Appell an mehr Geschlossenheit und Beachtung
Datum: 28. September 2023
Zu Beginn des 6. Norddeutschen Ernährungsgipfels am 21. September 2023 in Rostock-Warnemünde, einer Gemeinschaftsveranstaltung der Marketinggesellschaft der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern (AMV) und des Agrarmarketingverbandes pro agro, hat die pro agro-Vorsitzende Hanka Mittelstädt in einer engagierten Rede vor rund 200 Branchenteilnehmern die Zukunftsfähigkeit der regionalen Lebensmittelerzeuger und -verarbeiter beschworen. Ihr eindringlicher Appell richtete sich sowohl an die Branche selbst wie auch an die Politik. So ermutigte sie einerseits die Unternehmerschaft, ihre Anliegen in der Öffentlichkeit offensiv und mit einheitlicher Stimme zu vertreten; andererseits forderte sie die Politik auf, die mittelständisch geprägte Branche nachhaltig zu unterstützen – auch im Interesse des Gemeinwohls. Hier die leicht gekürzte Rede im Originalton:
„Am 22.3. dieses Jahres wurde ich als Abgeordnete der SPD-Fraktion im Landtag Potsdam als Nachrückerin von Inka Grossmann-Reetz vereidigt. Unverhofft kommt oft, und mit der Annahme des Mandats verbinde ich künftig noch vehementer den Wunsch, als Unternehmerin der Ernährungswirtschaft eine aktive Rolle in der politischen Gestaltung an der Nahtstelle Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft, Handel und Verbraucher einzunehmen.
Zur Landtagswahl im September 2024 werde ich mich erneut als Direktkandidatin meines Heimatwahlkreises aufstellen lassen, um auch auf politischer Ebene weiter für die Branche eintreten zu können. Es spricht also heute zu Ihnen nicht nur eine engagierte Unternehmerin der Ernährungswirtschaft, die ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende von pro agro, sondern auch eine aktuelle Mandatsträgerin in der Landespolitik Brandenburgs.
Viele der schlimmsten Befürchtungen sind nicht eigetreten: Unsere Produktion stand nicht still, wir sind nicht in unseren Wohnzimmern erfroren, wir haben trotz Putin mit Weihnachtsgans und Gloria gefeiert und sind wieder in Urlaub gefahren. Aber es hat uns dennoch mit voller Wucht erwischt: steigende Strompreise, unkalkulierbare Entwicklungen der Kosten für fossile Brennstoffe, inflations- und gesetzesgetriebene Lohnkostensteigerungen etc.
Und das Allerschlimmste: Mit der Verteuerung der Lebensmittel (warum auch immer…) greift der Deutsche Michel zum noch billigeren Produkt. Unsere Vollsortimenter im LEH relaunchen ihre Discounter-Mentalität, und noch nie befanden sich – trotz massiv höherer Preise – so viele Eigenmarken des Handels in den Einkaufskörben der Haushalte. Fast scheint es so, dass wir bei all den abwechselnden Untergangsnachrichten (ich erinnere hier ganz kurz auch an Themen wie Klimawandel, Wetterkatastrophen, Transformationsgebrüll, Mr. Trump usw.) langsam abstumpfen und Krise als Normalität wahrnehmen.
Ich bitte Sie: Lassen Sie uns das nicht tun!
Was in unserem Land gerade passiert, kann nicht die Normalität bleiben. Die Ignoranz zu Mittelstandsthemen können wir als Unternehmerinnen und Unternehmer nicht einfach schlucken.
Gemeinsam müssen wir geschlossen gegenüber den Interessengruppen, die uns kaum noch wahrnehmen, auftreten.
Es stimmt mich daher froh, dass – fast zeitlich mit dem Ende des letzten Ernährungsgipfels – im vorigen Oktober 15 Unternehmen der Ernährungswirtschaft aus Brandenburg den Mut gefunden haben, ihre Stimme laut zu erheben. Heute sind wir 25 Unternehmen, und es fehlen nur ein paar bedeutende Marken, um für die Hauptstadtregion komplett repräsentativ zu sein.
Mit der Aussage „Regionale Lebensmittel einkaufen – Jetzt erst recht!“, unterlegt mit einem politischen Forderungspapier, standen die Unternehmerinnen und Unternehmer vor dem Landtag in Potsdam und vor dem Senat in Berlin. Sie diskutierten in Fachausschüssen und Fraktionen.
Die Unternehmen investierten gemeinsam rund 200.000 Euro in Webseite, Radiokampagnen, Instore-Marketing, Infomaterialien und Presse-Events vor und nach der Internationalen Grünen Woche. Mit klaren Worten, kämpferisch und klug. All das adressierte sowohl an die Verbraucher, die Handelspartner und die Politik. Und unsere Kampagne wurde wahrgenommen. So unterstützte die Politik unsere zweite Kampagne mit einem Förderbetrag. REWE und EDEKA unterstützten unsere Kommunikationsziele.
Wenn ich heute eine erste Lehre aus meiner kurzen parlamentarischen Zeit mit Ihnen teilen darf: Das System Deutschland ist träge geworden und wenn wir nicht an den Stühlen ruckeln, dann wird sich für uns nichts bewegen. Wir müssen als Unternehmerinnen und Unternehmer einer kleinstrukturierten mittelständischen Ernährungswirtschaft in den neuen Bundesländern wieder Gemeinsamkeiten entwickeln – stark als Gemeinschaft und nicht nur erfolgreich als „wettbewerbsorientierte Windhunde“, deren einziges Ziel das eigene Wohl und der eigene Erfolg ist.
Gemeinsam müssen wir als Vertreter unserer Branche über die Grenzen der neuen Bundesländer hinweg – laut und unbequem und klug und kontinuierlich – den mühevollen Dialog mit politischen Entscheidungsträgern suchen. Nur dann werden wir wieder Gehör finden zwischen dem Getöse von Lufthansa und Intel oder Tesla und Zalando.
Es ist überhaupt nicht unschicklich, dass Unternehmer in einer Landespresskonferenz die Versäumnisse deutlich machen und die Frage stellen, ob regionale Nahrungsmittelproduktion noch einen Stellenwert in der „Agenda Zukunft Deutschland“ hat oder warum es nicht möglich sein soll, auch mit weiteren Fördermitteln die kontinuierliche Branchenkommunikation in Richtung Verbraucher zu ermöglichen.
Abgewandelt heißt es heute leider: Die Leisesten beißen die Hunde oder wenn es so weitergeht die freilaufenden Wölfe…
Zu Beginn meiner Begrüßung hatte ich Sie gewarnt. Ja es stimmt – vor Ihnen steht auch eine Politikerin, also eine Vertreterin des teilweise als sehr selbstgefällig eingeordneten Systems. Aber wenn Sie mich nicht ganz allein lassen, darf ich Ihnen versprechen, dass weder mein unternehmerischer Geist noch mein Wille, in diesem System wieder Veränderung, Dynamik und Zukunftsfähigkeit zu etablieren, nachlassen werden.
Lassen Sie uns gemeinsam mit unseren Mitgliedsverbänden der Ernährungswirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen Politikern und Meinungsführern in der Gesellschaft mit lauter Stimme täglich zurufen: „Regionale Lebensmittel – jetzt erst recht!“.
Wenn wir verschwinden, wird es nie wieder mittelständische Ernährungswirtschaft in den neuen Bundesländern geben. Und lassen Sie uns mit diesem lauten Ruf auch unsere Partnerverbände von Schleswig-Holstein bis in den Süden Deutschlands mitnehmen und mit einer Stimme die Interessen der Ernährungswirtschaft in den Regionen vertreten!“