘s auch. Und gerade durch die klima- und ernährungsbewusste Generation kommt in dieses Thema neue Bewegung rein; wir hoffen, dass wir davon ein Stück weit profitieren können.
Schulverpflegung ist Ländersache. Gibt es da Änderungsbedarf? Unserer Meinung nach sollte der Bund dafür verantwortlich sein. Der hat sich ja bei der Medien- und Internetausstattung der Schulen auch engagiert und die Kosten übernommen. Es wäre also durchaus machbar, dass sich der Bund einschaltet. Man muss es nur wollen.
Ihr Verband hat 2019 das Projekt „Wo kommt dein Essen her?“ gestartet. Was ist das Ziel? Wir wollen bewusste und gesunde Ernährung in den Schulen zum Thema machen. Konkretes Ziel ist, den Anteil regionaler Bio-Lebensmittel in der Gemeinschaftsverpflegung zu erhöhen. Das Projekt wird vom Berliner Senat gefördert, und wir sind der Projektträger.
Und wie beurteilen Sie die Einführung der Brandenburger Qualitätssiegel mit Blick auf die Gemeinschaftsverpflegung? An sich halten wir das für eine gute Idee, wenngleich diese Maßnahme etwas überraschend kam. Und es ist alles andere als sicher, dass die landwirtschaftlichen Erzeuger die notwendigen Mengen an regionalen und Bio-Produkten überhaupt zur Verfügung stellen können. Nehmen wir nur unsere Branche: Wir stellen allein in Berlin täglich 175.000 Grundschulessen her. Hinzu kommen die weiterführenden Schulen, Kitas, öffentlichen Mensen, Kliniken, Betriebskantinen und viele andere Einrichtungen mehr. Da stellt sich ernsthaft die Frage, wie das Mengenproblem gelöst werden soll.
Wie könnten Sie sich die Einführung der Zeichen in die Gemeinschaftsverpflegung vorstellen? Es wird sicherlich ein intensiver Abstimmungsprozess zwischen Politik, Produzenten, Logistikern, Caterern und Abnehmern stattfinden müssen. Darüber hinaus ist es ja so, dass wir Caterer schon seit Jahren mit verschiedenen Siegeln arbeiten. Wir kennen uns damit aus, wissen also, was auf uns zukommt, und halten diese Initiative für machbar.
Verband Deutscher Schul- und Kitacaterer e.V. (VDSKC)
Lorenzweg 5
12099 Berlin
0152/07434966
info@vdskc.de www.vdskc.de
Gut und Bösel: Landwirtschaft im Einklang mit der Natur
Benedikt Bösel, „LandVisionär“ einer regenerativen Landwirtschaft (Foto: Emanuel Finckenstein).
Bei Gut und Bösel in Briesen (Mark) ist alles auf Modus „Multi“ geschaltet. Das beginnt mit Inhaber und Geschäftsführer Benedikt Bösel, der zwei Studien absolviert hat (Business Finance, Agrarökonomik) und vor Übernahme des elterlichen Bio-Betriebs (2016) zehn Jahre als Berater in der Finanzbranche gearbeitet hat; das setzt sich fort in den vielseitigen Betriebsaktivitäten sowie in der Umsetzung „multifunktionaler Landnutzungskonzepte“; und findet sich schließlich wieder im Miteinander von Forschung und landwirtschaftlicher Praxis. Ein Blick hinter die Kulissen.
Unsere Gesprächspartnerin Lea Ligat verkörpert, natürlich, ebenfalls das Thema „Multifunktionalität“, da sie ein ganzes Bündel von Managementaufgaben zu erledigen hat: Kommunikation, Marketing, Vertrieb und Veranstaltungen. Zum Unternehmen selbst erzählt sie, dass es aus mehreren Gesellschaften besteht, die unter der Dachmarke „Gut und Bösel“ vereint werden sollen. Das betrifft den Forstbetrieb mit 2.000 Hektar und die LandVision Alt Madlitz GmbH mit 1.000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche, die von Benedikt Bösel gegründet worden ist.
Unter dem Dach der Neugründung befinden sich die mobile Hühnerhaltung mit 300 Legehennen unterschiedlicher Rassen, die für „bunte“ Eier sorgen. Dazu gehört ferner die Mutterkuhherde mit 100 Tieren plus derzeit 25 Kälbern; dabei handelt sich um eine gemischte Herde aus Angus- und französischen Salers-Rindern, die nach den Grundsätzen eines „ganzheitlichen Weidemanagements“ gehalten werden. Die Kühe werden dabei eng zusammengestellt und jeden Tag weiterbewegt, was die Bodenqualität hebt und das Graswachstum fördert.
Drittes Standbein der „LandVision“ sind die Agroforst-Aktivitäten. „Beim Konzept Agroforst wird die Fläche mit Baumstreifen kombiniert, so dass zwischen den Reihen nach wie vor Ackerbau betrieben werden kann“, erklärt Lea Ligat. Die Baumstreifen können aus Obst-, Nuss-, oder Edelholzstreifen bestehen. „Das ist gut gegen Winderosion und gut für Biodiversität und Böden. Und zu guter Letzt natürlich auch für die Bauern selbst, da auf den Streifen Mehrfach-Ernten pro Jahr möglich sind“, fügt sie hinzu.
Lea Ligat, das Multifunktions-Talent / Agroforst aus der Vogelperspektive (Fotos: Emanuel Finckenstein).
Bewirtschaftet wird der Betrieb mit 25 Beschäftigten zuzüglich acht bis zehn Praktikanten. Die Erzeugnisse – insbesondere Eier, Rindfleisch und Wildfleisch (aus eigener Jagd) – wird derzeit über die „Plattform 2020 für gute Lebensmittel“ vermarktet, und zwar hauptsächlich in der Gastronomie. Dieses in der Berliner Markthalle Neun angesiedelte, engmaschige Vermarktungs-Netzwerk (siehe pro agro-Newsletter 10/2021) betreibt dort nebenbei auch einen Verkaufsstand („Beet und Baum“), wo das eine oder andere Produkt direkt den Endverbraucher erreicht.
Im Spätsommer dieses Jahres wird zusätzlich ein Online-Shop gestartet, wo Endverbraucher regelmäßig einkaufen können: frisches und verarbeitetes Fleisch (Wurst), Obst und Gemüse (Saisonware) etc. Und wie sieht’s mit einem eigenen Hofladen vor Ort aus? „Das zählt gegenwärtig nicht zu unseren Prioritäten, aber wir behalten das im Auge“, heißt es. Was aber im kommenden Sommer konkret wird, ist ein Pop-up-Restaurant. Von Mitte Juli bis Mitte August können an einer langen Tafel auf den Feldern des Betriebs die von Profiköchen zubereiteten Produkte verkostet werden (Vorbestellung empfehlenswert).
Als wären das neben der landwirtschaftlichen Arbeit und der Vermarktung der Erzeugnisse nicht genug der Aktivitäten, hat Benedikt Bösel vor gut einem Jahr eine Stiftung gegründet. Deren Zweck ist die Erforschung und Entwicklung multifunktionaler Methoden der Landwirtschaft. „Die Stiftung nutzt praktisch die vorhandenen Flächen als Reallabor“, erläutert Lea Ligat. In enger Kooperation mit Universitäten und Forschungsinstituten will man herausfinden, welchen Einfluss die verschiedenen Ackerbau-Methoden auf die Biodiversität und das gesamte Ökosystem haben.
Konkret geht es dabei um innovative Landnutzungskonzepte, die eine zukunftsfähige, klimaresiliente Landwirtschaft in unserer Region ermöglichen. „Multifunktionalität“ heißt in diesem Zusammenhang, dass auf den Flächen die synergetischen Beziehungen zwischen Pflanze, Baum und Tier genutzt werden und dadurch ein großes Spektrum der Anpassung an standortbezogene Bedingungen erreicht wird. Basis und Ziel dieser in der Praxis angewandten Ansätze ist eine regenerative Landwirtschaft – nicht als Selbstzweck, sondern um „den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen“, so die Unternehmensphilosophie.
LandVision Alt Madlitz GmbH
Schlossstraße 32
15518 Briesen (Mark) OT Alt Madlitz
033607/293
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